Nachtmahre. Christian Friedrich Schultze

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Nachtmahre - Christian Friedrich Schultze


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der 2. Abteilung des 56. Panzerkorps im Raum Neu Tucheband-Hackenow abzusprechen gewesen. Die Artilleristen waren erfahrene, praktische Leute. Es hatte keine größeren Schwierigkeiten gegeben.

      Nun wollte der Alte wissen, wie es stand. Er saß in den Bunkern der zweiten Linie, unweit der fünfzehn eingegrabenen Panzer seiner Abteilung.

      Wauer ahnte, was ihn erwartete. In diesen Tagen einen Urlaubsantrag zu stellen, grenzte beinahe an Hochverrat.

      Hochverrat war es auch, nicht an den Endsieg zu glauben. Das zeigten die zahlreichen Gehenkten entlang der Straße bei seiner Rückfahrt nach Seelow. Es musste schon sehr schlimm stehen, wenn so etwas unter den paar restlichen Zivilisten nötig schien, die hier in der Gegend geblieben waren. Er nahm sich vor, mit seinem Major darüber zu reden.

      Der Kübelwagen ratterte in Weinberg ein und verschwand sofort im Unterstand. Mittlerweile war die Sonne hinter den Hügeln versunken. Die Wolken nahmen eine rosaviolette Färbung an und umränderten sich mit einem gleissenden hellen Schein. Wauer brachte die zweihundert Meter bis zum Bunker schnell hinter sich. Es war 16.30 Uhr, als er eintrat.

      Er musste sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, nachdem die schwere, niedrige Tür ins Schloss gefallen war.

      „Oberleutnant Wauer von Gefechtsfeldabstimmung mit Artillerieabteilung vier...“

      „Den Rest kannst du dir sparen“, unterbrach ihn der Major. Er war im Dunst des Tabakrauches und im Halbdunkel des von einer kleinen Petroleumlampe nur spärlich erleuchteten Raumes kaum zu erkennen.

      „Setz´ dich erst mal hin und erzähl´ in Ruhe, was da vorne los ist“, fuhr er fort.

      Dieser Empfang war unerwartet freundlich. Wauer nahm Platz und sah jetzt auch die Flasche mit rotem Burgunder stehen. Er begann sich zu wundern. Was war mit dem Alten los? Was hatte er vom Stab in Wriezen mitgebracht?

      „Was soll`s schon geben?“, erwiderte er einigermaßen missmutig. „Die Infanterie hat sich eingegraben, als wollten sie rundherum Krieg führen. Ein MG-Nest am anderen. Alles wunderbar pioniermäßig vermint und verdrahtet. Da findet kaum noch jemand durch. Mittendrin sitzen die B-Stellen der Artillerie, die werden uns über C 3 mitversorgen. Besser kann es also gar nicht sein.“

      „Na gut, trinken wir erst mal was“, brummte Mosig und schenkte zwei Gläser voll. Er sah im Moment nicht besonders gepflegt aus, war unrasiert, hohlwangig, mit Ringen unter den Augen. Seine Uniform stand offen, und er rauchte eine schwere Zigarre.

      „Wie lange geht heute dein Dienst?“

      „Bis 18.00 Uhr.“

      „Na, dann ist er ja gleich vorbei. Da können wir uns also einen genehmigen, oder was dagegen?“

      Wauer hatte auf dem Tisch ein Bündel Papiere entdeckt, ohne jedoch erkennen zu können, ob diese etwas mit seinem Antrag zu tun hatten. Natürlich war er nicht dagegen, einen mit dem Alten zu heben. Er war froh, dass er so freundlich behandelt wurde.

      Den erwarteten Anschiss hätte er mit Sicherheit im Stehen in Empfang nehmen müssen. Offenbar wollte der Major irgend etwas von ihm.

      „Mach dir`s bequem, Wauer; nimm `ne Zigarre.

      Du bist also der Meinung, dass es gar nicht besser sein könnte. Das ist sehr interessant.“ Dabei dehnte er das „sehr“ ironisch.

      „Den Umständen nach, Major, den Umständen nach!“, beeilte sich Wauer einzuschränken.

      „Komm, Wauer, wir brauchen uns doch nichts vorzumachen! Wir doch nicht! Das sieht hier elend nach Dünnschiss aus. – Wie lange sind wir nun zusammen?“

      „Wird wohl bald drei Jahre sein.“

      „Drei Jahre. Ziemlich lange für Kriegszeiten. Manch einer war nur ganz kurz dabei. Lauch, Bröcker, Maschek, alle abgeschossen. Waren prima Kerle. Haben aber Pech gehabt. Und ließen junge Witwen zurück. Wir beide hatten Glück bis jetzt. Erinnerst du dich noch an den Kessel von Brest-Litowsk? Da besonders!“

      „Wer könnte das vergessen?“

      „Hab ich immer als unfair empfunden, diesen Partisanenkrieg. Damals haben wir sie wenigstens mal erwischt und richtig verhauen. In jener Nacht habe ich dich ziemlich bewundert. Wir kannten uns kaum. Ich war neu zu euch gekommen. Du hast wie ein Fallschirmjäger um dich gehauen. Hätte nie gedacht, dass ein Panzermann so etwas kann.“

      „Wir haben`s eben noch richtig gelernt. Die armen Schweine, die später kamen, waren meist nur halb ausgebildet. Kein Wunder, dass sie`s oft nicht lange machten.“

      „Seltsam, wie man in diesem Wahnsinnsgeschäft auf solche Dinge wie Menschlichkeit und Opferbereitschaft trifft. Solche Kameradschaft, wie du sie hier findest, gab es im Zivilleben nie. Wer setzt da schon sein Leben für einen anderen auf`s Spiel? Für ein bisschen Wasser vielleicht oder um ihn aus der Linie rauszuholen.

      Ist dir übrigens aufgefallen, dass die Besten meist keine Nazis waren?“

      „Habe ich, ehrlich gesagt, noch nicht darüber nachgedacht.“ Dass Mosig kein Nazi war, wusste Wauer längst.

      „Doch, doch! In der Truppe gibt`s sowieso nicht viele von denen. Die haben alle wichtigere Posten und müssen geschont werden. Allmählich ist eben alles anders geworden in unserem Krieg gegen die Bolschewisten. Wo liegt jetzt noch der Sinn? Was nützte uns unser bürgerlicher Ehrgeiz, den wir vor dem Krieg für das Wichtigste hielten? Du als Ingenieur und ich als Hotelier? Im Krieg verliert alles seinen Sinn. Sogar die Zeit danach.

      Hier befehle ich über Arbeiter und Professoren, und sie unterscheiden sich in nichts voneinander. Höchstens, dass es den Herren Studiosi weniger gelingt, zu überleben. Wenn`s mal brennt, gehen sie komischerweise meistens als erste drauf. Ich hab nach alledem nicht mal mehr besonderes Mitleid mit ihnen.“

      Wauer schwieg. Er dachte ganz ähnlich.

      Sie tranken. Sie rauchten. Sie dachten an zuhause.

      Nach einer Weile fing Mosig wieder an.

      „Ist dir eigentlich klar, was hier mit uns gespielt wird?“

      „Ich glaub` schon“, erwiderte der Oberleutnant.

      „Na gut, ich wird dir mal was erzählen. Ich war nämlich heute bis Mittag beim Stab, und es war sehr interessant.“

      Er zündete sich eine neue Zigarre an. Wauer lehnte ab. Mosig öffnete eine weitere Flasche, die er unter der Bank, auf der er saß, hervorgezogen hatte.

      „Du hast doch bestimmt nur einen Gedanken, mein Lieber: Dass dein Weib in den nächsten Tagen entbindet und dass du zu ihr willst. Aber weißt du, wozu wir uns hier dermaßen eingraben mussten und warum wir unsere Panzer in Artillerie umfunktionieren?“

      Er hob wieder das Glas. Er raucht zuviel, dachte Wauer. Irgend etwas wollte der Alte loswerden, das spürte er, obwohl es ihm allmählich an den Nerven zerrte, dass Mosig damit nicht herausrückte.

      „Ich denke, dass hier im Oderbruch bald eine wichtige Entscheidung fallen wird“, versuchte er, das Gespräch vorwärts zu bringen.

      „Sicher! Genau das, Wauer. Deshalb feiern wir beide auch Abschied. Wäre schließlich schade um meine letzten Bestände, würden sie den Russen in die Hände fallen.“

      „Abschied?“, fragte Wauer, leicht verdutzt und ungläubig, da ihm die Zusammenhänge zunächst noch schleierhaft blieben. „Also Wauer, du bekommst einen Sonderbefehl. Urlaub kann dir natürlich jetzt niemand geben. Ab heute mittag ist höchste Alarmbereitschaft. Der Zufall will es, dass der Alte einen Kurier nach Berlin braucht, um einen Koffer von ihm dorthin zu bringen. Offiziell wirst du Verbindungsoffizier für eine neue Sache im Raum Teupitz, falls wir nach der hier noch bis dahin kommen sollten. Ich habe gleich an dich gedacht, und der Alte war einverstanden. Von Teupitz musst du weiter nach Torgau. Wenn du geschickt und schnell bist, kannst du einen kleinen Umweg über Zuhause machen.“

      Wauer fühlte sich einen Augenblick lang ganz leicht. Ein Gefühl


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