Heilpädagogischer Kurs. Rudolf Steiner

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Heilpädagogischer Kurs - Rudolf Steiner


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einer merkwürdigen Weise die Seelenfähigkeiten eingeteilt in Vorstellen, Urteilen und in die Kräfte der Sympathie und Antipathie, und rechnete unter die Seelenkräfte nicht den Willen. Der-Wille fiel heraus aus der Aufzählung der Seelenkräfte. Er zählte nie den Willen auf, wenn er die Seelenkräfte aufzählte. Er wollte aber ehrlich sein. Er wollte nur das geben, was sich im Bewusstsein darstellte. Nun hatte er es so weit gebracht, dass das ihm ganz Natur war, keine Vorstellung vom Willen zu haben. Nun kriegte er in verhältnismäßig spätem Alter einen Sohn. Er, der Vater, hatte durch ewiges Nicht-Denken des Willens der Leber die Anlage eingepflanzt, die subjektiven Intentionen nicht umzusetzen in die Tat. Beim Sohne trat das als Erkrankung auf. Und da können Sie sehen, warum auch dieses Sohnes Individualität gerade diesen Vater gewählt hat: weil sie nichts anzufangen wußte mit der inneren Organisation der Leber. Da hatte sie sich eine Konstitution gewählt, bei der sie sich nicht bemühen musste um die Leber. Denn die Leber war eben ohne diese Funktion, die der Betreffende nicht mit heruntergebracht hatte. Sie sehen also: in einer ganz merkwürdigen Weise muss man hineinschauen auch in das Karma, wenn man das Kind verstehen will. Das wollte ich zunächst heute einmal sagen, und wir wollen dann morgen um dieselbe Stunde weiterfahren.

      Zweiter Vortrag

      Dornach, 26. Juni 1924

      Ich machte gestern aufmerksam – wir wollen versuchen, die Dinge sozusagen aus den Fundamenten heraus zu arbeiten, um dann auf das Praktische einzugehen –, wie das gewöhnliche oberflächliche Seelenleben nur als Symptomenkomplex aufgefaßt werden darf. Wenn man auf den eigentlichen Tatbestand, der irgendeiner sogenannten Geisteskrankheit oder sogenannten Geistesschwäche bei irgendeinem Kind zugrunde liegt, kommen will, so sieht man, dass ja alle geistigen Betrachtungsweisen heute daran leiden, dass die oberflächlichen Seelenzustände einfach beschrieben werden und dann der Übergang zu dem, was tiefer liegt, also zu dem Gebiete, wo das eigentliche Seelenleben, wie wir gestern gesehen haben, arbeitet, nicht gefunden werden kann. Nun kann hier nicht eingegangen werden auf die Art und Weise, wie man bei erwachsenen Geisteskranken sich zu verhalten hat, wobei ja immer in allem Verhalten etwas Problematisches ist. Aber was möglich ist, bei Kindern zu machen, das muss alles in diesen Stunden vor unsere Seele treten. Wie wenig nun dabei das oberflächliche Seelenleben – wobei ich oberflächlich nicht abträglich, sondern nur örtlich meine –, wie sehr die Betrachtung des oberflächlichen Seelenlebens irreführen kann, dafür mochte ich Ihnen einleitungsweise ein krasses Beispiel vorführen, das gerade für Ihre Aufgabe von besonderer Bedeutung sein wird. Sehen Sie, es gibt heute einen ehemaligen Staatsanwalt Wulff en. Der hat sich vom Standpunkte der Kriminalpsychologie mit allerhand geistigen Abnormitäten beschäftigt und dicke Bücher über dieses Gebiet geschrieben. Wie kommt ein solcher Mensch, der zunächst nicht von der Medizin ausgeht, zu seinen Auseinandersetzungen? Er hat natürlich ein reiches Gebiet von abnormem Seelenleben kennengelernt in seinem Amt als Staatsanwalt, lässt sich dann wohl im reiferen Alter darauf ein, allerlei medizinische Dinge kennenzulernen, verbindet dann das, was er in seinem Berufe erfahren hat, mit dem, was er sich dann auf diese Weise später erlesen hat und bildet sich daraus eine Theorie, die einfach heute entstehen muss aus den sogenannten wissenschaftlichen Vorbedingungen. Denn entweder nimmt man die ganze Sache ernst, dann kommt so etwas heraus, wie es bei Wulffen herauskommt, oder man nimmt sie nicht ernst, dann ist man genötigt, von anthroposophischen Gesichtspunkten auszugehen. Ein eigentlicher Mittelweg ist immer ein sehr bedenklicher Kompromiss. Nun hat dieser Staatsanwalt Wulffen in Zürich jüngst einen Vortrag gehalten, und zwar auf diesem Gebiet der Kriminalpsychologie, worin er gesprochen hat über abnormes Seelenleben. Es ist wichtig, solch eine Sache ins Auge zu fassen, denn Sie sind ja diesem in jedem Momente ausgesetzt. Wenn Sie heute nachdenken über das, was Sie gelernt haben, wenn Sie ein wissenschaftliches Buch in die Hand nehmen, wenn Sie irgendein Buch aus der wissenschaftlichen Denkungsart in die Hand nehmen, so finden Sie überall die Denkformen und die Denkweise, die hier bei diesem Staatsanwalt nur in besonders radikaler Art zum Ausdruck kommt, so dass man also wissen muss, wohin gerade auf dem Gebiete des sogenannten abnormen Seelenlebens notwendigerweise die heutige Wissenschaft führen muss. Bevor ich Ihnen den Zeitungsabschnitt vorlese, mache ich Sie darauf aufmerksam, dass der Staatsanwalt noch immer eine viel größere Kapazität ist, dass Wulffen mehr Recht hat als der Journalist, der darüber schreibt. Der kann sich nur darüber lustig machen, weil er heute, Gott sei Dank, noch das Publikum hinter sich hat gegen die Psychiatrie und die Kriminalpsychologie. Natürlich gilt doch, dass in diesem Falle der Ton, in dem berichtet wird, nichts für Sie bedeuten soll, denn der Journalist ist trotzdem im Verhältnis zu Wulffen der viel Unfähigere, kann sich nur lustig machen über die Sache, aber er ahnt dabei gar nicht, dass da das Lustigmachen über die heutige Wissenschaft geht und nicht über Wulffen. Denn eigentlich müsste die Wissenschaft, in der Wulffen drinnensteht und aus der er schöpft, überall in einer solchen Weise sprechen, wenn sie aufrichtig und ehrlich wäre. Nun, jetzt lassen wir uns, weil es uns ja angeht, gerade diesen Zeitungsabschnitt einmal vor die Seele treten. Er ist überschrieben: »Schiller unter der Psychoanalyse des Staatsanwaltes.« Es müsste überschrieben werden eigentlich mit: »Friedrich Schiller unter der Psychoanalyse der heutigen Psychologie oder Psychopädagogik.«

      »Mit Fritz Schiller, vermögenslos, schwäbischer Herkunft, weiland Geschichtsprofessor in Jena und Verfasser verschiedener Revolutionsstücke, ging letzten Freitag, den 29. Februar 1924, der weit über seine Fachkreise hinaus bekannte und geschätzte Dresdener Staatsanwalt Dr. E. W. Wulffen in glänzend aufgebauter Rede über ›Die Kriminal-Psychologie bei Friedrich Schiller‹ ins Gericht und erzielte vor zahlreichem Auditorium des Zürcher Juristenvereins einen um so nachhaltigeren Erfolg, als der Angeklagte todeshalber der Versammlung nicht beiwohnen konnte und vielleicht nur mit unsichtbarer Hand auf das wies, was sie bei Lebzeiten niederschrieb.

      Herr Staatsanwalt Wulffen seinerseits ging mit wohlverzahnten Ausführungen vor; die Beweisführung klappte widerspruchslos; sogar die private Korrespondenz Schillers hatte der Staatsanwalt beschlagnahmt, wollte sagen, gelesen, und siehe da: unter der Assistenz Dr. Wulffens fiel es der Versammlung wie Schuppen von den Augen: die Liebe unseres Volkes zu Schiller und die der Jugend zu ihm wird in ihren häßlichen Wurzeln bloßgelegt: Schiller ist populär wegen der ihm eingeborenen Grausamkeit, die ihm ein Schwelgen in der düstern Pracht des Furchtbaren besonders nahelegt und ihn zu Balladen treibt, wie ›Die Kindsmörderin‹, ›Die Kraniche des Ibykus‹, ›Der Tauchen‹, ›Der Handschuh‹, ›Der Gang nach dem Eisenhammer‹, wo beispielsweise in den Hohnworten: ›Der ist versorgt und aufgehoben! Der Graf wird seine Diener loben!‹ die aus dem Kampf Schillers mit seinem siechen Körper ständig genährte Grausamkeit bedeutsam zutage tritt. Und Schillers Tragödien, in denen der Zuschauer Furcht und Mitleid erregt wird, weshalb sind sie so bühnenwirksam? Weil sie an latente Verbrecherqualitäten des Publikums appellieren und ein ungefährliches Abreagieren gefährlicher Instinkte ermöglichen. Das alles sagt Herr Staatsanwalt Wulffen und gibt sich zum Schluß als überzeugter Verehrer Schillers zu erkennen; er schließt sogar mit Goethes Epilog zur ›Glocke‹: Gott schütze uns vor unsern Freunden!

      Freilich, Herr Staatsanwalt Wulffen billigt Schillern trotz erdrückender Beweislast mildernde Umstände zu: sein Freiheitsgefühl, das aus frühzeitiger Unterdrückung und wohl im Anschluß an einen Minderwertigkeitskomplex jäh aufloht in den ›Räubern‹ und sich mählich läutert, um endlich im ›Tell‹ eine Revolution auf dem Boden der Ordnung zu verherrlichen. – Im übrigen sei Schillers Einstellung zu Gut und Böse wesentlich von ästhetischen Gesichtspunkten aus erfolgt und, wie schon gesagt, die Schlagadern, die Schillers Dichtung nähren, sind von Herrn Dr. Wulffen rasch gefunden und definiert: Grausamkeit und Freiheitsdrang. Der Kampf mit diesen Trieben, die er in der Dichtung ausgelebt hatte, habe Schiller den Weg zur Vollendung geführt.« Hier haben Sie den Minderwertigkeitskomplex, in seiner Kindheitszeit natürlich. Nun, nicht wahr, man muss sich über das eine klar sein: was herauskommen würde, wenn die heutige Wissenschaft in die Pädagogik übergehen würde und dann Pädagogen nach dem Schlage dieser Wissenschaft in diesen Schulen lehren würden, wo etwa solch ein Schiller säße. Das muss man sich ganz klipp und klar vor die Augen stellen. Nun nehmen Sie das alles zusammen, was ich gestern gesagt habe, so würden Sie eben sehen, dass, wie gesagt, gerade wie man in andern Krankheitsfällen aus eben andern Orientierungssymptomen auf den eigentlichen Tatbestand nur zurückschließen kann, so kann man auch aus dem, was das Seelenleben


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