Asiatische Nächte. Hans J. Unsoeld
Читать онлайн книгу.Sie ließen keinen Zweifel daran, dass sie diesen Ort auch als eine Diskothek der gehobenen Sorte ansahen. Tanzen und Baden gehörten hier zusammen. Auch die hier eher seltenen Besucher aus den Gebieten nördlich der Alpen hielten sich an diesen Standard. Genauso selbstverständlich gehörten hier Essen und Trinken dazu und ebenso eine unaufdringliche Barmusik im Hintergrund.
Aphrodisiaka suchte mann gewiss vergeblich auf dieser Speisekarte, und für die Getränke galt ähnliches. Ebenso wenig fand frau, was sie sich für die schlanke Linie wünschte. Genussvoll den Magen zu füllen stand obenan. Doch Igor hatte noch Anderes im Sinn. Diskret flüsterte er Anjali seine Unersättlichkeit ins Ohr, und sie war durchaus nicht abgeneigt. Eine schwer zu trennende Mischung von Scham und Freude in ihrem Gesicht nahm er deutlich wahr. Doch sie vertraute wie wohl schon gewohnt ihre Schuhe und ein paar kleine Dinge ihrer Freundin an und ließ sich in ihrem kleinen schwarzen Kleid geschickt und unauffällig ins Wasser gleiten, ohne dass Fremde etwas davon bemerkten. Dass Igor ihr auf ähnliche Art folgte, war wohl eine Selbstverständlichkeit.
Was sie am anderen Beckenrand miteinander trieben, schien auf den ersten Blick ebenso eine Selbstverständlichkeit zu sein. Nur Igor wusste, dass das absolut nicht der Fall war. Anjali zeigte sich viel gehemmter als ihre Freundin, was jedoch kaum etwas damit zu tun hatte, dass sie nun als Zweite an die Reihe kam. Liebe im Wasser zu machen, war sie auch durchaus gewöhnt. An Igor ging aber gar nicht so spurlos vorbei, was er vorher mit Enni gemacht hatte. Wie verschieden die Beiden waren! Ihn erregte Anjalis glattes schlüpfrig-nasses Kleid sehr, aber er spürte auch, wie sich ihre Haut dahinter unerreichbar verbarg. Und wie anders es war, in sie hineinzugehen, das konnte er mit keinen Worten beschreiben. Er spürte vor allem, dass er diese Erfahrung mit keinem anderen Menschen teilen konnte. Mit Enni hatte er Gemeinsamkeit gefunden, mit Anjali fand er Einsamkeit. Auch diese Einsamkeit hatte etwas sehr Erregendes an sich, doch sie endete nicht in einem gemeinsamen Orgasmus.
Als sie wieder gemeinsam rund um den kleinen Tisch saßen, störte ihn Enni's leise Frage ziemlich: „Na, was ist denn nun verschieden zwischen uns?“ Er wusste, dass es darauf viele verschiedene Antworten gab. Enni machte ein ziemlich gelangweiltes Gesicht, als er sagte: „Die Kultur.“ Er kannte sie auch schon länger und hatte akzeptieren gelernt, dass Kultur ein Wort war, dass es in der thailändischen Sprache in dieser Form nicht gibt. Einen kurzen Augenblick später streichelte sie ihn ganz liebevoll. In diesem Moment empfand er, dass seine eigene Liebe ihr galt. Oder war es nur Zuneigung? Wie in einer kurzen Meditation spürte er die Unterschiede zwischen Thailand und Bali.
In Thailand gibt es statt Kultur Tempeldienst, seien es Andacht oder einfach eine Tempelbesichtigung oder eine Opfergabe, um die bösen Geister fern zu halten. Nicht nur die thailändische geschwungene, geheimnisvoll wirkende Schrift,- nein, vor allem auch die Tatsache, dass Thailand als einziges Land auf jener Seite der Erde nie längere Zeit kolonisiert worden ist, verleiht diesem Land einen mythischen, schwer erfassbaren Reiz, von welchem viele Touristen nur wenig mitbekommen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den dort vor allem von den Frauen sehr aktiv gelebten Buddhismus. Bei der dort Theravada genannten Form können fundamentalistische Züge gewiss nicht übersehen werden. Dass das Land sowohl von Japan als auch von den USA kurzzeitig mit Beschlag belegt worden ist, tut dem wenig Abbruch, hat aber Ressentiments gegen Fremde bestärkt.
In Bali wissen viele Menschen dagegen inzwischen recht genau, was die Fremden aus dem Westen unter Kultur verstehen. Vor allem gebildete Künstler aus dem deutschsprachigen Raum haben sich dort niedergelassen und eine attraktive Alternativszene aufgebaut, die viele Brücken zwischen der einheimischen und der fremden Bevölkerung ermöglicht. Die Balinesen sind nicht wie die Mehrzahl der übrigen Indonesier Moslems, sondern halten ihren hinduistischen Glauben in Ehren. Grausame Kolonialkriege bis vor nicht langer Zeit waren für sie schrecklich, haben viel Altes zerstört und auch Neues geschaffen.
Igor fühlte, wie er gar nicht über Sexuelles, sondern darüber, also über kulturelle Eigenarten, sprechen wollte und dies insbesondere in jener Umgebung nicht das geringste bisschen infrage kam. Die beiden Frauen schienen sich nun einig darin, dass sie spendabel eingeladen werden wollten und überhaupt gern die Hand offen hielten. Sie rauchten eine Zigarette nach der anderen und tranken wesentlich mehr Alkohol als er. Äußerlich ergab sich eine ausgelassene lustige Stimmung, doch Igor gestand sich fast schmerzlich ein, dass er die Nacht allein verbringen wollte, was schlussendlich auch geschah.
Beim Abschied fragte Enni, was er denn am nächsten Tag vor hat. Als er sagte, dass er nach Spelunca wolle, konnten die Beiden wenig damit anfangen. Anjali meinte aber nicht ganz unrichtig, das sei sicher ziemlich teuer und habe etwas mit Kultur zu tun. Enni fiel ihr ins Wort und seufzte fast, dass sie sich eben in Berlin selber auch wieder ums liebe Geld kümmern müsse. Wohl wissend, dass das auch ein Signal für ihn war, steckte er allen Beiden je einen Geldschein zu, der so zusammengerollt war, dass er wie eine Zigarette aussah. An ihren Gesichtern sah er, dass sie damit zwar zufrieden waren, aber nicht übermäßig begeistert. Er gehörte eben nicht zu den Reichen. Aber sie schienen auch zu spüren, dass er mehr als nur Geld zu bieten hatte.
Als die Beiden in ihrem kleinen Auto davon gebraust waren, hängte er sich sein Gepäckbündel über die Schulter, kontrollierte, dass Geld und Papiere dort waren, wo sie in seiner Welt hingehörten, und schlenkerte zum Bahnhof. In dem um diese Zeit völlig menschenleeren Gebäude schaute er sich die Übersicht der Zugabfahrten an und warf einen Blick auf die Uhr. Zufrieden lächelnd stellte er fest, dass in einer knappen Stunde ein Nachtzug in den Süden hier hielt. Er holte sich eine Cola und Schokolade aus einem Automaten und wartete auf einer Bank die Ankunft des nur wenig verspäteten Zuges ab. Als dieser einrollte, war es nicht ganz einfach, einen freien Sitzplatz zwischen all den mehr oder weniger laut schnarchenden Südländern zu finden. Er setzte sich zwischen eine halb schlafende Familie. Ein kleines Kind schrie kurz auf, ließ sich dann aber in seinem Schlaf nicht weiter stören. Nachdem der controllore ihm eine Fahrkarte ausgestellt hatte, dachte er noch einen kurzen Moment an Giulia, die er in Spelunca besuchen wollte, und tat es dann dem Kinde bald nach.
Weil jener Ort nicht an der Eisenbahnlinie liegt, ließ er sich von einem Taxi die letzten Kilometer dorthin bringen. Er fragte den lustigen Fahrer, wo er sowohl preiswert als auch bei netten Leuten wohnen könne, und wurde dann fast ohne weiteren Kommentar vor einer Pension abgesetzt, die zwar teurer war, als er sich das vorgestellt hatte und auch nicht im alten Stadtkern lag. Doch sowohl die nette Familie als auch deren Speisekarte überzeugten ihn dann schnell, dass es die richtige Wahl war.
Spelunca liegt am Meer zwischen Rom und Neapel. Wie verschieden das Leben in jenen beiden weltbekannten Großstädten ist, bleibt für Touristen meist ein Geheimnis. Das zu ergründen lockt auch nicht sehr, falls man sich nicht einfach auf die üblichen touristischen Sehenswürdigkeiten beschränken will. Denn weder gibt es dort Badestrand noch ist es selbst mit Italienisch-Kenntnissen leicht, die Dialekte zu verstehen. Sowohl die führenden Kreise in Rom als auch die Mafiosi in Neapel haben ihre eigene Sprache und lassen Fremde da nicht gern hinein hören, geschweige denn, dass sie das spezielle lokale Vokabular erklären würden.
Spelunca dagegen! Welch ein Traum von einer kleinen Stadt! Hoch auf einem Felsen hinter einer kleinen unbenutzten Zitadelle liegt der Kern des in vielem noch mittelalterlichen Ortes. An beiden Seiten erstrecken sich breite Badestrände und im Land dahinter moderne Gebäude für all diejenigen, die nicht gern hinaufsteigen, um zu den verwinkelten uralten, aber schön renovierten Häusern zu kommen, und die obendrein dort kein Auto vor der Tür haben können. Welche Freude es macht, sich dort hinauf zu bemühen!
Es roch in den engen Gassen nach Kultur. Zumindest bildete Igor sich das ein, als er wieder einmal den steilen Weg hoch stapfte. Nachdem er ein wenig Abstand zu Aventurina gewonnen hatte, zu dem faszinierenden Abend mit seinen zwei asiatischen Schönheiten, schien ihm genau das der Punkt zu sein, der ihm eben dort doch gefehlt hatte: eine gute Prise Kultur. In seinem Kopf blitzten rote Lampen auf. War er in Aventurina bereits im Rotlichtbezirk gelandet? Hatte er sich auf Sextourismus eingelassen? Ihm schien, dass seine braven Freunde aus früherer Zeit neben ihm standen und mit dem Finger auf ihn zeigten. Aber es kamen keine Argumente. Sie wandten sich einfach von ihm ab.
Ihn machten