Die Schlangentrommel. Ole R. Börgdahl

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Die Schlangentrommel - Ole R. Börgdahl


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auf. »Aber sie haben das ganz sicher überprüft?«

      »Ja, das haben wir, Sir. Es sind ebenfalls ihre Leute.«

      »Und, was machen wir jetzt?« Der Colonel tippte mit dem Finger auf das Papier. »Wenn sie tot sind, sind sie tot. Was wollen sie jetzt noch und warum haben Sie es so dringend gemacht, Sie wissen, wie spät es ist? Ich bin um halb sieben zum Essen verabredet.«

      »Das verstehen wir natürlich«, antwortete der Commander ruhig. »Wir werden sie nicht lange aufhalten. Es geht uns nur um Schadensbegrenzung.«

      Der Colonel verschränkte die Arme vor der Brust, erwiderte aber nichts. Der Commander ließ ein paar Sekunden verstreichen, bis er fortfuhr.

      »Sie müssen uns ein wenig erzählen, von damals, damit wir einschätzen können, ob weiterhin Gefahr besteht.«

      »Gefahr?« Der Colonel reckte das Kinn ein Stück vor.

      »Sie entschuldigen Sir, aber Sie wissen genau, wovon ich spreche. Die Zeiten haben sich geändert. Wenn wir nicht aufpassen, wird der vietnamesische Tong cuc Fragen stellen. Fragen, die ganz nach oben gehen, und dort wird man sich an Sie halten, schätze ich. Wollen Sie diese Fragen dann beantworten müssen?«

      Der Colonel zuckte mit den Schultern. »Verdammter Charlie!« Er schüttelte den Kopf. »Aber was soll’s. Nun gut, was wollen Sie hören?«

      Der Commander lächelte und sah dann Tillman Halls an, bevor er sich wieder an den Colonel wandte. »Wir sind nicht so gut in Geschichte. Wie ging das 1979 los und warum?«

      Der Colonel spitzte die Lippen, bevor er begann. »Nun gut, Pol Pot war eigentlich ein Sauhund, aber seine sogenannten Brüder und er selbst waren sehr gerissen. Die Roten Khmer hatten keine Gesichter, nach außen gab es keine Verantwortlichen. Es gab nur die Angka. Das war ihre Partei, ihre Organisation, eine Masse, hinter der sie sich versteckten. Offiziell waren sie vor 1975 und nach 1979 eine maoistisch-nationalistische Guerillabewegung. Für mich waren sie einfach nur Kommunisten, und zwar mit einer haarsträubenden Doktrin. Während ihrer Herrschaft über Kambodscha wurden die Leute aus den Städten geholt. Alle sollten zu willenlosen Landarbeitern umerzogen werden. Das Geld wurde abgeschafft, Bücher wurden verbrannt. Intellektuelle wurden hingerichtet. Es reichte aus, Brillenträger zu sein. Es war schon ein ganz schöner Mist, aber das war egal, denn es gab da etwas. Die Roten Khmer haben gegen die Vietnamesen gekämpft, waren sich spinnefeind. Und das machte sie für uns auf einmal gesellschaftsfähig. Die vietnamesische Armee hat die Roten Khmer gestürzt und die Volksrepublik Kampuchea ausgerufen. Wir und andere westliche Staaten haben das nicht akzeptiert. Pol Pot und seine Leute mussten in den Untergrund gehen, aber wir haben sie weiterhin unterstützt und die neuen Verhältnisse in Kambodscha lange nicht anerkannt.«

      Der Commander nickte. »Sie haben den Bürgerkrieg in Kambodscha angeheizt, mehr als ein ganzes Jahrzehnt lang.«

      »Ich habe gar nichts«, wehrte der Colonel ab. »Ich habe auch nur Befehle ausgeführt. Wir hatten unsere Position in dieser Angelegenheit und haben getan, was notwendig war. Alles andere ist Politik, für die ich nicht verantwortlich bin.«

      »Sie haben den Roten Khmer also Militärhilfe zukommen lassen?«

      »Was fragen Sie? Das wissen Sie doch ganz genau. Wir haben unsere Position allerdings Anfang der neunziger Jahre überdacht, also nicht wir, sondern die Politik. Wir haben uns mit den Russen geeinigt. Kambodscha sollte eine Zukunft ohne die Roten Khmer bekommen, dem wurde von unserer Regierung zugestimmt.«

      »Aber die alte Verbundenheit wurde nicht aufgegeben«, stellte der Commander fest.

      »Verbundenheit!«, wiederholte der Colonel. »Ich würde es eher als Zweckbündnis bezeichnen. Diese Angelegenheit wäre ziemlich peinlich geworden. Wir mussten uns schützen ...«

      »Und darum haben Sie auch gleich die höheren Chargen der Roten Khmer mit geschützt«, unterbrach der Commander den Colonel.

      »Ja und? Natürlich haben wir das getan.«

      »Ich frage mich jetzt nur, wer sie zum Schweigen gebracht hat«, meinte der Commander.

      »Wollen Sie damit sagen, dass ...«

      Der Commander nickte provokativ. »Entschuldigen Sie Sir, aber es würde Ihnen doch passen, die einfachste Lösung.«

      Der Colonel richtete sich in seinem Stuhl auf, erwiderte aber nichts. Der Commander sah wieder zu Tillman Halls, der daraufhin eine Datei auf dem iBook öffnete. Der Beamer flackerte, eine Portrait-Fotografie erschien auf der Leinwand. Der Mann hatte feine asiatische Gesichtszüge, einen herrischen Mund und stolze Augen.

      »Diesen Herrn haben wir vor etwa einer Stunde auf dem Landvetter Airport bei Göteborg festgenommen, und zwar um 22:37 Uhr Ortszeit. Sein Name ist Rin Mura, Jahrgang 1941. Er hat einen südkoreanischen Pass, lebt aber seit 1997 in Schweden, in einem Ort namens Olofstorp. Er wollte nach London fliegen. Seinen Namen hatten wir schon seit einigen Wochen auf unserer Liste. Jetzt hat er sich aus seinem Versteck gewagt und wir haben zugeschlagen. Sie können es Schutzhaft nennen.« Der Commander machte eine kurze Pause. »Können Sie Rin Mura auf dieser Fotografie identifizieren?«

      »Es stimmt, dass wir Rin Mura kennen. Sie haben seine Vita korrekt wiedergegeben. Ich bin ihm sogar schon einmal persönlich begegnet, aber das ist sehr lange her.« Der Colonel zögerte. »Der Mann auf dem Foto, das könnte er sein, ja ich denke, er ist es. Haben Sie seine Fingerabdrücke verglichen?«

      »Wir haben leider keine Referenz«, sagte der Commander. »Aber vielleicht können Sie uns da aushelfen.«

      Der Colonel nickte. »Das ließe sich machen, aber das kann dauern, bis die Daten freigegeben werden, sie verstehen?«

      »Was können Sie uns über Rin Mura sagen. Wir haben zwar einige Informationen über ihn, aber es wäre doch interessant, gewissermaßen etwas aus ersten Hand zu erfahren.«

      Der Colonel strich sich über das Kinn. »In der Tat könnte ich das. Ich habe sogar Rin Muras Dossier verfasst, Code Bruder Nr. X. Bei dem X sind wir uns nicht sicher, ob es ein oder zweistellig ist. Ich meine die Nähe zu Pol Pot, sie verstehen? Die Nummer zwei bis fünf war er jedenfalls nicht, aber wir glauben, dass er schon dicht dran war. In den achtziger Jahren war er aktiver als zwischen 1975 und 1979. Er soll vom Handlanger zum Strategen aufgestiegen sein. Es gab auch Gerüchte, dass er etwas mit Pol Pots Tod zu tun hatte, aber mehr als Drahtzieher, denn 1998 hatten wir Rin Mura bereits in Schweden platziert. Ich kenne sogar den Namen seiner, sagen wir Lebensgefährtin, einer Frau namens Chenda Rieng. Sie ist Schwedin, ihre Eltern stammen aber aus Laos. War Chenda Rieng bei Rin Mura?«

      Der Commander zuckte mit den Schultern und wandte sich an Tillman Halls. »Überprüfen Sie das, Chenda ...«

      »Chenda Rieng«, wiederholte der Colonel. »Eine junge Frau, sie dürfte nicht viel älter als dreißig sein.«

      Halls zog das Beamerkabel von seinem iBook und begann auf der Tastatur zu hämmern. Der Commander hatte sich hinter ihn gestellt.

      »Nichts, Sir«, sagte Halls. »Im Einsatzprotokoll steht nichts davon, dass der Festgenommene in Begleitung einer Frau war. Er war allein.«

      »Auch keine Leibwächter?«, fragte der Colonel, der noch immer in seinem Stuhl zurückgelehnt saß.

      Tillman Halls sah den Colonel an und schüttelte den Kopf. »Der Mann wurde nach dem Check-in abgegriffen, er war auf dem Weg zu seinem Terminal und er war alleine, kein Hinweis auf Begleitung.«

      »Vielleicht ist sie zu Hause geblieben«, vermutete der Colonel. »Ich könnte herausfinden, unter welcher Adresse sie gemeldet ist.«

      »Wir haben Rin Muras Adresse«, erwiderte der Commander.

      »Da könnte sie natürlich auch sein, aber es ist sehr abgelegen und ich erinnere mich, dass sie auch eine Göteborger Stadtadresse hatte, eine Wohnung.« Der Colonel überlegte. »Hatte Rin Mura großes Gepäck dabei? Gibt es einen Hinweis, dass er vielleicht über London noch zu einem anderen Ziel wollte?«

      Tillman Halls las im Einsatzprotokoll und schüttelte dann erneut den Kopf.


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