Nachtmahre. Christian Friedrich Schultze

Читать онлайн книгу.

Nachtmahre - Christian Friedrich Schultze


Скачать книгу
erwiderte der Major. „Du schlägst dich bis Torgau durch. Musst aber vorsichtig sein, da unten sollen bereits die Amis stehen, wie weit genau, weiß ich nicht. Alles weitere steht hier in den Unterlagen. An der Elbe wartest du auf uns. Sollten wir nicht kommen, ist es auch gut. Dann bist du wenigstens näher am Ami.“

      „Steht es denn so schlecht um uns hier?“

      Mosig sah eine Weile vor sich hin. Er rauchte und trank. Er vertrug mehr als Wauer.

      draußen zischte hin und wieder eine Leuchtrakete gen Himmel. Oder es hämmerten ganz weit unten schwache MPi-Salven aus den vordersten Linien bei Reitwein.

      „Weißt du“, erwiderte schließlich der Panzer-kommandant, „wir hassen die Bolschewisten beide. Was der Stalin aus den Russen gemacht hat, ist unmenschlich. Aber die überrollen uns; die überrollen uns einfach. Etwas ist bei uns faul. Dieser Meinung ist auch der Alte. Er macht einen mächtig sauren Eindruck.“

      „Wie steht es denn wirklich?“, fragte Wauer, inzwischen leicht benebelt.

      „Schlecht, verdammt schlecht.Echter Dünnschiss, was wir hier machen müssen. Taktisch gesehen liegen wir natürlich ganz gut, aber das wird uns nichts mehr nützen.

      Schicklgruber hat bis Berlin noch etwa eine Million Mann zusammengekratzt und sich in verschiedenen Staffeln eingraben lassen, sagt der Alte. Wir haben jedoch viel zu wenig Material und Munition.

      Mir ist völlig unklar, wieso wir den Iwan aus seinen zwei Brückenköpfen bei Reitwein und Kienitz nicht längst wieder rausgeschmissen haben. Stattdessen lassen wir ihn in aller Ruhe aufmarschieren. Hier, zwischen Wriezen und Lebus, liegen wir mit etwa hunderttausend Mann fünfhunderttausend Russen gegenüber. Seit Wochen haben wir nichts gemacht. Flugzeuge scheint es auf unserer Seite überhaupt keine mehr zu geben. Der Küstriner Kessel ist inzwischen auch dicht.

      Der Alte sagt, dass der Russe den Fall der Festung schon am 5. März gemeldet hat. Reinefahrt funkt aber immer noch aus der Zitadelle, behauptet, er habe noch viertausend Mann beste Waffen-SS und genügend Material. Er hofft, dass wir ihm helfen, eine Gasse freizuhaun. Machen wir aber nicht, sagt der Alte.“

      Müller, der Adjudant Mosigs, unterbrach die beiden und meldete den Offizier vom Dienst.

      „Soll reinkommen!“, brummte Mosig.

      Der OvD meldete. Er hob dabei die Hand nicht zum deutschen Gruß, was der Major wiederum zu übersehen schien. Dem OvD war anzumerken, dass ihn das Gelage, welches er sah, nicht gerade fröhlicher stimmte. Vielleicht hatte sich auch etwas von Wauers Auftrag herumgesprochen.

      „Ist also alles klar, Kunze?“, knurrte der Major.

      „Jawohl, Herr Major. Nachtplan A und B mit x plus 15 beziehungsweise x plus 5 eingewiesen. Nächste Vierundzwanzigstundenwache ab 20.00 Uhr eingeteilt. Telefon- und Funkverbindungen stehen. Wir brauchen noch die Parole.“

      „Sind die Panzer besser eingegraben und die Schussbereiche ordentlich verteilt? Ich habe heute Nachmittag einige Schlampereien gesehen und den Männern gesagt, sie sollen das ändern. Ihr denkt wohl, wenn`s losgeht, müssen wir nur nach vorne schießen? Wenn der Iwan erst mal in den Gräben ist, wird ohne Rücksicht nach allen Seiten geballert. Die schaffen`s in die zweite Linie, darauf können sie sich verlassen! Und trainieren sie mit den Fahrern im Geist noch mal das Rausrücken! Das müssen die auf Anforderung im Schlaf können. Wenn wir abhauen, muss alles fünfhundertprozentig klappen. Wer nicht mitkommt, ist dann selbst schuld.

      In einer Stunde bekomme ich dazu ihre Vollzugsmeldung. Danach sollen die Leute schlafen. Geben sie etwas zu trinken aus, aber nicht zuviel.

      Ist was zu essen gemacht worden?“

      „Jawohl, Herr Major!“

      Mosig nannte jetzt die Parole.

      „So, dann können sie abtreten, Kunze, aber leise, bitte.“

      Leutnant Kunze entfernte sich, nicht ohne Wauer noch einen missbilligenden Blick zuzuwerfen.

      „Müller!“, brüllte Mosig, damit der Adjudant ihn hinter der geschlossenen Tür hören konnte. „Machen sie mir `ne Verbindung zum Alten für meine Meldung. Und bringen sie eine von den beiden letzten Flaschen, sie wissen schon!“

      Müller brachte umgehend das Gewünschte. Es war amerikanischer Whisky. Eine erstaunliche Tatsache in dieser Lage. Der Major äußerte sich jedoch nicht weiter über Herkunft und Umstände.

      „Leider können sie heute nichts abbekommen, Müller“, sagte er. „Einer von uns beiden muss diese Nacht einen klaren Kopf behalten. Sie kriegen morgen etwas von der letzten. Und jetzt machen sie schleunigst die Verbindung zum Oberst, der wird bereits warten.“

      Müller verschwand im Nebenraum

      „Wo war`n wir stehengeblieben?“, fragte Mosig.

      „Bei Reinefahrt.“

      „Ja, den lässt man jetzt fallen. Aber der Alte hat mir heute noch was viel Wichtigeres gesagt. Er und die vom Stab glauben, der Gefreite will hier lediglich Zeit gewinnen und hofft, dass der Iwan sich an uns nochmal den Kopf richtig einrennt. Aus dem Süden wollen sie angeblich sogar Nachschub heranbringen, um dann die Russen, wenn sie sich hier ausgeblutet haben, anschließend einzukreisen und fertigzumachen. Der Alte ist dagegen überzeugt, dass das gar nicht mehr geht. Der Iwan ist viel zu breit aufgezogen. Südlich von Lebus hat er nämlich schon fast die Ukrainischen Fronttruppen heran, wenn die Informationen der Aufklärung stimmen. Und nördlich von Küstrin ist bis Stettin eine neu formierte polnische Armee mit dabei. Mit einer einzigen Armee diesem ganzen Ansturm standzuhalten, ist völlig unmöglich, meinen die vom Stab. Der Oberst glaubt, dass die in Berlin in Wirklichkeit darauf setzen, dass der Russe mit dem Angriff noch wartet, um eine genügende materielle Überlegenheit zu erreichen. So wollen sie Zeit gewinnen. Und weißt du, wofür? Um mit den Amis ins Geschäft zu kommen!

      Denen setzen wir immer weniger entgegen. Weißt du, was das heißt? Nichts anderes, als dass wir hier verheizt werden sollen. Denn der Befehl lautet, Kampf bis zur letzten Patrone. Wieder einmal!

      Der Alte ist stocksauer. Ich glaube, er hat irgendwas vor, aber er sagt nichts. Vielleicht will er im richtigen Zeitpunkt hier raus mit uns. Möglicherweise hat dein Befehl damit etwas zu tun.

      Man schimpft übrigens schon ziemlich offen auf die in Berlin. Ich glaub` nicht, dass aus dem Handel mit den Amerikanern etwas wird. Die sind im Westen trotz allem ziemlich konsequent. Und wieso haben sie im Februar Dresden kaputtgemacht? Das passt alles irgendwie nicht zusammen.“

      Müller meldete endlich die Verbindung zum Oberst. Der Major ging hinüber. Sein Gang wirkte schwerfällig. Wauer wunderte sich, dass er im Gegensatz dazu kaum Hemmungen seines Redeflusses erkennen ließ. Er selbst spürte jedenfalls die Wirkung des Alkohols jetzt deutlich. Immer noch hatte er das Gefühl, dass Mosig etwas ganz bestimmtes von ihm wollte. Hoffentlich rückte er bald damit heraus, bevor im Alkoholdusel alles unterging.

      Als Mosig wiederkam, wirkte er einen Schein blasser als vorher. Auch nüchterner. Er setzte sich und rauchte erneut eine Zigarre an.

      „Ist was passiert?“, fragte Wauer.

      „Wenn ich den Alten richtig verstanden habe, ja. Er machte allerdings nur Andeutungen. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Aber es scheint, Reinefahrt will nicht länger warten und morgen versuchen, zu uns herüberzukommen. Er will Hilfe, aber man lässt ihn alleine machen, um nichts unnötig in Bewegung zu bringen. Eine Sauerei ist das alles, man könnte glatt verrückt werden.“

      Er goss Whisky nach. Sie tranken weiter.

      „Könnten wir denn überhaupt etwas machen?“

      „Haben doch alle keine Lust mehr und sind froh über jeden Tag, an dem es nicht kracht. Aber das ist es ja gerade! Weißt du, wie viele sich jedesmal sinnlos zusammenschießen lassen mussten, weil die schnell ernannte Festung unter allen Umständen gehalten werden sollte? Oder glaubt dieser Verrückte, dass es den Russen etwas ausmacht, tagelang Trommelfeuer


Скачать книгу