Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace

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Edgar Wallace - Gesammelte Werke - Edgar Wallace


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freundlich, und diesmal gehorchte Stay. »Nun, mein Lieber, ich habe erfahren, daß Sie ein Freund von Mr. Lyne waren.« Tarling konnte, wenn er jemand überreden wollte, so sanft und freundlich sprechen, wie man es ihm nie zugetraut hätte.

      Sam nickte.

      »Er war gegen Sie immer sehr gut, nicht wahr?«

      »Sie sagen nur gut?« Sam atmete schwer und tief. »Ich hätte meinen letzten Tropfen Blut für ihn gegeben, um ihn vor Schmerz zu bewahren. Alles hätte ich für ihn getan! Wenn ich lüge, will ich gleich tot umsinken! Er war ein Engel in Menschengestalt. Mein Gott, wenn ich jemals dieses Mädchen erwische, drehe ich ihr das Genick um! Ich will ihr das Lebenslicht ausblasen! Ich werde nicht eher ruhen, bis ich sie in Stücke gerissen habe!«

      Seine Stimme wurde immer lauter, Schaum stand vor seinem Mund, und sein ganzes Gesicht war von Haß verzerrt.

      »Sie hat ihn bestohlen! Er hat sich um sie gesorgt, hat sie geschützt, und sie hat ihn belogen und in eine Falle gelockt!«

      Er schrie auf und erhob sich, als ob er zu dem Schreibtisch gehen wollte. Seine beiden Fäuste waren geballt, und die Finger waren so krampfhaft ineinander verschlungen, daß seine Knöchel weiß wurden. Tarling sprang auf, denn er kannte diese Symptome. Aber bevor er noch ein Wort sprechen konnte, sank Sam in sich zusammen und fiel wie tot zu Boden.

      Tarling war sofort neben dem Bewußtlosen und legte ihn auf den Rücken. Er hob ein Augenlid und betrachtete die Pupille.

      »Ein epileptischer Anfall oder noch etwas Schlimmeres«, sagte er. »Es war zuviel für den armen Kerl – Whiteside, telefonieren Sie bitte nach einem Krankenwagen.«

      »Soll ich ihm etwas Wasser geben?«

      »Nein, er wird stundenlang nicht mehr zum Bewußtsein kommen, wenn er diesen Anfall überhaupt überlebt. Wenn Sam Stay etwas Belastendes über Odette Rider weiß, so wird er sein Wissen vielleicht ins Grab mitnehmen.«

      Und im Innersten seines Herzens fühlte Tarling eine gewisse Genugtuung, daß der Mund dieses Mannes nicht anklagen konnte.

      Wo war Odette Rider? Diese Frage mußte unter allen Umständen geklärt werden. Sie war verschwunden, als ob die Erde sie verschlungen hätte. Alle Polizeistationen des Landes fahndeten nach ihr. Alle Schiffe, die von englischen Häfen ausfuhren, wurden überwacht, überall, wo man sie hätte finden können, wurden unauffällig Nachforschungen angestellt. Das Haus ihrer Mutter wurde ununterbrochen beobachtet.

      Tarling hatte eine Vertagung der Leichenschau durchgesetzt. Welche Gefühle er auch gegen Odette Rider hegen mochte, er war objektiv und wollte zuerst seiner Pflicht gegen den Staat genügen. Es war vor allen Dingen notwendig, daß kein neugieriger Richter den Fall und alle Nebenumstände, die zu Thornton Lynes Tod geführt hatten, zu gründlich prüfte, bevor die Untersuchung nicht weitere Fortschritte gemacht hatte. Bei der jetzigen Lage der Dinge wäre der Verbrecher durch die Aufrollung der ganzen Angelegenheit nur unnötig gewarnt worden.

      In Begleitung des Inspektors Whiteside durchsuchte er aufs neue eingehend Odettes Wohnung, die durch den großen Blutfleck auf dem Teppich zweifellos als Tatort anzusprechen war. Der blutige Daumenabdruck an der weißen Schublade war fotografiert worden und sollte mit einem Daumenabdruck Odette Riders verglichen werden, sobald man ihrer habhaft war.

      Carrymore Mansions wo Odette Rider wohnte, war ein großes Haus mit vielen vornehmen Wohnungen. Im Erdgeschoß lagen Läden, und die Eingänge zu den Privatwohnungen befanden sich jedesmal zwischen zwei Schaufenstern. Treppen führten zu dem etwas erhöhten Kellergeschoß. Hier lagen sechs Wohnungen, deren Fenster auf den engen Hof hinausgingen.

      Die Mitte dieses Kellergeschosses bestand aus einem großen betonierten Lagerraum. Um diesen herum sah man kleine, quadratische Kellerräume, in denen die Mieter Möbel und Gepäckstücke, die nicht gebraucht wurden, abstellen konnten. Tarling entdeckte, daß es möglich war, von dem Gang des Kellergeschosses in den Vorratsraum und von hier aus durch eine kleine Tür auf der Rückseite zu dem hinteren Hof zu kommen. Ein verhältnismäßig großes Tor vermittelte den Zugang zur Straße. Es war hier angebracht worden, damit die Bewohner auf bequeme Weise mit Kohlen, Brennmaterial und anderen Vorräten beliefert werden konnten. In der kleinen Straße, die hinter dem Haus vorbeiführte, lagen etwa ein Dutzend Ställe, die alle an eine Taxigesellschaft verpachtet waren und ständig als Garagen benützt wurden.

      Wenn der Mord in der Wohnung geschehen war, mußte die Leiche auf diesem Weg in die hintere Straße gebracht worden sein. Hier hätte ja auch ein wartender Wagen wenig Aufsehen erregt. Tarling stellte Nachforschungen bei den Angestellten der Autofirma an, von denen einige in den Räumen über den Garagen wohnten, und konnte feststellen, daß der Wagen von verschiedenen Leuten in der betreffenden Nacht beobachtet worden war. Diese Tatsache war bei der ersten polizeilichen Untersuchung vollständig übersehen worden.

      Lynes Wagen war ein Zweisitzer von auffallend gelber Farbe, der schwer mit einem anderen Auto hätte verwechselt werden können. Man hatte ihn ja auch in der Nähe der Leiche verlassen aufgefunden. Er war in der Mordnacht zwischen zehn und elf Uhr beobachtet worden. Aber obgleich Tarling sich die allergrößte Mühe gab und viele Verhöre anstellte, fand sich doch niemand, der Lyne persönlich gesehen hätte, auch hatte niemand bemerkt, wie der Wagen ankam oder wie er abfuhr.

      Der Portier wurde verhört und gab die eindeutige Auskunft, daß zwischen zehn und halb elf niemand durch den Haupteingang des Gebäudes gekommen war. Zwischen halb und dreiviertel elf mochte jemand gekommen sein, denn um diese Zeit war er in seinen Raum gegangen und hatte sich umgezogen, bevor er nach Hause ging. Sein Zimmer lag unter der ansteigenden Treppe, so daß er von dort niemand sehen konnte. Gewöhnlich schloß er die Haustür um elf Uhr. Was später geschah, konnte er natürlich nicht mehr beobachten. Er gab allerdings zu, daß er an jenem Abend vielleicht kurz vor elf gegangen war, aber er wußte auch das nicht mehr genau.

      »Seine Aussage kann uns nicht viel helfen«, bemerkte Whiteside. »Gerade in der Zeit, als der Mörder das Haus betreten haben kann, nämlich zwischen halb und dreiviertel elf, war er nicht auf seinem Posten.«

      Tarling nickte. Er hatte eine genaue Untersuchung aller Keller, der Gänge und des hinteren Hofes vorgenommen, aber nirgends hatte er eine Blutspur entdeckt. Er hatte das allerdings auch nicht erwartet, denn es war ganz klar, daß das seidene Gewand Blutspuren beim Transport der Leiche verhinderte.

      »Eines steht meiner Meinung nach fest. Odette Rider muß einen Helfer gehabt haben, wenn sie überhaupt den Mord beging. Es ist unmöglich, daß sie diesen verhältnismäßig schweren Mann allein ins Freie trug. Auch hätte sie ihn weder allein in den Wagen heben noch ihn dann wieder herausziehen und auf den Rasen tragen können.«

      »Ich weiß immer noch nicht, was eigentlich die gelben Narzissen auf seiner Brust zu bedeuten haben. Und wenn er hier ermordet wurde, warum machte sie sich dann die Mühe, die Blumen auf die Brust zu legen?«

      Tarling schüttelte den Kopf. Er war der Lösung dieses Rätsels näher, als der andere ahnte.

      Als sie die Wohnung durchsucht hatten, fuhren sie zusammen nach Hydepark, und Whiteside zeigte ihm die Fundstelle in der Nähe eines Fahrweges. Er erklärte ihm auch die Lage der Leiche. Tarling schaute sich um und stieß plötzlich einen unterdrückten Schrei aus.

      »Sehen Sie einmal dorthin!« Er zeigte auf ein Blumenbeet. Whitesides Blick folgte seiner ausgestreckten Hand, und er begann zu lachen.

      »Es ist doch merkwürdig! Wir scheinen bei diesem Mord nichts anderes als gelbe Narzissen zu sehen!«

      Tarling ging zu dem großen Blumenbeet, das ganz mit gelben Narzissen bedeckt war, deren zierliche Kelche in der leichten Frühlingsbrise hin und her schwankten.

      »Hm«, sagte Tarling. »Wissen Sie mit gelben Narzissen Bescheid, Whiteside? Kennen Sie die verschiedenen Arten?«

      Whiteside schüttelte lachend den Kopf.

      »Für mich sind alle Narzissen gleich. Gibt es dabei überhaupt Unterschiede?«

      Tarling nickte. »Diese Sorte heißt Goldsporen«, erklärte


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