Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt. Rudolf Steiner

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Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt - Rudolf Steiner


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Seeleninhalt empfinden und aus ihm nicht die Kraft zu saugen vermögen, die ihnen Gewähr leistet dafür, dass der Mensch mit seinem Wesen sich im geistigen Weltengrund eingewurzelt wissen dürfe. Solchen Seelen imponiert die logische Natur des Gedankens; sie erkennen ihn deshalb an als Kraft, welche eine wissenschaftliche Weltansicht erbauen müsse; aber sie wollen eine für sie stärker wirkende Kraft für den Ausblick auf eine die höchsten Erkenntnisse umschließende Weltanschauung. Es fehlt solchen Seelen die spinozistische Seelenkühnheit, den Gedanken im Quell des Weltschaffens zu empfinden und so sich mit dem Gedanken im Weltengrund zu wissen. Es rührt von solcher Seelenverfassung her, wenn oft der Mensch den Gedanken beim Aufbau einer Weltanschauung gering erachtet und sein Selbstbewusstsein sicherer gestützt fühlt im Dunkel der Gemütskräfte. Es gibt Persönlichkeiten, für welche eine Anschauung um so weniger Wert für ihr Verhältnis zu den Weltenrätseln hat, je mehr diese Anschauung aus dem Dunkel des Gemüts in das Licht des Gedankens treten will. Eine solche Seelenstimmung trifft man bei J. G. Hamann (gest. 1788). Er war, wie manche Persönlichkeiten dieser Art, ein großer Anreger. Ist nämlich ein solcher Geist genial wie er, so wirken die aus den dunkeln Gemütstiefen geholten Ideen energischer auf andere als die in Verstandesform gebrachten Gedanken. Wie in Orakelsprüchen drückte sich Hamann aus über die Fragen, welche das Weltanschauungsleben seiner Zeit erfüllten. Wie auf andere wirkte er auch auf Herder anregend. Ein mystisches Empfinden, oft mit pietistischer Färbung, lebt in seinen Orakelsprüchen. Chaotisch kommt in ihnen zum Vorschein das Drängen der Zeit nach dem Erleben einer Kraft der selbstbewussten Seele, welche Stützpunkt all dem sein kann, was der Mensch sich über Welt und Leben zur Vorstellung bringen will.

      Es liegt in diesem Zeitalter, dass die Geister fühlen: Man muss hinunter in die Seelentiefen, um den Punkt zu finden, in dem die Seele mit dem ewigen Weltengrund zusammenhängt, und man muss aus der Erkenntnis dieses Zusammenhangs heraus aus dem Quell des Selbstbewusstseins ein Weltbild gewinnen. Doch ist ein weiter Abstand von dem, was der Mensch vermochte mit seinen Geisteskräften zu umfassen, und dieser inneren Wurzel des Selbstbewusstseins. Die Geister dringen mit ihrer Geistesarbeit nicht zu dem vor, was ihnen in dunkler Ahnung ihre Aufgabe stellt. Sie gehen gleichsam um das herum, was als Weltenrätsel wirkt, und nähern sich ihm nicht. So empfindet mancher, der den Weltanschauungsfragen gegenübersteht, als gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts Spinoza zu wirken beginnt. Lockesche, Leibnizsche Ideen, diese auch in Wolffscher Abschwächung, durchdringen die Köpfe; daneben wirkt neben dem Drang nach Gedankenklarheit die Scheu vor dieser, so dass in das Weltbild immer wieder die aus den Tiefen des Gemütes heraufgeholten Anschauungen zur Ganzheit dieses Bildes zu Hilfe gerufen werden. Ein solches spiegelt sich in Mendelssohn, dem Freunde Lessings, der durch die Veröffentlichung des Jacobischen Gespräches mit Lessing bitter berührt worden ist. Er wollte nicht zugeben, dass dieses Gespräch von Seiten Lessings wirklich den von Jacobi mitgeteilten Inhalt gehabt habe. Es hätte sich dann so meinte er sein Freund wirklich zu einer Weltanschauung bekannt, welche mit dem bloßen Gedanken zur Wurzel der geistigen Welt reichen will. Auf diese Art komme man aber nicht zu einer Anschauung von dem Leben dieser Wurzel. Man müsse sich dem Weltgeiste anders nahen, wenn man ihn in der Seele als lebensvolle Wesenheit erfühlen wolle. Und das müsse doch Lessing getan haben. Dieser könne sich also nur zu einem »geläuterten Spinozismus« bekannt haben, zu einem solchen, der über das bloße Denken hinausgeht, wenn er zu dem göttlichen Urgrund des Daseins kommen will. In der Art, den Zusammenhang mit diesem Urgrunde zu empfinden, wie das der Spinozismus ermöglicht, davor scheute Mendelssohn zurück.

      Herder brauchte nicht davor zurückzuscheuen, weil er die Gedankenlinien im Weltenbild des Spinoza übermalte mit den gehaltvollen Vorstellungen, welche ihm die Betrachtung des Natur- und Geistesbildes ergab. Er hätte bei Spinozas Gedanken nicht stehenbleiben können. So wie sie von ihrem Urheber gegeben waren, wären sie ihm zu grau in grau gemalt erschienen. Er betrachtete, was in der Natur und Geschichte sich abspielt und stellte das Menschenwesen in diese Betrachtung hinein. Und was sich ihm so offenbarte, das ergab ihm einen Zusammenhang des Menschenwesens mit dem göttlichen Urgrund der Welt und mit der Welt selber, durch den er sich in der Gesinnung mit Spinoza einig fühlte.

      Herder war unmittelbar davon überzeugt, dass die Beobachtung der Natur und der geschichtlichen Entwicklung ein Weltbild ergeben muss, durch das der Mensch seine Stellung im Weltganzen befriedigend empfindet. Spinoza meinte zu einem solchen Weltbild nur in der lichten Sphäre der Gedankenarbeit zu kommen, die nach dem Muster der Mathematik verrichtet wird. Vergleicht man Herder mit Spinoza und bedenkt man dabei die Zustimmung des ersteren zu der Gesinnung des letzteren, so muss man anerkennen, dass in der neueren Weltanschauungsentwicklung ein Impuls wirkt, der sich hinter dem verbirgt, was als Weltanschauungsbilder zum Vorschein kommt. Es ist das Streben nach einem Erheben dessen in der Seele, was das Selbstbewusstsein an die Gesamtheit der Weltvorgänge bindet. Man will ein Weltbild gewinnen, in dem die Welt so erscheint, dass der Mensch sich in ihr erkennen kann wie er sich erkennen muss, wenn er die innere Stimme seiner selbstbewussten Seele zu sich sprechen lässt.

      Spinoza will den Drang eines solchen Erlebens dadurch befriedigen, dass er die Gedankenkraft ihre eigene Gewissheit entfalten lässt; Leibniz betrachtet die Seele und will die Welt so vorstellen, wie sie vorgestellt werden muss, wenn die richtig vorgestellte Seele in das Weltbild richtig hineingestellt sich zeigen soll.

      Herder beobachtet die Weltvorgänge und ist von vornherein überzeugt, dass im menschlichen Gemüte das rechte Weltbild auftaucht, wenn dieses Gemüt sich mit aller seiner Kraft gesund diesen Vorgängen gegenüberstellt. Was Goethe später sagte, dass alles Faktische schon Theorie sei, das steht für Herder unbedingt fest. Er ist auch von Leibnizschen Gedankenkreisen angeregt; doch hätte er es nimmermehr vermocht, erst nach einer Idee des Selbstbewusstseins in der Monade theoretisch zu suchen und dann mit dieser Idee ein Weltbild zu erbauen. Die Seelenentwicklung der Menschheit stellt sich in Herder so dar, dass durch ihn besonders deutlich auf den ihr zugrundeliegenden Impuls in der neueren Zeit hingewiesen wird. Was in Griechenland als Gedanke (Idee) gleich einer Wahrnehmung behandelt worden ist, wird als Selbsterlebnis der Seele gefühlt. Und der Denker steht der Frage gegenüber: Wie muss ich in die Tiefen der Seele dringen so, dass ich erreiche den Zusammenhang der Seele mit dem Weltgrunde und mein Gedanke zugleich der Ausdruck der weltschöpferischen Kräfte ist? Das Aufklärungszeitalter, das man im achtzehnten Jahrhundert sieht, glaubte noch in dem Gedanken selbst seine Rechtfertigung zu finden.

      Herder wächst über diesen Gesichtspunkt hinaus. Er sucht nicht den Punkt in der Seele, wo diese denkt, sondern den lebendigen Quell, wo der Gedanke aus dem der Seele einwohnenden Schöpferprinzipe hervorquillt. Damit steht Herder dem nahe, was man das geheimnisvolle Erlebnis der Seele mit dem Gedanken nennen kann. Eine Weltanschauung muss sich in Gedanken aussprechen. Doch gibt der Gedanke der Seele die Kraft, welche sie durch eine Weltanschauung im neueren Zeitalter sucht, nur dann, wenn sie den Gedanken in seiner seelischen Entstehung erlebt. Ist der Gedanke geboren, ist er zum philosophischen System geworden, dann hat er bereits seine Zauberkraft über die Seele verloren. Damit hängt zusammen, warum der Gedanke, warum das philosophische Weltbild so oft unterschätzt wird. Das geschieht durch alle diejenigen, welche nur den Gedanken kennen, der ihnen von außen zugemutet wird, an den sie glauben, zu dem sie sich bekennen sollen. Die wirkliche Kraft des Gedankens kennt nur derjenige, der ihn bei seiner Entstehung erlebt.

      Wie in der neueren Zeit dieser Impuls in den Seelen lebt, das tritt hervor an einer bedeutungsvollen Gestalt der Weltanschauungsgeschichte, an Shaftesbury (1671 bis 1713). Für ihn lebt ein »innerer Sinn« in der Seele; durch diesen dringen die Ideen, welche der Inhalt der Weltanschauung werden, in den Menschen, wie durch die äußeren Sinne die äußeren Wahrnehmungen dringen. Nicht im Gedanken selbst also sucht Shaftesbury dessen Rechtfertigung, sondern durch den Hinweis auf eine Seelentatsache, welche dem Gedanken aus dem Weltengrund heraus den Eintritt in die Seele ermöglicht. So steht für ihn eine zweifache Außenwelt dem Menschen gegenüber: die »äußere« materielle Außenwelt, die durch die »äußeren« Sinne in die Seele eintritt, und die geistige Außenwelt, welche durch den »inneren Sinn« dem Menschen sich offenbart. Es lebt in diesem Zeitalter der Drang, die Seele kennenzulernen. Denn man will wissen, wie in ihrer Natur das Wesen einer Weltansicht verankert ist. Man sieht ein solches Streben in Nikolaus Tetens (gest. 1807). Er kam bei seinen Forschungen über die Seele zu einer Unterscheidung der Seelenfähigkeiten, welche gegenwärtig in das allgemeine Bewusstsein übergegangen ist: Denken, Fühlen und Wollen. Vorher unterschied


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