Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani
Читать онлайн книгу.sah man im Hotel nur als Kellner oder Dienstmädchen, wenn sie einen Drink zum Pool brachten oder die Zimmer säuberten. Alle Versuche, etwas mehr über das Personal oder die Hoteldirektion zu erfahren, scheiterten. Mr. Woto, der Hotelmanager, war notorisch kurz angebunden und sagte immer nur „Travel-Agency“, „Travel Agency“, wenn ich etwas fragte. Auch die Belegschaft sprach kein Wort Englisch. Ich hätte gerne gewusst, wo sie lebten, was sie verdienten und wie viele Kinder sie hatten, doch immer wenn ich etwas sagte, nickten sie nur freundlich und fuhren in ihren Verrichtungen fort.
Erheblich zugänglicher war Johnny, der spindeldürre Javaner, der wie ein Festangestellter permanent vor dem Hoteleingang herumlungerte. Er sprach ein erstaunlich flüssiges Englisch und erbot sich, jederzeit Taxen und Busse, Reiseführer und Souvenirs zu beschaffen, die natürlich teurer waren, als wenn man sie selbst organisierte. Eine seiner Standardnummern bestand darin, Neuankömmlingen, die vom Hotel aus zum Sultanspalast spazieren wollten, weißzumachen, dass der Palast vormittags geschlossen sei. Es bestände aber die Möglichkeit in der Zwischenzeit eine interessante Batikschule zu besuchen, in der man ohne Gebühr bei der Herstellung kostbarer Batiktücher zusehen könnte. Wenn man sich darauf einließ, bezahlte man nicht nur einen überhöhten Preis für die Rikscha, die einen zusammen mit Johnny zum Batikgeschäft brachte, sondern sah sich in der vermeintlichen Batikschule sofort einer massiven Verkaufsoffensive gegenüber.
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Manfred, der stille Mathematiker aus Bonn wurde mein Reisegefährte, ein angenehmer und gebildeter Mensch, der trotz intensiver Nachfragen nur wenig von sich erzählte. Das Maximale was ich aus ihm herausbrachte, war die Mitteilung, dass er sich nach privaten und beruflichen Umbrüchen eine dreimonatige Auszeit genommen hatte, in der er einfach auf andere Gedanken kommen wollte. Eine gewisse Gehemmtheit ging von ihm aus, als gehe er mit angezogener Handbremse durch den Tag, aber er war höflich, pflegeleicht und gebildet, ohne den Schlaumeier zu spielen. Was es in seiner Umwelt an Neuem zu erleben gab, nahm er dankbar auf wie ein zurückhaltender Esser, der für jeden guten Bissen dankbar war.
Wir blieben eine gute Woche in Yogjakarta, und auch wenn ich im nachherein den Ruhm, den dieser Ort in Travellerkreisen genießt, überzogen finde, gab es jeden Tag etwas Neues zu sehen. Am schönten war es, ziellos mit geliehenen Fahrrädern durch die Stadt zu radeln. Diese Touren besaßen etwas Märchenhaftes, gerade so, als radelten zwei Gullivers durch das Reich der kleinen schlanken Zwerge. Wir durchfuhren eine überschaubare freundliche Stadt, passierten lebhafte, aber nicht überfüllte Straßen, Gemüsemärkte und die Eingänge kleiner Moscheen und Parks. Die meisten Passanten reichten mir gerade bis zum Brustbein, während wir den Einheimischen dagegen wie ungefüge Riesen erscheinen mochten. Was für hellhäutige Monster, mochten sie denken: blasse, fahle Haut, verschwitzte, fettige Haare, blöder, rastloser Blick – so würden sie uns wahrscheinlich wahrnehmen.
Die jungen Frauen, die uns auf der Straße entgegenkamen, waren teilweise verschleiert, teilweise trugen sie ihre schwarzen Haare offen zur Schau. Mit ihren feinen Gesichtszügen glichen sie kleinen Prinzessinnen, die sich wie Angehörige einer anderen Spezies durch die engen Gassen bewegten. Ihre Haut besaß einen betörenden Bronzeton, ihre Bewegungen waren so elegant, als würden ihre Füße gar nicht den Boden berühren. Viele besaßen breite, sinnliche Münder, und wenn sie lachten, wurden zwei Reihen perlweißer Zähne sichtbar. Die etwas flachen Nasen gaben ihnen etwas Vornehmes, ihre Zurückhaltung war dazu angetan, ihre Attraktivität nur noch zu steigern. Zweifellos ein Lichtblick im großen Bilderbuch der menschlichen Gattung, aber gottlob in Indonesien nicht so wohlfeil wie in Thailand.
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Das moslemische Sultanat von Yogyakarta war im Jahre 1755 als eines von zwei Teilstaaten aus dem mohammedanischen Mataram Reich hervorgegangen (das andere war das Sultanat von Solo). Geschichtliche bedeutsam wurden die Sultane von Yogyakarta als Steigbügelhalter der holländischen Kolonialherren gewonnen, weil sie ihnen umfangreiche Konzessionen zur Etablierung von Kaffeeplantagen auf Java überlassen hatte. Alle Sultane von Yogyakartas seit 1755 trugen übrigens den bemerkenswerten Namen Hamengkubuwonbo – unterschieden wurden sie nur durch die fortlaufende Nummerierung vom allerersten bis zum derzeit zehnten Sultan, der heute noch als Hamengkubuwonbo X den rein repräsentativen Titel eines Sultans von Yogjakarta führte. Sein Palast, der Kraton, befand sich mitten in Yogjakarta und war eine der touristischen Anlaufstellen der Stadt. Sonderlich viel her machte er nicht. Mit ihrer breiten, rotgeziegelten Überdachung und ihren Säulen ohne Sichtbegrenzungen glich die Eingangshalle des Kratons einem großen Zelt. Es folgte eine ausgedehnte Anlage mit flachen Gebäuden und kleinen Höfen, in denen man sich in kunterbunter Reihenfolge Blechskulpturen, Herrscherportraits in Öl, kostbare leere Stühle auf roten Teppichen, Holzschnitzwerk und Marmorfußböden ansehen konnte. Einige javanische Dolche – sogenannte Kris – waren hinter Glas zu besichtigen. Unter Kris verstand man eine kostbare und aufwändig hergestellte Schmuckwaffe, auf die der Javaner außerordentlichen Wert legt, weil der Kris nach allgemeiner Überzeugung die Ehre der Familie und die Integrität der Person repräsentiert. Manfred erwies sich als kulturgeschichtlich gut vorbereittet und erklärte, dass es bei dem Javaner, der etwas auf sich hielt, immer drei Kris sein mussten, die er sein Eigen nannte. Zunächst besaß er seinen eigenen Kris, auf den er nichts kommen ließ. Den zweiten Kris erhielt er von seinem Vater, und wenn es ganz gut lief, dann konnte er auf einen dritten Kris zählen, den er von dem Vater seiner Frau bekam.
Während unseres Rundgangs durch den Kraton von Yogjakarta waren kaum Touristen unterwegs. Dafür saßen erstaunlich viele männliche Javaner im traditionellen Sarong mit Schnurbart und Kopftuch in den Räumen herum. Sie trugen zwar keinen Kris, glichen aber mit ihrem strengen Blick den Sultanen auf den Gemälden auf eine so frappante Art, dass ich einen Moment fantasierte, die Herrscher seien aus ihren Rahmen herabgestiegen, um sich leibhaftig die Besucher anzuschauen, die es in ihren Palast verschlagen hatte. In Wahrheit handelte es sich um die Tempelwächter, von denen es in ganz Yogjakarta über fünfzehnhundert geben soll und deren herausragendes Berufsmerkmal darin bestand, praktisch nichts zu tun zu haben. Trotzdem war ihrem Mienenspiel deutlich zu entnehmen, dass sie nicht belästigt werden wollten, was auch ganz sinnlos gewesen wäre, weil sie kein Wort Englisch verstanden.
Erheblich interessanter als der Besuch des Kratons war der anschließende Spaziergang durch die engen Gassen der umgebenden Viertel. Solche Stadtviertel oder Dörfer, in denen jeder jeden kannte, wurden als Kampungs bezeichnet. Innerhalb dieser Kampungs gab es Ortsvorsteher, die auf Recht und Ordnung achteten und auf alle Unbekannten ein wachsames Auge hatten. Früher soll es üblich gewesen sein, dass jeder Fremde, der einen Kampung betrat, laut seinen Namen, seine Herkunft und seine Begehr ausrief, damit jeder wusste, woran er war. Davon war während unserer Spaziergänge durch die Kampungs von Yogjakarta allerdings nichts zu bemerken. Die einzigen, die herumbrüllten, waren die Rikschafahrer und die Batikverkäufer. Etwas ruhiger war es in den Warungs, den indonesischen Garküchen, in denen für erstaunlich wenig Geld schmackhaftes und ausreichendes Essen serviert wurde. Die einheimischen Kunden waren kleine, flinke Personen, die ganz im Unterschied zum Ruf der asiatischer Ruhe ihr Essen verputzten, als säßen ihnen die Dämonen im Nacken. Manche hielten dabei die Reisschale vor den geöffneten Mund wie vor eine Garageneinfahrt und schaufelten den Reis mit dem Essstäbchen klumpenweise in den Schlund. Aufnehmen, reinschieben, schlucken, dann war der Reis verputzt, und die Verdauung begann. Lange herumzusitzen, die Beine unter den Tischen ausgestreckt, den Rücken halb auf der Stuhllehne abgestützt und lässig in der Gegend herumglotzen, war dagegen das Privileg der Backpacker. Hätten sie nicht ohnehin anders ausgesehen, hätte man sie an ihrer Haltung erkennen können.
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Über neunzig Prozent der Einwohner von Yogjakarta waren Moslems, doch im Unterschied zu anderen moslemischen Ländern war dieser Umstand keineswegs augenfällig. War er deswegen weniger wichtig? Keineswegs. Es handelte sich nur um einen anderen Islam, als man ihn im Westen kannte. Wollte man seine Besonderheit in einer Allegorie beschreiben, so glich die javanische Kultur einer Person, die im Laufe ihrer Biografie ihre Religion gewechselt hatte, es aber nicht übers Herz brachte, ihre farbenfrohe Erscheinung den strengeren Vorschriften des neuen Glaubens vollständig anzupassen. Man trug zwar nun ein anderes Kleid, aber das Unterfutter der alten Religion war erhalten geblieben. Bei aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen erinnerten mich die Javaner in dieser Hinsicht an die Brasilianer. Hier wie dort hatten