Anna Q und das Erbe der Elfe. Norbert Wibben

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Anna Q und das Erbe der Elfe - Norbert Wibben


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      »Entschuldige, ich musste laut niesen. Habe ich dich geweckt?« Wird dieser Trick gelingen? Falls die Vertrauensschülerin nicht mehr geschlafen haben sollte, wird sie den Unterschied mitbekommen haben.

      »Gesundheit! Ja, dein Niesen hat mich aus tiefem Schlummer geholt. Ich war kurz davor, meinen Gegner schachmatt zu setzen. Es ist aber gut, dass wir wach sind. Ich sehe gerade auf der Uhr, dass es Zeit zum Frühstück ist. Also lass uns eilen.«

      Anna ist froh, dass ihre kleine List gelungen ist. Während sie sich ankleidet, grübelt sie, warum ihr bisher leichte Zaubersprüche plötzlich schwerer fallen. Ob das doch etwas mit der Dauer der Abwesenheit von der Anderswelt zu tun haben mag?

      Wie im Herbst werden jeweils zwei Spielpaarungen in den sechs Jahrgangsgruppen ausgetragen, deren Teilnehmer vorher festgelegt wurden. Am ersten Wettkampftag gehört Anna zu den Zuschauern, da ein Junge aus ihrer Klasse das heutige Spiel ihres Jahrgangs bestreitet. Da Robin antritt, hält sie sich in unmittelbarer Nähe zu dessen Tisch auf. Direkt neben ihr hampelt Roya überdreht herum.

      »Toi, toi, toi, Robin! Ich drücke dir ganz fest die Daumen!« Das Mädchen streckt aufgeregt seine Arme in Richtung des Jungen und richtet demonstrativ beide Daumen nach oben. Sie holt Luft und kichert. »Dabei brauchst du kein Glück, dein Können ist so einmalig, dass dein Gegner keine Aussicht auf den Sieg hat. Komm schon, Robin, feg ihn weg!« In diesem Moment fordern Morwenna und Innocent absolute Ruhe von den Zuschauern, wobei sich beider Blicke auf Roya richten. Anna bemerkt, wie unangenehm ihrem Spielpartner die lauten Aussprüche der Klassenkameradin sind. Seine Augen wandern zur Zimmerdecke und eine tiefe Röte zieht den Hals hinauf. Er atmet in der wohltuenden Stille tief ein und sein Blick streift kurz Annas Antlitz. Sie lächelt ihn an und konzentriert sich auf sein Match, als gestartet wird. Die Kontrahenten ziehen ihre Steine schnell vorwärts, erste Verluste entstehen auf beiden Seiten, ohne dass sich eine baldige Entscheidung abzeichnet. Anna hält mehrfach den Atem an, als sie befürchtet, Robin könne eine geschickt gestellte Falle nicht erkennen. Sie bemerkt, wie er die Augenbrauen zusammenzieht und offenbar kurz die Luft anhält. Doch dann hellt sich sein Gesicht auf. Er atmet langsam aus, um die Anspannung nicht zu deutlich zu zeigen und beseitigt durch Rückzug eines Läufers die Lücke in seiner Verteidigungsstellung. Mehrere Spielzüge später zittert Anna mit ihm, ob der Gegner Robins Falle bemerkt. Voller Konzentration presst der andere Junge die Lippen zusammen, durch die die Zungenspitze hin und her wandert. Er will seinen Springer bereits hinter die Frontlinie ziehen, als er den Zug geschickt abwandelt und zum Gegenangriff übergeht. Das Hin und Her sorgt dafür, dass diese Partie trotz des forschen Beginns am längsten von allen dauert. Es wird mittags unterbrochen und endet schließlich unentschieden.

      Von den sechs Spielen konnte lediglich Alexander seines gewinnen. Da Britta ebenfalls ein Unentschieden erreicht hat, gehen drei Siege auf das Konto der Gegenseite. Dies ist exakt das Ergebnis des letztjährigen Vergleichs zwischen den Teams. Trotzdem jubelt keine der beiden Gruppen. Sie hatten sich diesmal mehr vorgenommen. Für das Team des CC führte das Ergebnis im Herbst zu einem ersten vorsichtigen Hoffnungsschimmer, mehr als nur einen Achtungserfolg zu erzielen. Sollten es bei diesem Wettkampf nicht für den Gesamtsieg reichen, obwohl sie so sehr darauf hoffen?

      Den Rest des Nachmittags verbringen die Schüler des CC in ihren Zimmern. Eine Erkundung der Innenstadt fällt wegen der eisigen Temperaturen aus. Lediglich Morwenna verschwindet in Begleitung von Innocent bis zum Abend. Anna bekommt mit, wie sie sich gegen den Wind durch die Außentür kämpfen. Bevor diese geschlossen ist, wehen Schneeflocken in den Flur, wo sie in der Wärme schnell zu vielen Wassertropfen schmelzen.

      Was mag Morwenna vorhaben? Ob sie mit ihrer ehemaligen Studienkollegin in Ruhe alte Zeiten heraufbeschwören möchte und dafür ein Café aufsuchen will? Im Speisesaal des Internats, auch in dem kleineren, der vom Team des CC genutzt wird, ist eine private Unterhaltung kaum möglich. Doch Anna glaubt das nicht. Dann hätten sie sich in einem ihrer Zimmer treffen können. Sie vermutet, die beiden könnten irgendeiner Spur Siegfried Backs nachspüren.

      Sie weiß nicht, wie recht sie damit hat.

      Die Professorinnen haben ein Treffen mit einem Hausmeister vereinbart, der sie in die Wohnung dieses Mannes lassen soll. Morwenna hat sich als besorgte Cousine Siegfrieds ausgegeben, der sich seit Jahren nicht mehr bei ihr gemeldet habe. Sie möchte sich vergewissern, dass er nicht gestorben ist und seit Monaten in einem der Räume liegt. Die zwei Frauen sind aufgeregt, da sie nicht sicher sind, ob der Hausmeister sie ohne Beweise für die Richtigkeit ihrer Behauptung in die Wohnung lassen wird. Doch der ist wegen der möglichen Leiche derart aufgewühlt, dass er lediglich einen schnellen Blick auf Morwennas Ausweisdokument wirft. Sie hatte sich eine plausible Erklärung ausgedacht, weshalb sie bisher nie in dem Haus gesehen worden war. Doch das ist nicht notwendig. Der Hausmeister wundert sich lediglich darüber, dass sie sich derart viel Zeit gelassen hat, bis sie mit ihrer Nachforschung gestartet ist. Das erklärt sie mit einer längeren Reise ins Ausland, von der sie erst letzte Woche zurückgekehrt sei.

      Die Paarungen der zweiten Runde stehen seit der Auslosung am ersten Tag fest, genauso wie die für die drei Zusatzpartien. Das Los fiel für das CC dieses Mal auf Caitlin Neville, Finn Johanson und Ciana Blyton. Die drei sind entsprechend aufgeregt, da sie heute ihr erstes Spiel austragen werden und morgen erneut antreten müssen. Beim letzten Vergleich waren gerade diese Partien des dritten Tages für das gute Abschneiden ihres Teams ausschlaggebend. Das für das CC ausgerechnet zwei Spieler des zweiten Jahrgangs ausgelost wurden, die noch dazu Gegner aus der fünften und sechsten Klasse zugewiesen bekamen, dämpft die Hoffnung auf ein erneut gutes Ergebnis. Trotzdem ist ausgerechnet Finn zuversichtlich.

      »Ich habe es geschafft, Alexander zu schlagen, obwohl mir das keiner zugetraut hat.« Sein Blick schweift beim Frühstück zu diesem Spieler, der ihn anlächelt. »Und ihr alle wisst, wie gut Alex ist. Warum sollte ich dann nicht den Gegner des anderen Teams schlagen? Er ist nur vier Jahrgänge über mir. Das ist lediglich einer mehr als der von Alexander.« Sein angespanntes Gesicht straft seine lockeren Worte Lügen, trotzdem versucht er, Zuversicht auszustrahlen. »Ciana hat es zwar auch nicht leicht, da ihr Gegner drei Klassen über ihr ist, aber das ist immerhin eine nicht ganz so schwierige Aufgabe.« Er grinst das Mädchen an und fängt sich von ihr einen leichten Faustschlag auf seinen linken Oberarm ein. Trotz dieses Geplänkels sind beide befreundet und spielen oft gegeneinander.

      »Da habe ich ja wohl die einfachste aller Aufgaben bekommen«, beginnt Caitlin. »Mein Kontrahent ist aus der gleichen Jahrgangsstufe wie ich. Ich habe mir gestern sein Spiel angesehen. Er spielt manchmal etwas draufgängerisch. Seine Züge wirken unüberlegt, doch damit hat er unseren Benjamin in eine Falle gelockt. Das wird ihm mit mir nicht gelingen!« Ihr Blick sucht den Alexanders, mit dem sie seit Wochen viel Zeit verbringt. Er nickt zustimmend.

      »Du hast außerdem einen großen Vorteil. Dieser Gegner war beim letzten Vergleich nicht dabei, kennt also weder dich noch deine Stärken. Da du heute spielst, hat er aber auch die Gelegenheit, dich zu studieren. Wenn es möglich ist, versuche, den heutigen Gegner zu schlagen, ohne deine gesamten Fähigkeiten zu demonstrieren.« Doch das ist im Eifer eines Spiels leichter gesagt als getan, wie er weiß.

      Der zweite Wettkampftag verläuft für Anna zufriedenstellend. Obwohl sie sich noch kurz vor Spielbeginn sorgt, ihr Kontrahent könne von Ciaran instruiert worden sein, wie er seine Gegnerin aus dem Konzept bringen kann, findet das keine Bestätigung. In Gedanken bittet das Mädchen den Cousin Brittas um Verzeihung für ihre Unterstellung. Seine Entschuldigung nach dem damaligen Match ist demnach echt gewesen und aus voller Überzeugung erfolgt. Das heutige Spiel ist längere Zeit ausgeglichen. Anna nutzt erneut die von Ainoa beigebrachte Art, sich in die Partie zu versenken. Dadurch verhindert sie, in zwei besonders raffinierte Fallen zu tappen. Schließlich schafft sie es, den gegnerischen König matt zu setzen.

      Jetzt drückt Anna wie die anderen CC-ler die Daumen für Caitlin. Sie kämpft als Letzte mit dem Gegner, mit dem es Benjamin im Herbst zu tun hatte. Der hat sie zu instruieren versucht, welche Tricks dieser versuchen könnte, was ihr glücklicherweise


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