Der Skorpion. Louis Weinert-Wilton

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Der Skorpion - Louis Weinert-Wilton


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Angelegenheit bereits ihr Augenmerk zugewendet, und nur besonderen Umständen, die nicht an ihr liegen, ist es zuzuschreiben, daß sie heute dem Hause noch keine bestimmtere Erklärung abgeben kann.«

      Schon die ersten Morgenausgaben der großen Blätter wurden in dieser Sache etwas deutlicher. Es handelte sich um ein äußerst reiches Molybdänvorkommen in Asien, das für die englische Stahlindustrie tatsächlich von größter Wichtigkeit war. Die Konzession hatte ein gewisser Thomas Wesley erworben, ein unternehmender Glücksritter großen Stils, der bereits wiederholt von sich reden gemacht hatte. Er war einmal hoch oben, einmal tief unten und nie ganz nüchtern. Während besonders arger Trunkenheitsperioden pflegte er oft monatelang zu verschwinden und sich in einem höchst fragwürdigen Zustande in den übelsten Spelunken irgendeines Anschwemmplatzes der Welt herumzutreiben.

      Eine solche Periode schien Thomas Wesley auch gegenwärtig wieder durchzumachen, denn er war nicht aufzufinden, obwohl die englische Regierung seit Wochen ihren den ganzen Erdball umspannenden Apparat in Bewegung hielt, um des Mannes mit den wichtigen Schurfrechten habhaft zu werden. Man hatte bisher lediglich ermitteln können, daß er vor ungefähr vier Monaten einige Tage in London geweilt hatte und dann mit einem eigenen Flugzeug allein nach einem unbekannten Ziel gestartet war.

      Seither fehlte jede Spur von ihm.

      Ein gefürchteter Mann erlebt eine peinliche Niederlage

      Mr. Roger Meraine, kurz Hodge genannt, war in Soho ein Mann von großem Einfluß, aber auch östlich und westlich von diesem Londoner Fremdenviertel hatte sein Name etwas zu sagen. Er betrieb, wie eine gediegene Firmentafel verkündete, ein sehr vielseitiges Maklergeschäft, dessen Erträgnisse es ihm gestatteten, auf großem Fuße zu leben und seine arbeitsreichen Tage allnächtlich im Kreise seiner zahlreichen Freunde und Freundinnen in gehobener Stimmung zu beschließen.

      An diesem Abend hatte die Gesellschaft eine kleine Bar gewählt, wo sie immer so ziemlich unter sich blieb, denn man wollte versuchen, Hodge endlich wieder ein bißchen aufzuheitern. Der breitschultrige Vierziger mit dem starken südländischen Einschlag zeigte sich nämlich seit kurzem auffallend übelgelaunt und von gefährlicher Reizbarkeit. Sogar Jozy Healy, eine heißblütige junge Irin mit wundervollem rotem Haar, hatte darunter zu leiden, obwohl sie sich bisher der besonderen Gunst des in vieler Hinsicht außergewöhnlichen Mannes hatte erfreuen dürfen.

      Sie saß nun arg gekränkt und höchlich gelangweilt an seiner Seite, denn Hodge war auch heute aus seiner düsteren Stimmung nicht aufzurütteln. Zwischen seinen buschigen schwarzen Brauen stand eine böse Falte, und wenn er zuweilen die schweren Lider hob, lag in seinen verschleierten Augen ein wenig freundlicher Ausdruck. Er sprach kein Wort, trank aber sehr viel und rauchte ununterbrochen mit tiefen, nervösen Zügen.

      Nach etwa einer Stunde verirrte sich doch noch ein weiterer Gast in das Lokal. Er kam nichts weniger als gelegen und erregte daher besonderes Aufsehen. Der Fremde mochte etwa Dreißig sein, sah sehr gut aus und schien nach seinem von Luft und Sonne gedunkelten Gesicht und seiner sonstigen ganzen Art nicht zu der Gilde der Londoner Nachtbummler zu gehören. Er zeigte für die Runde um Roger Meraine nicht das geringste Interesse, sondern ließ sich an einem Tisch gegenüber nieder und gab gelassen seine Bestellung auf.

      Das Gespräch an der großen Tafelrunde verstummte fast völlig, denn die Dinge, über die man sich bisher unterhalten hatte, waren nicht für fremde Ohren bestimmt, und die unvermittelte Ruhe wirkte geradezu bedrückend; nur nicht auf die wirklich hübsche, feurige Miß Jozy Healy, die vielmehr plötzlich außerordentlich lebendig wurde. Sie legte zunächst rasch eine sorgfältige frische Bemalung an und schenkte dann dem neuen Gaste eine sehr verheißungsvolle Aufmerksamkeit. Ihr kam dieser vornehme, sehnige Gentleman, mit dem sich der bereits etwas dicklich werdende, eingebildete Hodge in keiner Weise messen konnte, gerade recht. Nun wollte sie dem Ekel an ihrer Seite einmal zeigen, daß sie es nicht notwendig hatte, sich seine Launen gefallen zu lassen …

      Die beredte Augensprache der roten Irin fand zwar keine Erwiderung, aber Miß Jozy ließ nicht locker, und ihre Blicke wurden immer ermunternder und glutvoller …

      Plötzlich fuhr Roger Meraine wie der Blitz hoch, versetzte seiner unternehmenden Freundin einen heftigen Schlag ins Gesicht und stürzte auch schon auf den Tisch gegenüber zu.

      Der Fremde verharrte völlig reglos, als ob ihn der Vorgang gar nicht berührte, und ließ den toll gewordenen Mann mit den tückisch funkelnden Augen ganz dicht herankommen. Selbst als Hodge in blinder Wut ausholte, rührte der andere sich noch immer nicht – aber dann glitt er plötzlich unter der zuschlagenden Faust hinweg, so daß der Angreifer sich um ein Haar über den Tisch gelegt hätte …

      Dazu sollte es jedoch nicht kommen, weil in der gleichen Sekunde ein schneidendes »Oahooo – heiii!!!« durch das Lokal schallte und Roger Meraine gleichzeitig einen Hieb zwischen die Augen erhielt, der ihn nicht nur jäh wieder aufrichtete, sondern auch noch einige Schritte zurücktaumeln ließ.

      Damit war der draufgängerische Hodge allerdings nicht erledigt, sondern er verfiel nun in förmliche Raserei. Er fuhr mit der Rechten in die Tasche seines Smokings, brachte sie mit einem Schlagring bewehrt wieder hervor und ging mit einem geradezu tierischen Wutschrei und geiferndem Munde neuerlich auf den andern los.

      Noch dreimal klang das schrille »Oahooo – heiii!« wie ein Peitschenknall durch den Raum, dann lag der gefürchtete Mann von Soho auf dem Boden und rührte kein Glied mehr …

      Die aufregende Szene hatte nur wenige Sekunden gedauert, und Hodges Freundeskreis war noch immer starr vor Bestürzung, als sie bereits längst zu Ende war. Aber selbst, als man endlich etwas zu sich kam, dachte man nicht daran, sich einzumengen. Das war eine Sache, die nach einer Berührung mit der Polizei aussah, und Hodge mußte rein den Verstand verloren haben, daß er sich auf so etwas eingelassen hatte.

      Auch der Besitzer des Lokals wollte, so sehr er auch Mr. Meraine und dessen Gesellschaft schätzte, keine Scherereien mit der Polizei und rief diese daher lieber selbst herbei. Sie erschien leider rascher, als die große Tafelrunde sich verflüchtigen konnte, und es gab eine recht peinliche Befragung.

      Nur Hodge nahm das bedenkliche Ende dieses Abends völlig teilnahmslos hin. Er war zwar nicht mehr ganz leblos, sah aber geradezu jammervoll aus, und der Schlagring, den er noch immer an der Rechten stecken hatte, machte sich neben den vielen funkelnden Brillantreifen gar nicht gut …

      · · ·

      Und damit war die Zeit gekommen, die allmählich einen Zusammenhang zwischen all diesen vorangeschickten Geschehnissen ergeben und die dunklen Vorgänge um das Sternbild des Skorpions ins Rollen bringen sollte.

      1

      Die Schreibstube in Finch Lane bestand erst knapp drei Monate, war aber bereits ebensolange eines der bekanntesten Büros der City.

      Eines Morgens hatte ein etwas verfrühter Börsenbesucher bei einem Bummel durch die umliegenden Gassen an einem Laden, der noch vor kurzem den üblen Duft von vertrockneten Heringen und faulendem Gemüse ausgeströmt hatte, eine funkelnagelneue geschmackvolle Firmentafel entdeckt, auf der zu lesen war:

      »Ghost Writers Bureau. We write it – You sign it. Bessie Clayton. Alice Parker.«

      Da der Mann zufällig schon ein paar Tage einige unerledigte Briefe bei sich trug, trat er ein.

      Und noch am selben Vormittage konnte das kleine Lokal kaum die vielen Leute fassen, die um ein Sixpencestück für die Seite irgendeine geschäftliche Mitteilung getippt haben wollten.

      Darüber freute sich besonders Bessie außerordentlich, denn selbst in ihren kühnsten Träumen hatte sie nie zu hoffen gewagt, daß es mit dem Geldverdienen so unverhältnismäßig schnell und leicht gehen würde. Sie war vor einem halben Jahr nach London gekommen, um zu den Fertigkeiten und Kenntnissen, die sie in ihrem heimatlichen Landstädtchen erworben hatte, noch etwas zuzulernen und sich dann nach einer Stellung umzusehen, aber eines Tages hatte ein glücklicher Zufall dieser ihrer Vorbereitungszeit ein rasches und sehr befriedigendes Ende gemacht. In einer Zeitung hatte sie eine Anzeige gefunden, durch die eine tüchtige, intelligente Maschinenschreiberin gesucht


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