Am anderen Ende der Sehnsucht. Stefan G Rohr
Читать онлайн книгу.Säure ist aufgrund des jungen Alters natürlich noch vorhanden. Falls Sie eine solche nicht so gern haben, empfehle ich ein paar Jahre zurückzugehen und Sie zum Beispiel die nun schon vierjährige Lese probieren zu lassen. Ebenso mit großer Fruchtigkeit, leichter Süße, bereits schon ein wenig öliger Konsistenz. Mit einer sanften Pfirsichnote und einem wunderbaren Abgang, der Sie begeistern wird.“
Leon zögerte nicht lange. „Womit sollte ich anfangen …?“
Das Lächeln der jungen Frau wurde noch einmal strahlender: „Beginnen Sie mit dem jungen Riesling. Ich werde Ihnen nur ein halbes Gläschen einschenken, damit Sie hiernach noch den einen oder anderen probieren und genießen können. Einverstanden?“
Leon nickte zufrieden. Er war mehr als einverstanden.
Im Nu stand ein zweifingerhoch gefülltes Weißweinglas vor ihm. Ein helles Gelb leuchtete in der Sonne, und als Leon an dem Glas zu riechen begann, zog ihm ein fruchtig leichtes Bouquet in die Nase, setzte sich an seinem Gaumen ab und erfüllte seinen Sinn mit einer Leichtigkeit und Frische, die er so nicht erwartet hatte. Leon nahm einen winzigen Probierschluck, und er stellte sofort fest, dass dieser Riesling, obwohl noch jung und frisch, eine bemerkenswerte Qualität aufwies, die sicher nicht gewöhnlich war.
Die junge Frau beobachtete Leon aufmerksam, aber auch gespannt auf seine Reaktion. Und als sie merkte, dass ihm der Wein mundete, hüpfte ihr Herz ganz kurz einmal auf. Und ihr Gast schien verständig zu sein, genießen zu können. Sie drehte sich um und ging leise wieder zurück in ihr Geschäft. Er würde vielleicht sogar ein oder zwei Flachen mitnehmen wollen. Sie würde sich darüber freuen.
Ein feines Plätzchen, schoss es Leon nun durch den Kopf. Ein wenig abseits der Touristenströme, in einem ruhigen Gässchen mit Sonne und einem mehr als trinkbaren Glas Riesling. Die Hektik war wie fortgeblasen, die Masse verirrte sich hierher wohl nicht, der Herdentrieb funktionierte zu gut. Das Herz der Lemminge schlägt eben eindeutig anders.
Vor der Türe hielt der Postbote, in der Hand ein paar Briefe, und rief durch die offene Tür ins Haus hinein: „Isabella! Poooost!“
Leon vernahm ein paar schnelle Schritte, dann erschien die junge Frau in der Türe und hielt dem Boten ein gut gefülltes Glas mit bernsteinfarbenem Inhalt entgegen. Mit einer Selbstverständlichkeit, natürlich nicht ohne ein wenig zu lächeln, ergriff dieser das Glas und überreichte der edlen Spenderin im Gegenzuge die Post, worauf die junge Frau, die offensichtlich Isabella hieß, dankend nickte, nicht ohne einen schnellen Seitenblick auf ihren sitzenden Gast zu werfen.
Leon beobachtete die sich vor ihm gerade abspielende Szene mit einem neugierigen Interesse. Der Postmann schien ein Kenner zu sein, zudem auch sein Tagwerk mit großer Gelassenheit und bar jeder Eile zu begehen. Denn mitnichten stürzte er das Glas hinunter. Vielmehr nippte er fachmännisch, ließ den winzigen ersten Schluck in seinem Gaumen kreisen, spitzte dabei die Lippen, als wolle er ein Lied pfeifen, bis er nach etwa vier bis fünf Sekunden den edlen Tropfen in seiner Kehle verschwinden ließ. Es folgte vernehmlich ein Schluckgeräusch, hiernach zufriedenes Schmatzen, begleitet von einem Einziehen von Luft in den nun wieder leicht gespitzten Mund. In kurzen Zeitabständen wiederholte der Mann das Spiel, einmal hielt er das Glas schräg gegen die Sonne, lies es kurz kreisen, und steckte dann seine Nase, die jetzt Leon als auffällig lang erschien, wie einen Rüssel tief in das Gebinde hinein, um kurz darauf einen etwas größeren Schluck zu nehmen.
Er sprach dabei kein Wort, und es störte ihn auch nicht im Geringsten, dass ihn sowohl die junge Frau, als auch der sitzende Gast in dieser Prozedur nicht aus den Augen ließen. Was Isabella anbelangte, war ihre Aufmerksamkeit dem Ansatz geschuldet, im Postmann einen wohl durchaus geeigneten Qualitätsprüfer ihres Weines zu wissen, so war sie einfach nur auf dessen Urteilsfindung gespannt. Leon hingegen amüsierte die Szene als solche. Ein Postbote als Weinexperte, der wohlmöglich nicht nur hier seine Kostproben erhält, sondern auch an anderen Orten, an denen ebenfalls Weine offeriert wurde, das ganze Städtchen war ja voll mit solchen. Wohlmöglich würde er auf diese Weise täglich mit einem netten Schwips in den Feierabend gehen, mitunter dann auch einmal gut gefüllt. Nach Leons Vermutung müsste der Dienstmann somit Junggeselle sein, denn welche Ehefrau möchte es erdulden, dass der Vater ihrer Kinder täglich berauscht nach Hause kommt.
Als das Glas leer war, nickte der Postbote mit einem kaum vernehmbaren Grunzen in die Richtung der jungen Frau, reichte ihr das Glas zurück, wischte sich noch kurz mit dem Handrücken über den Mund, und sodann drehte er sich um und schob sein Fahrrad mit samt der noch auszutragenden Post für alles Nachfolgende von dannen. Leon schaute ihm noch einige Zeit hinterher, unschlüssig, ob er ihn für seinen Job beneiden, oder ob er besser die Trinkfestigkeit des Mannes bewundern sollte. Die junge Frau war währenddessen schon wieder in ihrem Lädchen verschwunden, denn sie hatte bemerkt, dass ihr nunmehr wieder einziger Gast sein Glas noch nicht geleert hatte.
Als dieser sich nun eine Zigarette anzündete, kam sie wieder heraus, griff in ihre Schürze und holte ebenfalls ein Päckchen heraus. Dann setzte sie sich auf den zweiten Stuhl auf der anderen Seite der Türe, nahm ein Streichholzbriefchen und dann glühte auch ihre Zigarette, womit sie einen kräftigen Zug tätigte, um den Rauch hörbar genussvoll und tief in ihre Lungen zu ziehen. Sie blickte in die Gasse, ohne jedoch etwas zu fixieren. Vielmehr war es so, als ließe sie für einige Momente einfach nur ihren Blick schweifen, als wäre sie allein und niemand würde sie beobachten. Doch Leon blieb gar nichts anderes übrig, als zu ihr zu schauen und er überlegte, was er diese stille Situation ohne Aufdringlichkeit durchbrechen sollte. Die junge Frau aber kam ihm zuvor.
„Gefällt Ihnen unser kleines Wein-Mekka?“ Und als sie das fragte, sah sie weiter geradeaus, als würde sie ein wenig träumen.
„Es ist mein erster Tag.“ antwortete Leon ruhig. „Aber wenn es immer so viele Touristen hier gibt, dann zweifle ich, ob es mir auf Dauer genehm sein wird.“
Die junge Frau sah ihren Gast nun direkt an. „Auf Dauer?“ Ihr Erstaunen war ehrlich. „Sie wohnen hier?“
Leon grinste. „Ja! Um genau zu sein: seit gestern Abend.“
„Erstaunlich!“ rief Isabella aus. „Wirklich sehr erstaunlich!“
Leon lächelte verlegen. Er verstand nicht, was an seinem Zuzug in dieses Städtchen erstaunlich sein sollte und so fragte er zurück: „Was erstaunt Sie denn sosehr daran …?“
Die junge Frau zog erneut an ihrer Zigarette. „Naja,“ begann sie langsam, „in Zeiten, in denen die jüngeren Männer allesamt in die umliegenden größeren Städte ziehen, nur die alten Jungfern und die Großeltern hier sitzen bleiben, ist es doch erstaunlich, dass mal jemand wie Sie sich entscheidet, hier wohnen zu wollen.“
Obwohl Leon überzeugt war, dass seine Gesprächspartnerin es durchaus ernst meinte, musste er ein wenig schmunzeln. „Im Moment sehe ich alles andere als alte Jungfern.“ erwiderte er mit einer ordentlichen Portion Charme. „So schlimm kann´s demnach doch nicht sein, oder?“
„Urteilen Sie lieber, wenn Sie den ersten Winter hier überlebt haben sollten.“ antwortete Isabella mit hörbarer Bitterkeit. „Von Mai bis Oktober ist hier alles im Touristen-Modus. Danach klappen wir dann die Bürgersteige hoch und sitzen mit unserem Strickzeug für einige Monate dann am glühenden Eisenofen, so wie vor zweihundert Jahren auch schon.“
„Mit den Vorräten an schönen Weinen, die Sie hier ihr Eigen nennen können, bei Kerzenschein und Bratapfel wird es Schlimmeres geben.“ konterte Leon immer noch ungläubig.
Isabella lachte laut und strahlte über das ganze Gesicht. „Ein Romantiker sitz mir zu Gast.“ Sie lachte nochmals. „Aber ich freue mich über Ihren Neuzugang. Sie versprechen ja ein Gewinn für dieses Örtchen sein zu können.“ Dann stand sie auf, stellte sich gerade neben Leon und streckte ihm ihre Hand entgegen.
„Ich heiße Isabella. Also, dann: herzlich willkommen!“
Leon stand auf und reichte auch ihr seine Hand. „Sehr angenehm, Isabella. Ich heiße Leon.“ Er schaute seiner neuen Bekanntschaft einen kurzen Augenblick fest in die