Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace

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Edgar Wallace - Gesammelte Werke - Edgar Wallace


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zu brechen!« lautete die Antwort. »Gute Nacht!«

      Sie fühlte einen kühlen Luftzug und drehte sich um.

      Die Tür stand offen, und Audrey wußte, daß sie entlassen war.

      Hastig eilte sie die Treppe hinunter. Als sie den Schlüssel in das winzige Loch stecken wollte, entglitt er ihren zitternden Fingern und fiel zu Boden. Sie suchte danach und fand dicht daneben einen nußgroßen Kieselstein, an dem ein Klümpchen roten Siegellacks mit dem deutlichen Abdruck eines Petschafts klebte. Sie nahm sich vor, den sonderbaren Gegenstand nächste Woche wieder mitzubringen, und steckte ihn in ihre Handtasche. Gleich darauf stand sie wieder auf der Straße.

      Ein Mietauto kam vorbei und hielt auf ihren Wink hin am Bordstein an. Schon wollte sie einsteigen, als sie plötzlich eine Frau in durchnäßtem Pelzmantel bemerkte, die sich taumelnd bemühte, den Klopfer des Nachbarhauses in Bewegung zu setzen. Trotz ihres Abscheus vor betrunkenen Frauen erregte diese Jammergestalt doch Audreys Mitleid, und sie wollte auf sie zugehen, um ihr behilflich zu sein. Aber im gleichen Moment wurde die Haustür aufgestoßen.

      »Was soll denn das heißen?« rief ein ältlicher Mann. »Wer macht hier einen solchen Spektakel vor dem Haus eines Gentlemans? Gehen Sie weg oder ich hole einen Polizisten!«

      Es war Tonger. Die Betrunkene schwankte auf ihn zu und brach zusammen. Er schleuderte sie ins Haus und schlug die Tür zu.

      »Das ist Mr. Marshalts Haus«, meinte der Chauffeur. »Er ist der afrikanische Millionär. Wohin soll ich Sie bringen?«

      Martin Elton war mit seiner Frau im Theater und schlenderte während einer Pause im Foyer umher. Er stammte aus gutem Haus, war aber durch Spiel, Wetten und manche andere Dinge allmählich immer mehr heruntergekommen. Nur ab und zu nickte ihm noch jemand aus der Ferne zu, und der einzige, der ihn anredete, war ihm unwillkommen.

      »Abend, Elton! Na, wie geht's? Stanford soll ja in Italien sein, wie ich höre? Haben Sie was vor?« fragte Slick Smith.

      »Nein.«

      »Kürzlich von Marshalt gehört?«

      »Ich weiß nicht viel von ihm.«

      »Aber ich. Er ist auch ein Dieb, und wenn er etwas stiehlt, bleibt gewissermaßen eine Lücke zurück. Aber da klingelt es schon – auf Wiedersehen!«

      Als Martin und Dora nach Hause kamen, wandte sie sich im Wohnzimmer ungeduldig an ihn.

      »Was hast du denn, Bunny? Diese Launen sind wirklich unausstehlich!«

      »Hast du etwas von deiner Schwester gehört?« entgegnete er und warf ein Scheit in den Kamin, bevor er sich niederließ.

      »Nein, und hoffentlich höre ich auch nie wieder von ihr! Die winselnde Gefängnisratte!«

      »Ich habe sie nicht winseln hören. Und ins Gefängnis haben wir sie gebracht.«

      Sie schaute ihn verwundert an.

      »Du hast sie doch selbst geradezu aus dem Haus gejagt, als sie das letztemal hier war!«

      »Ja, das weiß ich. Aber London ist ein verteufelter Platz für alleinstehende junge Mädchen ohne Geld und Freunde. Ich wollte, ich wüßte, wo sie ist.«

      »Überlassen wir sie dem Schutz Gottes«, erwiderte Dora spöttisch.

      Aber Martins Augen wurden klein und lauernd.

      »Wenn du dich so gegen deine Schwester benimmst, wie würde es dann wohl mir ergehen, wenn du einmal in aller Eile zwischen mir und deiner eigenen Sicherheit wählen müßtest?« fragte er langsam.

      »Sauve qui peut – das ist mein Wahlspruch«, erklärte sie lachend.

      Er warf seine Zigarre ins Feuer und stand auf.

      »Dora«, sagte er dann mit eisiger Stimme, »Lacy Marshalt ist kein wünschenswerter Bekannter.«

      Sie musterte ihn erstaunt.

      »Ist er unehrlich?« entgegnete sie harmlos.

      »Es gibt viele unehrliche Männer, mit denen eine Dame nicht in einem reservierten Zimmer bei Shavarri dinieren darf.«

      »Ach, du hast spioniert? Marshalt kann unter Umständen sehr nützlich für uns sein.«

      »Für mich nicht – am allerwenigsten, wenn er heimlich mit meiner Frau diniert.« Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Wenn es noch einmal vorkommt, suche ich ihn auf und jage ihm drei Kugeln durch die Brusttasche, in der er seine vorzüglichen Zigarren bei sich trägt. – Was ich mit dir machen würde, weiß ich noch nicht. Das hängt ganz von meiner Stimmung und von – deiner Nähe ab.«

      Sie war totenbleich geworden, suchte vergeblich nach Worten und lag ihm plötzlich schluchzend zu Füßen.

      »Ach, Bunny, sprich doch nicht so – schau mich nicht so entsetzlich an! Ich will ja alles tun, was du willst ... ich schwöre dir, daß nichts vorgefallen ist ... es war eine Laune von mir, daß ich hinging ...«

      Er strich über ihr goldenes Haar.

      »Du bedeutest mir sehr viel, Dora«, sagte er freundlich. »Ich habe dich nicht gut beeinflußt ... ich habe selbst die meisten guten Grundsätze über Bord geworfen, nach denen sich andere Leute richten. Aber an einem werde ich immer festhalten: ich verlange ehrliches Spiel unter Dieben, weil ich selbst ehrlich spiele!«

      Dick Shannon klopfte heftig an die Glasscheibe seiner Autodroschke, riß das Fenster auf und beugte sich vor.

      »Wenden Sie und fahren Sie an der anderen Seite entlang«, sagte er. »Ich möchte mit der Dame dort sprechen.«

      Wenige Augenblicke später stand er Audrey gegenüber und zog lachend den Hut.

      »Miß Bedford! Das ist aber eine großartige Überraschung!«

      Und es war wirklich eine Überraschung, und zwar in mehr als einer Beziehung. Audrey war keine Bettelprinzessin mehr, sie war tadellos gekleidet und sah so jung und schön aus, daß sie die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog.

      »Ich habe Sie schon wie eine Stecknadel gesucht! Als Sie Holloway verließen, kam ich drei Minuten zu spät, und nachher bildete ich mir unbegreiflicherweise ein, daß Sie sich bei der Polizei melden müßten.«

      »Nein, das blieb mir erspart. Aber ich sah Sie ein paarmal in Holloway, als Sie dort zu tun hatten.«

      Sie wußte nicht, daß er nur um ihretwillen hingekommen war, und daß sie ihm die Versetzung aus der Waschküche in die Bibliothek verdankte.

      »Ich werde jetzt einmal ganz offen und ehrlich mit Ihnen sprechen«, sagte er, als sie zum Hannover Square kamen. »Dora Elton ist doch Ihre Schwester?«

      »Eigentlich nicht – wenn ich es auch annahm. Wir haben nichts mehr miteinander zu tun. Ein Mädchen mit meiner Vergangenheit ist kein Umgang für Dora. So, nun aber genug von diesem Thema!«

      »Was machen Sie denn jetzt?«

      »Ich kopiere Briefe für einen garstig aussehenden alten Herrn und werde ungebührlich gut dafür bezahlt«, erwiderte sie etwas verlegen.

      »Wir wollen ein wenig in den Park fahren«, meinte er und winkte einen Chauffeur heran. »Dort können wir uns ungestört unterhalten.«

      In dem menschenleeren Park fanden sie zwei abseits stehende Stühle und ließen sich nieder.

      »Nun erzählen Sie mir einmal etwas Näheres über diesen garstig aussehenden alten Herrn«, begann Dick.

      Sie berichtete ihm über ihre Erfahrungen mit Mr. Malpas.

      »Sie werden es gewiß verächtlich von mir finden, daß ich das Geld überhaupt angenommen habe. Aber wenn man sehr hungrig ist und friert, hat man keine Zeit, über moralische Grundsätze nachzudenken. Als ich mich aber gemütlich im Palace-Hotel eingerichtet hatte, stiegen doch Bedenken in mir auf, und ich wollte gerade in ablehnendem


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