Lügen mit langen Beinen. Prodosh Aich
Читать онлайн книгу.Übersetzungen von Kopien und die Übersetzungen von Übersetzungen eben falscher sind, auch ohne bewußte Fälschung. Aus der Natur der Sache heraus.
Wir haben wiederholt den Ausdruck „Quantensprung“ verwendet. Wir nehmen diesen Ausdruck, der aus der Atomphysik stammt, mit einer dicken Entschuldigung zurück. Gemeint haben wir mit diesem Ausdruck einen unerwartet großen Sprung auf der Entwicklungsschiene, und nicht das Verhalten von Quanten bei der Atomspaltung, das wir aus eigener Anschauung nicht nur nicht kennen, sondern vom dem wir auch keine Ahnung haben. Aber ist der Gebrauch von solchen Begriffen nicht hübsch, beeindruckend, Eindruck schindend, bluffend und fälschend?
Aber richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die unerwartet großen Sprünge und lassen uns nicht durch „Guinness–Fragen“ ablenken, wie groß eigentlich groß ist. Diese von uns erwähnten Sprünge beziehen sich auf die Eigenschaften von Speichern und Trägern des Wissens und nicht auf die Sprünge des Wissens, bzw. der Erkenntnis. Und wir müssen uns eingestehen, daß wir über die Sprünge des Wissens wenig wissen. Wieso? Wer will es wissen? Für die „moderne Wissenschaft“ ist dies eine Nichtfrage. Und Themen, mit denen sie sich nicht befaßt, sind über kurz oder lang verschüttet.
An dieser Stelle müssen wir uns auch entschuldigen dafür, daß wir zu Beginn eine Nachrichtenagentur namens Terra genannt haben, die es gar nicht gibt. Dies sollte nur ein Beispiel dafür sein, wie leicht etwas nicht Existierendes in Umlauf gebracht werden kann. Haben wir noch Zeit, Lügen und Fälschungen aufzudecken? Oder noch das Bewußtsein, daß ein Berg eine Fügung von unterschiedlich großen Steinen ist? Wir nehmen an dieser Stelle auch einen unbeabsichtigten Bluff zurück, nämlich: Es ist nicht unsere Absicht, hier nachzeichnen zu wollen, wie die Dominanz des Außenspeichers und die Verkümmerung des Kopfspeichers im Einzelnen verlaufen ist und immer noch verläuft. Auch darüber wissen wir nichts. Es gibt keine Forschung über die Verkümmerung des Kopfspeichers. Aber doch über die Entlastung des Kopfes durch technische Hilfsmittel. Diese Entlastung ist uns als die Humanisierung der Arbeitswelt schmackhaft gemacht worden. Die Hilfsmittel lassen sich ja auch leichter vermarkten als etwaige Übungsprogramme für die Steigerung der Effizienz des Kopfspeichers. Was wissen wir über die Beschaffenheit des Kopfspeichers? Wie weit ist die Entdeckung in diesem Bereich fortgeschritten? Was wissen die Gehirnforscher über die Gehirnmasse? Gehirnmasse? Kann die Zusammensetzung der Gehirnmasse beschrieben werden? Ihre Funktionsweise? Ihre Kapazität?
Wir können nicht übersehen, daß das Wissen unmittelbar mit der Wahrnehmung, mit der Entdeckung zunächst im Umfeld, und deren Verarbeitung zu tun hat. Erst das Wissen macht den Speicher erforderlich. Der Kopf als Speicher war schon immer da, auch ohne die Entdeckung seiner Beschaffenheit. Das Arbeiten mit dem Kopfspeicher setzt keine neuen Entdeckungen voraus, sondern die Erfindung von Techniken. Die Sprache ist keine Entdeckung, sondern eine Technik. Die Schrift ist ebenfalls eine Technik. Der Außenspeicher ist keine Entdeckung. Er ist ein technologisches Hilfsmittel, ein Werkzeug. Ausgetüftelte Technologien könnten bequemer zu Entdeckungen, zu Wissen, zur Wissenschaft führen, aber die Erfindung von Technologien ist keine wissenschaftliche Tätigkeit, vielmehr setzt diese Tätigkeit Wissenschaften voraus. Für die Beurteilung und Bewertung unserer Tage halten wir ein klares Auseinanderhalten von Wissenschaft und Technologie für unerläßlich. Denn nur dieses Auseinanderhalten ermöglicht uns Einblicke in das Verhältnis von Wissenschaft und Technologie. Wichtig scheint uns die Erkenntnis, daß Sprache, Schrift, Buchdruck, bis hin zum Internet, Erfindungen sind, die das angesammelte Wissen, die Wissenschaft tragen, bzw. transportieren können. Sie werden bedeutungslos, wenn die Wissenschaft verkümmert. Wem nützt es, wenn nur Bedeutungsloses hin und her transportiert wird? Auf „Moorhühner“ schießen wäre dann unterhaltsamer.
Wichtig scheint uns auch die Erkenntnis, daß der mittelbare Austausch von Wissen den unmittelbaren Austausch von Wissen nicht ersetzen kann. Aber die ständig zunehmenden Einrichtungen und die Geschwindigkeit der Übermittlung – wir haben bereits dies als unkontrollierbare Flut charakterisiert –, macht es uns schwer, den transportierten Inhalt zu fassen, zu bewerten, zu überprüfen. Immer mehr fehlen uns nicht nur die Zeit und Gelegenheit dafür. Uns fehlen auch die Menschen für einen unmittelbaren Austausch über die mittelbaren Anlieferungen. Wir werden auch den Eindruck nicht los, daß uns fortwährend eingehämmert wird, daß die Träger (Medien) die eigentliche Botschaft sind, und nicht, daß sie Botschaften tragen sollen. Der Buchdruck, das Transistorradio, das Fernsehen, das Internet sind die Botschaft, nicht die „Demokratisierung“ und nicht die Herstellung „demokratischer“ Verhältnisse. Wir alle wissen, daß diese Entwicklung nicht vom Himmel gefallen ist. Wir alle wissen auch, daß an dieser Entwicklung viele viel Geld verdienen und Macht ansammeln. Wie? Meist unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Die Besitzverhältnisse werden verdeckt. Die Gewinne werden verschleiert. Kann das gut sein?
Es scheint so richtig zu sein. Warum soll denn in einer Demokratie (Herrschaft des Volkes) einer aus dem Volk genau wissen wollen, wie ein Reicher zu seinem Reichtum gekommen ist? Schließlich ist das Steuergeheimnis eines der höchsten Güter, das in der Demokratie geschützt bleiben muß. Wird dadurch nicht verhindert, daß wir zu einem Volk von häßlichen „Sozialneidern“ verkommen und unseren Wirtschaftsbossen das eigene Land vermiesen und sie zur Flucht in die Steuerparadiese zwingen? Wem soll das dienen?
Wir nehmen unsere Herrschaft (Demokratie) ernst und wollen von den reich Gewordenen genaue Rechenschaft darüber haben, wie sie zu ihrem Reichtum gekommen sind, was der „Preis“ dafür gewesen ist und wer ihn hat bezahlen müssen. Und wir wollen uns nicht damit abfinden, daß wir Tag ein Tag aus mit unüberprüfbaren sogenannten Informationen unser Gehirn gewaschen bekommen. Aber wie? Was tun?
Wir wissen nicht, was alles dagegen zu tun wäre, um der Gefahr einer Gehirnwäsche zu entrinnen. Aber wir können darüber berichten, was wir bislang alles unternommen und was wir dabei an Einsichten gewonnen haben. Nur soviel sei im Voraus preisgegeben: Uns geht es bei dieser Übung immer besser. Wir haben klein angefangen. Mit dem Lesen. Die vielen bestallten und gelehrten Wissenschaftler haben uns mittels ihrer Bücher zu überzeugen versucht, daß die Verhältnisse in einer Demokratie, nein, in einer „repräsentativen“ parlamentarischen Demokratie, in einer durchindustrialisierten, „modernen“ Gesellschaft, eine komplizierte Sache sind. Die Sache soll so kompliziert sein, daß wir als Volk die Zusammenhänge nicht mehr durchschauen, nicht begreifen können. Welchen Sinn hätte es, wenn wir unsere eh knappen Möglichkeiten einsetzten würden, um zu erkennen, was um uns und mit uns geschieht? Warum sollen wir, das gemeine Volk, die Durchschnittsmenschen, nicht jenen Supergehirnen vertrauen lernen, die mit großer Anstrengung, mit unserem, dem Volksvermögen finanziert, ausgebildet werden? Jenen Eliten, die sich ja dank unserer Finanzbeihilfe und ihrer herausragender Intelligenz und ausgezeichneter Ausbildung den totalen Überblick und Durchblick verschafft haben? Schließlich gibt es doch „kritische Wissenschaftler“ und deren „kritische Bücher“. Beschreiben sie nicht die vielen Mißstände in der Gesellschaft in Zusammenhängen, bewerten sie die Mißstände nicht und sagen sie uns nicht genau, was zu tun ist? Ist nicht Vertrauen besser als Kontrolle? Macht nicht das Vertrauen lernen sorgenfreier und glücklicher?
Uns haben die „Wissenschaftler“ nicht überzeugt. Die anfängliche Begeisterung über die Beschreibung von Mißständen, die auch uns nicht verborgen geblieben waren, hat bei uns nicht lange angehalten. Viele der Mißstände haben wir aus eigener Anschauung und Erfahrung genauer gekannt als sie. Warum reden und schreiben sie nicht Klartext? Wieso bedienen sich Gelehrte aller Couleur oft einer diplomatischen Sprache? Auch die jämmerliche Übung des Zitierens hat uns nicht nur genervt. Wir haben den Verdacht, daß uns viele Gelehrte oft über Probleme, Verhältnisse, Zusammenhänge erzählen, die sie aus ihrer eigenen Anschauung und Erfahrung gar nicht kennen. So haben wir beim Lesen immer häufiger feststellen müssen, daß schreibende Gelehrte eher und mehr von jener Anschauung und Erfahrung zehren, die schreibende Gelehrte vor ihrer Zeit schriftlich der Nachwelt hinterlassen haben. Auffällig ist, daß schreibende Gelehrte gutgläubiger gewesen sind und heute noch sind als wir. Sie haben nicht wie wir gefragt, wie und woher ihre Vorgänger etwas gewußt haben, wenn sie uns „glauben machen“ wollen, daß sie es wirklich wissen. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß das „geisteswissenschaftliche“ Arbeiten schon immer die Fähigkeit des uneingeschränkten