Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace
Читать онлайн книгу.mich nicht um Klatsch.«
Tanner wußte, daß er hier den Hebel anzusetzen hatte. Darüber mußte er weitere Auskunft haben. Aber Amersham war bestrebt, das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen.
»Ich dachte, Sie kennen sie besonders gut«, sagte Tanner in aller Unschuld, »sonst hätte ich die Frau gar nicht erwähnt.«
»Warum sollte ich sie denn genauer kennen?« fragte Amersham kalt. »Für mich ist sie die Frau eines Angestellten der Lady Lebanon – weiter nichts. Ich interessiere mich für die Angestellten – selbstverständlich nur als Arzt.«
»Gewiß«, pflichtete der Beamte bei. »Ihrer Meinung nach ist also das Gerede über – sagen wir einmal die Freundschaft zwischen Studd und Mrs. Tilling nicht am Platze.«
»Durchaus nicht«, erklärte der Arzt mit Nachdruck. »In einem so kleinen Dorf haben die Leute natürlich weiter nichts zu tun als zu klatschen und böse Bemerkungen über ihre Mitmenschen zu machen.«
Er zwang sich zu einem Lächeln.
»Eigentlich hatte ich erwartet, daß Sie mir eine Menge Neuigkeiten über den Fall erzählen könnten. In Scotland Yard weiß man doch sonst immer so gut Bescheid.«
»Sensationen erleben wir im allgemeinen nicht«, erwiderte der Inspektor leichthin, »denn unsere Behörde ist nur eine ganz gewöhnliche Regierungsstelle. Wenn Sie von aufregenden Abenteuern hören wollen, müssen Sie zum Geheimdienst oder zur politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes gehen. Aber ich möchte Sie jetzt nicht länger aufhalten. Ihr Freund wartet.«
Et reichte dem Arzt die Hand.
»Meinen Sie Mr. Hastings? Kennen Sie ihn?«
Amersham stellte die Frage ziemlich gleichgültig, aber Tanner hörte doch die Nervosität aus dem Ton heraus. Als der Beamte den Kopf schüttelte, atmete der Doktor erleichtert auf.
»Ein interessanter Landgeistlicher«, sagte Amersham. »Ich habe ihn manchmal unterstützt, wenn er Geld für die Gemeinde brauchte. Ist es übrigens wahr, Mr. Tanner, daß sich in der Mordnacht ein bekannter Verbrecher in Marks Thornton aufhielt? Ich habe davon gehört und dachte mir gleich, daß Sie dort eine wichtige Spur gefunden hätten.«
»Ich möchte Briggs nicht gerade einen bekannten Verbrecher nennen. Er ist allerdings wiederholt verurteilt worden, aber wegen anderer Dinge. Als Mörder kommt der Mann nicht in Betracht; er ist ein Fälscher. Vielleicht haben Sie ihn in Indien getroffen? Soviel ich weiß, waren Sie auch einige Zeit dort?«
Der Doktor hatte seine Gesichtsmuskeln in der Gewalt, aber er konnte doch nicht verhindern, daß er rot wurde.
»Nein, ich habe ihn niemals getroffen«, entgegnete der Arzt langsam. »Ich habe nicht einmal von ihm gehört. In Indien war ich wohl, aber das ist schon fünf oder sechs Jahre her. Damals stand ich in Regierungsdiensten, aber die Stellung war undankbar, und ich nahm meinen Abschied... die dauernde Kursänderung der Rupie... und dann die entsetzlichen Verhältnisse, unter denen man dort arbeiten mußte...«
Das Sprechen fiel ihm schwer, und er wußte kaum, wie er fortfahren sollte. Aber gleich darauf hatte er sich wieder in der Gewalt und zeigte lächelnd seine weißen Zähne.
»Wenn Sie glauben, daß ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein kann, rufen Sie mich doch bitte an, Mr. Tanner. Gewöhnlich bin ich hier in London, aber zwei bis drei Tage in der Woche halte ich mich in Marks Priory auf. Lady Lebanon und ich schreiben zusammen ein Buch über Heraldik. Das muß zunächst noch geheimgehalten werden, und ich hoffe, daß Sie nicht darüber sprechen, besonders nicht zu ihr, da sie sich sonst ärgern würde. Ich bin auf diesem Spezialgebiet eine Kapazität.«
Als Tanner die Wohnung verließ, dachte er über verschiedene Probleme nach. Der Portier saß in seiner Loge, lächelte ihn an und versuchte, die Aufmerksamkeit des Beamten auf sich zu lenken. Aber Tanner war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt. Der Vikar hatte ihm erzählt, daß Amersham bei einer wichtigen Gelegenheit zu der Dorfkirche gekommen wäre; diesen Anhaltspunkt mußte man verfolgen. Warum hatte sich der Doktor verfärbt, als Briggs erwähnt wurde? In welchen Beziehungen stand er zu diesem Verbrecher, der den größten Teil seines Lebens wegen Betrugs und Falschmünzerei im Gefängnis zugebracht hatte? Und warum hatte er mit solchem Nachdruck eine Bekanntschaft mit Mrs. Tilling abgelehnt?
Die Erklärung für die letzte Frage war ziemlich einfach; wahrscheinlich hatten die beiden, wie der Dorfklatsch behauptete, tatsächlich ein Verhältnis miteinander.
Tanner trat auf die Devonshire Street hinaus und hielt nach einem Taxi Ausschau. Im gleichen Augenblick drehte sich ein Mann, der auf der anderen Seite der Straße gestanden hatte, plötzlich um und betrachtete in einem Schaufenster interessiert die medizinischen Instrumente. Da er sich aber nicht schnell genug umgewandt hatte, konnte Tanner ihn erkennen. Es war niemand anders als Tilling, und Tanner war davon überzeugt, daß der Parkwächter die Wohnung Dr. Amershams beobachtete.
8
Der Chefinspektor wollte gerade die Straße überqueren und sich Tilling nähern, als dieser davonrannte. Der Mann mußte den Beamten in der Spiegelung des Schaufensters gesehen haben, denn er bog rasch in eine Seitengasse ab. Tanner folgte ihm, aber als er die Straße entlangschaute, konnte er den Parkwächter nicht mehr entdecken. Er bemerkte nur ein Taxi, das sich dem Ende der Straße näherte, und vermutete, daß Tilling in dem Wagen saß.
Als er nach Scotland Yard zurückkehrte, war sein Interesse an dem Mord von Marks Priory aufs neue erwacht. Während er noch in seinem Büro saß, kam Totty zurück.
»Ich habe diese Angaben nachgeprüft. Sie stimmen. Tilling hat die Nacht über in dem Gasthaus in New Cut geschlafen –«
»Sie hatten aber gar nicht Zeit genug, nach New Cut zu gehen«, entgegnete Tanner.
»So altmodisch bin ich auch nicht. Wozu gibt es denn Telefon?«
»Telefonische Anfragen sind bei polizeilichen Erkundigungen dieser Art absolut nicht am Platz«, entgegnete der Vorgesetzte streng.
»Ich kenne den Wirt persönlich sehr gut. Tilling hat dort in dem Gasthaus geschlafen und ist am nächsten Morgen zurückgefahren. Er ist übrigens ein großer Freund des jungen Tom.«
»Totty, ich gebe Ihnen jetzt einen Auftrag, wie Sie sich ihn nicht besser wünschen können. Gehen Sie nach Ferrington Court und beobachten Sie Dr. Amersham. Stellen Sie fest, ob er zu Hause ist, wann er ausgeht, wer ihn besucht und so weiter. Biedern Sie sich mit seinem Diener an – er hat einen jungen Menschen in der Wohnung. Vielleicht können Sie auch von dem Portier und den Kaufleuten brauchbare Nachrichten erhalten.«
Totty stöhnte.
»Das ist aber kaum eine Aufgabe für einen Sergeanten –«
»Sie haben wie immer unrecht, Totty. Ich würde keinen anderen damit beauftragen als Sie. Es wäre möglich, daß der Fall in Marks Priory eine ganz neue Wendung nimmt, und Sie sollen dabeisein. Aber wenn es Ihnen nicht paßt, kann ich Ferraby senden, den hält niemand für einen Detektiv –«
»Mich hält auch keiner dafür«, entgegnete Totty etwas lauter als notwendig. »Ich will nichts gegen Sergeant Ferraby oder einen jüngeren Beamten sagen, aber wenn Sie mir den Auftrag geben, werde ich ihn auch ausführen.«
Sergeant Ferraby war Totty ein Dorn im Auge, denn er hatte eine gute Schulbildung genossen. Außerdem konnte er sich tadellos benehmen, und alle Leute hatten ihn gern. Er hatte seine Begabung gezeigt; infolgedessen war er schnell befördert worden. Im geheimen bewunderte Totty ihn jedoch und versuchte sogar, ihn nachzuahmen.
Als er in die Halle des großen Wohnblocks Ferrington Court trat, hatte er nicht die geringste Hoffnung, schnell mit dem Portier oder einem der Hausangestellten bekannt zu werden.
Besonders der Portier machte in seiner Uniform mit den vielen Goldtressen einen unnahbaren Eindruck.
Hätte Tanner schärfer beobachtet, so hätte er in dem Mann mit der glänzenden Livree einen früheren Polizeibeamten erkannt, einen gewissen Bould. Totty sah das auf den ersten Blick und begrüßte