Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace

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Edgar Wallace - Gesammelte Werke - Edgar Wallace


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zu bringen. Verstehst du nicht, daß ich dich nur besuchen kann, wenn ich unter dem einen oder anderen Vorwand auch zu allen anderen gehe? Jeden Tag mache ich zehn bis zwölf verschiedene Besuche und falle den Leuten auf die Nerven – nur um dich einmal sehen zu können.«

      Sie begleitete ihn zur Tür.

      »Ich wünschte, du würdest kommen und wieder Staub wischen«, sagte sie zärtlich.

      »Und ich – ich wünschte, wir wären wieder bei dem zweiten Golfloch«, erwiderte er leise.

      Sie lachte, und er hörte sie noch auf dem Gartenweg.

      Es war keine Übertreibung, wenn man sagte, daß Artur Wilmot seit dem Tod seines Onkels unter einem ständigen Druck lebte und manchmal glaubte, den Verstand zu verlieren. Weder sein Charakter noch seine Erziehung befähigten ihn, diesen schweren Schlag tapfer zu ertragen und zu überwinden. Er hatte von seiner Mutter, einer gescheiten, aber nervösen Frau, die Schwäche geerbt, sich seinen augenblicklichen Stimmungen und Launen zu überlassen, ohne ihnen irgendwelchen Widerstand entgegenzusetzen. Er kannte keine andere Hemmung als Furcht, gab sich wenig Mühe, sich im Zaum zu halten, und war launenhaft wie ein Kind. Daß Stella zum Beispiel seinen wahren Charakter nicht früher erkannt hatte, lag daran, daß er fest davon überzeugt war, ihre Freundschaft werde sich zu gegebener Zeit so entwickeln, wie er es wünschte. Es war ihr entgangen, daß er ihr immer näherzukommen suchte. Früher hatte er nicht die mindeste Andeutung gemacht, daß er in sie verliebt sei, weil er das Geheimnis seines Lebens nicht preisgeben wollte. Er dachte, daß er dadurch ihr gegenüber aufrichtig handelte, wenigstens versuchte er, sich das einzureden. Er glaubte, sie hätte ihm im Verlauf ihres freundschaftlichen Umganges Anlaß gegeben, ihr Verhältnis enger zu gestalten. Als er sich schließlich entschlossen hatte, ihr in sorgsam gewählten Worten seine Absichten zu erklären, kam ihre Weigerung für ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

      Seine Eitelkeit gestattete ihm nicht, ihre Antwort als endgültig zu betrachten. Er überging ihre Ablehnung, indem er sich sagte, daß Frauen in solchen Augenblicken immer ein wenig sonderbar sind. Nachdem sie ihn auch ein zweites Mal abgewiesen hatte, gefiel er sich in der Rolle des Verzichtenden.

      Ob er sie liebte oder haßte, war bedeutungslos. Er liebte sich selbst, und da er den Gegenstand seiner Begierde nicht in seinen Besitz bringen konnte, wurde er ihm so teuer, daß ihm das Leben mit all seinen Schönheiten dagegen wertlos erschien.

      Die Ankunft Andy Macleods in Beverley Green, seine häufigen Besuche bei Nelsons und der Klatsch der Dienstboten trieben ihn zur Verzweiflung. Hinzu kamen noch die Aufregung über den Tod seines Onkels und die Gewißheit, daß der Verdacht auf ihn fallen könnte. Außerdem machte er sich Sorgen über seine eigene Zukunft. Sein Onkel hatte ihm Geldmittel gegeben, ein Geschäft in der Stadt zu gründen. Was mochte er in seinem Testament für ihn bestimmt haben? Hatte er überhaupt ein Testament gemacht? Er war sowohl von dem Rechtsanwalt Mr. Merrivans als auch von Polizeiinspektor Dane danach gefragt worden, denn niemand hatte ein solches Dokument entdecken können.

      Wenn er Inspektor Dane oder Andy fragte, ob irgend etwas gefunden worden sei, dachte er hauptsächlich daran. Es war merkwürdig, daß Darius Merrivan ihm sein Geheimfach im Schlafzimmer überhaupt gezeigt hatte, denn sie standen nicht gerade auf sehr vertrautem Fuß miteinander. Artur hatte sich oft gewundert, warum sein Onkel ihm in so großzügiger Weise Geld zur Gründung eines Geschäftes zur Verfügung gestellt hatte, ohne nach Einzelheiten zu fragen. Nie hatte er Zinsen von ihm verlangt oder ihn an die Rückzahlung des Geldes gemahnt, und deshalb glaubte er, daß Mr. Merrivan beabsichtigte, ihn bei seinem Tod als Erben seines großen Vermögens einzusetzen.

      Sein Onkel hatte ihn einmal gebeten, nicht darüber zu sprechen, daß er verheiratet sei. Aber er hatte ihm das Geld sicher nicht gegeben, um sich dadurch sein Schweigen zu erkaufen. Schon als naher Verwandter war Wilmot zum Schweigen verpflichtet, da die Ehe mit einem solchen Skandal geendet hatte.

      Artur Wilmot wartete, bis Andy den Weg zu Nelsons Haus einschlug, dann ging er selbst zur Wohnung seines Onkels.

      »Mr. Macleod sagte mir, daß Sie kommen würden«, erklärte der Polizeisergeant. »Er wird Ihnen mitgeteilt haben, daß Sie das Arbeitszimmer des Verstorbenen nicht betreten dürfen.«

      Wilmot nickte und stieg die Treppe hinauf.

      Drei von Mr. Merrivans Dienstboten waren entlassen worden. Sie waren alle aus Beverley und konnten leicht als Zeugen bei der Leichenschau verhört werden. Zwei der anderen Dienstboten hatte Artur bei sich aufgenommen. Sie wollten nicht in dem Haus schlafen, in dem der Mord geschehen war, obwohl sie tagsüber dort arbeiteten.

      Artur ging direkt in Merrivans Schlafzimmer. Andy konnte ja jeden Augenblick erfahren, daß er sofort von der Erlaubnis Gebrauch gemacht hatte. Es war möglich, daß der Detektiv dann gleich zurückkam, um seine Nachforschungen zu überwachen. Er blieb in der offenen Tür stehen und lauschte, ob der Beamte ihm nicht nach oben gefolgt war. Dann ging er schnell durch das Zimmer, kniete am Fußende des Bettes nieder, ergriff die geschnitzte Rose über dem Wappen und drehte sie nach links. Es knackte, er zog an, und das unter der Rose befindliche Wappen ließ sich wie eine Schublade herausziehen. Verschiedene Papiere und ein Paket Banknoten, das mit einem Gummiring zusammengehalten war, lagen darin. Außerdem befand sich noch eine Mappe mit einem Dokument im Fach. Schnell steckte er alles in seine Seitentasche, schloß die Schublade hastig und drehte die geschnitzte Rose nach der entgegengesetzten Seite. Ob noch ein zweites Geheimfach hinter dem Wappen auf der rechten Seite war? Er ging wieder zur Tür und horchte. Der Sergeant nieste eben unten. Artur wandte sich um. Aber auf dieser Seite waren Rose und Wappen unbeweglich und bildeten einen Teil der massiven Schnitzerei. Er zitterte vor Erregung und wollte so schnell wie möglich in seine eigene Wohnung zurückkommen. Aber er fürchtete, daß seine Erregtheit dem aufmerksamen Polizeibeamten auffallen könnte. Um Zeit zu gewinnen und seine Fassung wiederzuerlangen, ging er auch noch in die anderen Räume. Schließlich stieg er die Treppe hinunter.

      Der Polizist hatte sich in der Diele in einem bequemen Sessel niedergelassen und schaute von der Zeitung auf. »Haben Sie etwas gefunden, Sir?«

      »Nichts Besonderes. Ich fürchte, es hat mich ein wenig mitgenommen –«

      »Das kann ich gut verstehen«, sagte der Polizist wohlwollend. »Das ist auch der erste Mord, den ich in meiner zwanzigjährigen Dienstzeit erlebe. Mr. Macleod ist ja an. dergleichen gewöhnt außerdem ist er Arzt –, großer Gott, wie kaltblütig der über all die Sachen sprechen kann!«

      Artur verschloß die Tür seines Zimmers, zog die Jalousien herunter und drehte das Licht an. Dann erst legte er den Inhalt seiner Tasche auf den Tisch. Auf den ersten Blick sah er, daß bei den Schriftstücken kein Testament war. Er zog das gefaltete Papier aus der Ledermappe, es war ein Trauschein. Zuerst dachte er, es sei die Heiratsurkunde seines Onkels, aber dann erkannte er, daß sie die Eheschließung einer gewissen Hilda Masters, von Beruf Dienstmädchen, mit John Severn, einem Studenten, bescheinigte. Die Ehe war vor dreißig Jahren geschlossen worden. Artur war erstaunt. Warum hatte sein Onkel die Trauungsurkunde eines Dienstmädchens aufbewahrt? Er las das Dokument sorgsam durch, um vielleicht einen Anhaltspunkt zu finden. Die Hochzeit hatte in der St.-Pauls-Kirche, Kensington, London, stattgefunden. Der Name seines Onkels erschien überhaupt nicht auf dem Schriftstück, er war nicht einmal einer der Trauzeugen. Und doch mußte dieser Schein eine ungewöhnliche Bedeutung für den Toten gehabt haben.

      Als Artur die nächsten Papiere prüfte, vergaß er jeden Gedanken an das Testament.

      Es waren zwei Wechsel, einer über siebenhundert, der andere über dreihundert Pfund. Sie waren auf Albert Selim ausgestellt und von Kenneth Nelson unterschrieben. Um die Unterschrift des Akzeptanten zu sehen, wandte Artur die Schriftstücke um und fand, wie er erwartet hatte, den Namen seines Onkels. Die beiden Wechsel waren mit einer Stecknadel zusammengeheftet. Außerdem war noch ein Papierstreifen mit der Schrift Merrivans daran befestigt: Diese beiden Wechsel sind Fälschungen. Fällig am 24. Juni.

      Fälschungen! Wilmot stutzte. Wußte Stella um diese Sache? War sie deshalb am Abend des Dreiundzwanzigsten zu Merrivan gegangen? Sicher war sie eingeweiht. Das war auch die Handhabe Merrivans gegen sie, deswegen war er so sicher, daß


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