Anna Q und das Erbe der Elfe. Norbert Wibben

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Anna Q und das Erbe der Elfe - Norbert Wibben


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dass du noch ein Kind bist.«

      »Das bin ich nicht! Ich bin inzwischen zwölf Jahre alt, weshalb Dad mich hier besucht hat.«

      »Jetzt schau nicht so böse. Ich möchte dir nur sagen, dass du mit diesem Verhalten ausdrückst, wie wenig du deinem Vater vertraust. Erzähle ihm alles, was du erlebst. Teile ihm die Gründe für dein Handeln mit und was du dabei fühlst. Selbst wenn er so reagiert, wie du vermutest, bin ich überzeugt, er wird es wichtig finden, dir deine eigenen Entscheidungen zu überlassen. Das bedeutet aber auch, du musst ihm die Möglichkeit geben, seine Meinung zu äußern und sie möglicherweise zu ändern.«

      »Ich habe unbegrenztes Vertrauen in ihn. Er hat mich großgezogen, zusammen mit Großmutter. Ich erzählte ihm früher alles, was ich erlebt habe. Das hier ist aber etwas anderes.«

      »NEIN! Das ist es nicht! Versprich mir, ihm von deinen Abenteuern bei uns zu berichten. Das machst du am besten gleich, nachdem ich dich von unserer Reise in den Norden zurückbringe.«

      Annas Stirn ist gekraust. Sie denkt darüber nach, was Ainoa ihr soeben sagte. Ob sie es will oder nicht, sie kommt zum gleichen Ergebnis wie die Elfe.

      »Einverstanden. – Wann soll es losgehen? Am besten jetzt. Da es Nacht ist, fällt mein Fortgehen nicht auf.« Sie springt aus dem Bett und kleidet sich an. Im ersten Moment denkt sie an den Elfenwald und den beständigen Frühling dort, dann erinnert sie sich daran, was die Elfe ihr berichtet hat. Dort liegt inzwischen Schnee! Deshalb zieht sie schnell ihre dicke Daunenjacke an und streckt einen Arm aus. Ainoa flattert darauf und blickt die Freundin mit schräg gelegtem Kopf an.

      »Wollen wir? Also los. Portaro!« Es flirrt bläulich, dann ist das Zimmer verlassen.

      Anna schrickt zusammen, als sie ein warnendes Grollen vernimmt, das sich aber sofort darauf in ein seltsames Gurren ändert. Wohin hat Ainoa sie beide gebracht? Sie wollten doch in die Anderswelt, in den Elfenwald. Sollten sie stattdessen im Nebelwald gelandet sein und werden jetzt von Wölfen bedroht?

      »Du bist offensichtlich noch müde«, vernimmt sie Ainoas Stimme. »Öffne deine Augen, dann siehst du, wo wir sind.« Das Mädchen hatte sie in dem Moment geschlossen, als sie aus ihrem Zimmer verschwanden, vielleicht ausgelöst durch den bläulichen Lichtschimmer.

      »Dragon-tan! Hey, mein Freund, lass dich kraulen.« Ein junger Feuerdrache steht im Türrahmen und kommt tollpatschig auf die zwei Neuankömmlinge zu. Er hat eine blaue Haut mit feinem, grünen Muster und rötlich-gelbe Augen, die im Schein von Ainoas Lichtkugel gefährlich wirken. Doch das trügt. Dieser Lindwurm kann zwar tödliches Feuer spucken, ist aber zu Elfen, anders als seine Artgenossen, sehr freundlich. Er reckt den Kopf nach oben und legt ihn auf Annas Schulter, wobei er zufrieden, schnurrende Laute von sich gibt, wie eine überdimensionale Katze. Das Mädchen staunt. Woher kommt die große Zuneigung? Dass sie Saphira gerettet hat, wäre ein möglicher Grund, aber dann müsste Dragon-tan Ainoa das gleiche Gefühl entgegenbringen. Doch die ignoriert er fast. Oder sollte das daran liegen, dass er das Mädchen über mehrere Wochen nicht gesehen hat, im Gegensatz zu ihrer Freundin? Als der Drache jetzt zusätzlich freudig glucksende Laute von sich gibt, weil Anna seinen langen Hals krault, gibt die Elfe ein Zeichen, still zu sein.

      »Katherin und Saphira schlafen. Wir sollten sie nicht unnötig aufwecken. Wenn du möchtest, Anna, kannst du den Rest der Nacht im Gästebett verbringen, oder wir machen vorher noch einen Spaziergang durch den winterlichen Elfenwald. Ich bin nicht müde und wäre für den zweiten Vorschlag.«

      Beim letzten Mal, als Anna in Katherins Haus war, saß Saphira auf dem Sofa im Wohnzimmer und der Feuerdrache Dragon-tan war, so wie jetzt, mittels Zauber auf etwa Annas Größe verkleinert worden, damit er Platz im Wohnraum fand. Anna weiß, der gegenüberliegende Türeingang führt zur Wohnstube, in der ein großer Schlafkorb für den jungen Drachen steht. Sobald sich die Tochter der Elfenkönigin in dem Raum befindet, weicht er nicht von ihrer Seite, doch die Nacht verbringt er in dem Korb für sich allein. Er fühlt sich als eine Art Wachhund. Saphira hatte das Drachenei gefunden und mitgenommen. Seit der Lindwurm geschlüpft ist, hält er die junge Elfe für seine Mutter, auch wenn er inzwischen weiß, dass sie lediglich eine Art Ersatzmutter ist. Der geschrumpfte Drache wirkt wie ein zu groß gewordenes Haustier und schaut die Besucher mit seinen großen Augen an. Er springt auf die Beine, als sich Anna und Ainoa Richtung Ausgang bewegen und kehrt mit fiependen Geräuschen zum Schlafplatz zurück.

      Das Mädchen zieht überrascht die Luft ein, als ihr Blick nach draußen fällt. Sie hatte wider besseres Wissen erwartet, den typischen Frühlingsduft des Elfenwaldes zu riechen und trotz der Nacht ein weiches grünes Dämmerlicht zu sehen. Stattdessen fühlt sie sich, als wäre sie gegen eine Wand gerannt. Überall liegt eine dicke Schneedecke und wirft ungewöhnlich helles Licht zurück. Die Bäume recken ihre nackten Äste in den Himmel, die von einer durchsichtigen Eisschicht überzogen sind. Nur vereinzelt stehen Nadelbäume dazwischen. Sie tragen dicke Schneemützen auf ihren nach unten gedrückten Spitzen. Die feine Duftnote nach Buschwindröschen fehlt, ebenso wie der warme, würzig riechende Hauch nach Moos und Humus.

      »Die Temperatur muss weit unter Null liegen!«, sendet sie erstaunt zur Elfe. »Stellst du irgendeinen Duft fest?«

      Ainoa trägt in Elfengestalt ihre typische Kleidung, hüllt sich aber zusätzlich in einen wärmenden Umhang. Sie zieht die kalte Luft langsam ein und schüttelt verneinend den Kopf. Sie hat sich in den vergangenen Wochen derart daran gewöhnt, dass sie erst jetzt feststellt, wie unnatürlich der Wald dadurch wirkt.

      »Lass uns dorthin gehen, wo der Schnee zuerst freudig begrüßt worden ist.« Sie hat die Worte mit Absicht ausgesprochen. Ihre Blicke verfolgen fasziniert, wie der Atem sofort zu kleinen weißen Wölkchen wird. Sie lösen sich in feine Schneekristalle auf und sinken langsam zu Boden.

      Annas Augen haben sich schnell an die geringe Helligkeit gewöhnt. Sie betrachtet die geduckten Elfenhäuser, die seltsam märchenhaft unter ihren weißen Schneemützen wirken. Wie in ihrer Welt sind auch hier die Wege weitestgehend von Schnee geräumt. Anders als dort gibt es hier aber keine Schneehügel, auf denen der Abraum der Wege gesammelt wird. Die gibt es offensichtlich nirgends, zumindest nicht, so weit das Mädchen das bei der schnellen Wanderung erkennen kann.

      »Wir nutzen Magie, um die Wege freizuhalten«, beantwortet die Elfe die unausgesprochene Frage.

      »Bekommen die Cythraul das nicht mit?« Anna denkt an den Zusatzaufwand, den die Elfen bei ihrer Suche nach Saphira treiben mussten, damit diese die Anwendung von Magie nicht mitbekamen.

      »Wir haben eine Art Schutzglocke über unseren Wald gelegt, dadurch können wir jeden Zauber nutzen, ohne sie herbeizurufen.«

      Anna schrickt plötzlich zusammen. Ein drohendes Knirschen erklingt, dann wird sie umgeworfen, bevor sie sich nach der Ursache umzuschauen vermochte. Ihr Herz pocht heftig. Was passiert gerade, werden sie von Ungeheuern angegriffen?

      »Solus! SOLUS! S O L U S!«, versucht sie, eine Lichtkugel aufzurufen, denn sie kann nichts sehen und fühlt sich gleichzeitig fürchterlich eingeengt. Doch erneut funktioniert dieser magische Spruch nicht. Sie versucht, ihre Freundin zu rufen. »Ainoa, wo steckst du? Was ist passiert?« Die Worte klingen seltsam dumpf. Sie spürt, wie eine große Übelkeit vom Bauch heraufsteigt. »Keine Panik! Du kommst hier heraus, was immer auch gerade geschieht.« Trotz der Worte, mit denen sich das Mädchen beruhigen will, erfasst es eine Art Schwindel. Erneut ruft sie nach ihrer Freundin. Passiert ihr dasselbe? Doch dieses Mal nutzt sie nicht ihre Stimme, sondern versucht es über geistigen Kontakt. »Ainoa, hilf mir! Ich bekomme keine …«, dann schwinden ihre Sinne.

      »Ich glaub es ja nicht«, ist das Erste, was das Mädchen zu hören bekommt.

      »Was ist denn? Bist du das, Ainoa?« Obwohl ihm diese Fragen durch den Kopf gehen, kann es sie nicht stellen. Die Stimme versagt. Die Zunge fühlt sich wie ein Fremdkörper im Mund an. Anna weiß, die soeben gehörten Worte stammen nicht von ihrer Freundin. Die würden sich rauer anhören, gleich dem Krächzen


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