Die Schlangentrommel. Ole R. Börgdahl

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Die Schlangentrommel - Ole R. Börgdahl


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hier auch wieder nach Süddeutschland einschwenken könnten.«

      »Gut, aber wie gesagt von Berlin aus soll es nicht mit dem Wagen weitergehen.« Grenholm überlegte. »Wo werden wir ihn morgen in Empfang nehmen?«

      Alex beugte sich vor, suchte kurz und legte seinen Finger auf eine Stelle der Karte.

      Grenholm setzte die Kappe auf den Edding, bis es klickte. »Das werde ich jetzt nicht einzeichnen«, kommentierte er und studierte die Karte, nachdem Alex seine Hand zurückgezogen hatte. »Und wo ist die Wohnung?«

      »In Zehlendorf.« Alex suchte kurz, zeigte wieder mit dem Finger auf eine Stelle der Karte. »Hier etwa.« Er beugte sich dicht über den Tisch. »In dieser Straße, Hausnummer 29. Es ist ein Mietshaus.«

      »Wir werden die Wohnung erst ganz zum Schluss sichern, kurz bevor wir mit ihm ankommen«, stellte Grenholm fest. »Und wir haben den Schlüssel zur Wohnung?«

      »Ja«, sagte Will, griff in seine Hosentasche und förderte ein Schlüsselbund hervor. »Ich war gestern einmal dort.«

      *

      Rin Mura brauchte kein Gepäck. Er trug einen schwarzen Anzug mit offenem Hemdkragen und darüber einen leichten Sommermantel. Er sah sich noch einmal in seinem Arbeitszimmer um. Der Aktenvernichter war schon wieder in den Schrank geräumt. Rin Mura bückte sich nach einem hauchdünnen Papierschnipsel, das auf dem Teppichboden liegen geblieben war. Er rollte es zu einer winzigen Kugel zusammen und schnippte es in eine Ecke des Raumes. Hier würde niemand etwas finden, keinen Hinweis auf seine Vergangenheit und auch keinen Hinweis auf seinen Verbleib. Rin Mura wandte sich zum Gehen, als es klopfte und die Tür aufgerissen wurde. Einer der Leibwächter stand im Türrahmen.

      »Fahrzeuge kommen durch den Wald«, brachte er atemlos hervor. »Unbeleuchtet! Wir müssen den anderen Wagen nehmen.«

      »Warum, schaffen wir es nicht mehr vorne heraus?«

      »Nein, wir müssen ein Stück zu Fuß gehen«, erklärte der Leibwächter. »Der Ersatzwagen steht einen Kilometer von hier entfernt in einer Scheune. Ziehen Sie bitte dies hier über ihren Mantel.«

      Der Leibwächter reichte Rin Mura einen der beiden schwarzen Umhänge, die er dabeihatte. Er half ihm beim Anziehen.

      »Sie müssen die Kapuze über den Kopf legen und das Band festzurren.«

      Der Leibwächter führte es vor, wandte sich dabei schon zum Gehen und zog Rin Mura mit sich aus dem Zimmer. Sie gingen zum hinteren Teil der Villa. Es gab dort eine Wirtschaftstür, die zum ehemaligen Gemüsegarten führte. Der Leibwächter zog Rin Mura noch immer mit sich.

      »Wie heißen sie?«, fragte Rin Mura.

      »Gunnar, mein Herr. Können sie schneller gehen?«

      Rin Mura nickte. Sie erreichten eine offene Gartentür und tauchten in den Wald ein. Gunnar hatte keine Taschenlampe, kannte den Pfad aber sehr genau. Sie mussten ein Stück bergab gehen. Der Mond erleuchtete die Baumstämme. Rin Mura stieß sich von einem ab. Er begann zu keuchen, Gunnar verlangsamte das Tempo etwas, beschleunigte dann aber wieder unmerklich. Der Kilometer wurde immer länger. Rin Mura schwitzte, stolperte einmal, Gunnar hielt sich dicht bei ihm. Dann blieben sie vor einem Feldweg stehen. Gunnar ließ Rin Mura im Schutz der Bäume zurück, erkundete den Feldweg. Er versuchte etwas zu hören, Motorengeräusche oder jemanden, der ihnen durch den Wald gefolgt war. Es blieb still.

      Gunnar überlegte. »Die Scheune ist gleich dort drüben.«

      Er zeigte in eine Richtung entlang des Feldweges. Rin Mura streckte sich, konnte aber nichts erkennen.

      »Ich werde vorangehen«, erklärte Gunnar. »Sie bleiben hier und wir kommen Sie mit dem Wagen abholen.«

      »Nein!«, antwortete Rin Mura entschieden.

      Gunnar sah ihn an. »Ich kann jetzt keinen Kontakt aufnehmen.« Er zeigte sein Mobiltelefon. »Ich weiß nicht, ob es sicher ist, ob die anderen nicht auch schon aufgeflogen sind.«

      »Ist mir egal«, erwiderte Rin Mura. »Ich bleib nicht alleine hier. Was soll ich machen, wenn Sie nicht wiederkommen?«

      Gunnar nickte. »Gut, dann los. Halten sie sich am Rand des Weges. Wenn ein Wagen kommt, müssen sie sofort ins Dickicht springen. Fertig?«

      Gunnar wartete nicht auf eine Antwort. Er trat aus der Deckung, hielt sich im dünnen Schatten der Bäume. Rin Mura hatte nicht gezögert, war ihm sofort gefolgt. Sie begannen zu traben. Der Feldweg machte eine leichte Kurve und dann sahen sie die Scheune. Alles lag im matten Mondschein. Lichter brannten keine. Das Tor war weit geöffnet. Sie duckten sich hinter einem Gatter, das den Feldweg an dieser Stelle begrenzte. Gunnar nahm einen kleinen Stein vom Boden auf und warf ihn gegen das Holz der Scheunenwand. Es dauerte eine Sekunde, bis sie das Klackern hörten. Eine weitere Sekunde später tauchte die Silhouette eines Mannes am Scheunentor auf. Er machte eine Handbewegung.

      »Es ist in Ordnung«, flüsterte Gunnar.

      Sie erhoben sich hinter dem Gatter und liefen über den Platz bis zur Scheune. Rin Mura erkannte den zweiten Leibwächter. Die Leute waren erst am Nachmittag in die Villa gekommen und so kannte er auch den Namen dieses Mannes noch nicht.

      »Wer sind Sie?«, fragte er daher.

      Der Leibwächter zögerte, sah zu seinem Kollegen.

      »Ist schon in Ordnung«, sagte Gunnar.

      »Erik, ich bin Erik, mein Herr.«

      Rin Mura nickte und atmete tief durch. Er spürte jetzt, wie erschöpft er von dem Marsch war. »Wo ist der Wagen, können wir los?«

      Erik wandte sich um. Sie gingen in die Scheune. Der Wagen stand in einer Stallbox. Die Fondtür öffnete sich. Gunnar schaltete wieder seine Taschenlampe ein, leuchtete in den Wagen.

      »Das ist Hanna. Sie sitzt hinten bei Ihnen.«

      »Sie waren doch zu viert?«, fragte Rin Mura.

      Gunnar nickte. »Wir müssen wohl auf das Begleitfahrzeug verzichten.«

      *

      Die Limousine rollte langsam aus dem Hof der Villa. Der Wagen hielt sich links, bog in einen Wirtschaftsweg ein und blieb stehen. Der Mann am Steuer lehnte sich zurück. Er sah eben noch die Scheinwerfer, dann blendeten sie wieder ab. Sie fuhren auch langsamer, erreichten die Einfahrt zur Villa. Er konnte drei Wagen zählen. Dann trat er auf die Bremse, zwei-, dreimal. Sie hatten ihn gesehen. Er fuhr an, beschleunigte. Am Nachmittag hatte er sich das Terrain angesehen, die nähere Umgebung. Er war fast zwei Stunden durch die Wälder gefahren. Die Dunkelheit änderte nichts für ihn. Bei jedem Einbiegen in einen anderen Forstweg war das Bremslicht alles, was sie von ihm sahen, was sie sehen sollten. Er hielt sie auf Distanz. Er führte sie immer weiter weg. Er fuhr auf eine befestigte Straße. Ein Schild wies Richtung Björboholm. Der kleine Ort lag direkt am Mjörn. Er würde die Uferstraße nehmen, am Ende des Sees wieder nach Süden fahren, um den Motorväg nach Stockholm zu erreichen. Sie würden annehmen, dass Rin Mura nach Stockholm flüchten wollte.

      *

      Die Scheiben des Wagenfonds waren getönt, die Insassen nicht zu erkennen. Bevor sie Göteborg erreichten, hatten sie noch einmal gestoppt. Hanna hatte sich nach vorne gesetzt. Ein Paar, ein Ehepaar, war unauffälliger, erklärte Gunnar. Neben Rin Mura saß jetzt Erik, der sich auf seiner Seite der Rückbank an die Fondtür drückte und den Verkehr beobachtete.

      Als sie die große Stadt verlassen hatten, entspannte er sich. Auf dem Weg nach Süden mied Gunnar die größeren Straßen. Einmal konnte Rin Mura Wasser zwischen den Bäumen glitzern sehen. Während der gesamten Fahrt herrschte im Wagen Stille. Die angespannte Ruhe machte Rin Mura müde. Er schloss die Augen, streckte sich, blieb aber aufrecht sitzen. Er merkte nicht, dass er einschlief. Als er erwachte, parkte der Wagen vor einer Tankstelle in einem kleinen Dorf. Die Fondtür stand offen, die kühle Nachtluft wehte herein. Rin Muras Körper zitterte wie im Reflex. Er gähnte und begann seine Beine zu lockern. Hanna reichte ihm eine Wasserflasche.

      »Danke!


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