Vom Kap zum Kilimandscharo. Ludwig Witzani

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Vom Kap zum Kilimandscharo - Ludwig Witzani


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1938 das sogenannte Hugenottenmonument errichte worden. Es befand sich am Ortsausgang von Franshoek vor der imposanten Kulisse eines steil abstürzenden Berghangs inmitten eines verschwenderisch begrünten Gartens. Vor einer sichelförmig gebogenen überdachten Arkade und vier stilisierten Säulen stand eine Art protestantische Maria auf einer Weltkugel, auf der undeutlich zu erkennen war, wie Schiffe Europa verließen, um nach Süden zu segeln. In ihrer rechten Hand hielt sie eine Bibel, in der linken ein Stück gesprengter Ketten zum Zeichen dafür, dass die Hugenotten ihre Heimat um der Glaubensfreiheit willen verlassen hatten.

      Diese Glaubensfreiheit hatten sie in ihrer neuen Heimat Südafrika gefunden, wenngleich es inzwischen mit der Sicherheit nicht mehr zum Besten stand. Als ich am nächsten Morgen in der Bank von Franshoek Geld wechselte, kam ich mit einer Frau ins Gespräch, die mich fragte, woher ich käme. Sie hatte ein gut geschnittenes Gesicht, sah aber erschöpft aus. Ohne dass ich sie danach gefragt hätte, teilte sie mir mit, dass sie das Land bald verlassen würde. Inzwischen sei die Kriminalität auch in der Weinprovinz angekommen. Nachts durchstreiften Banden die Felder und Weingüter und raubten, was nicht niet- und nagelfelst sei. Wer das Pech hatte, ihnen dabei zu nahe zu kommen, würde einfach umgebracht. Die Polizei sei völlig überfordert, und die Gebühren für die privaten Wachtdienste seien inzwischen so teuer geworden, dass sich die meisten Menschen diesen Schutz nicht mehr leisten könnten. „Be careful“, gab sie mir mit auf den Weg, als sie sich verabschiedete und in einer Seitengasse verschwand.

      Paarl, die dritte bedeutende Weinstadt Südafrikas, war vom Städtebaulichen her wenig einladend - eine Kirche, einige Museen, einige ansehnliche alte Häuser, aber auch viel Zersiedlung und Industrie an den Rändern. Allerdings war die Lage der Stadt attraktiv, sie lag im Schatten der rostroten Paarl Mountains, einem Gebirgszug, von dem es hieß, seine Felsen würden nach dem Regen wie große Perlen („Paarl“) leuchten. An diesem Tag aber gab es keinen Regen, die Sonne knallte von einem wolkenlosen Himmel, und die Vegetation in den Hügeln rund um Paarl zeigte Zeichen von Verdorrung. Die trockene Karo des Binnenlandes deutete sich an.

      Ich fand ein Zimmer im Privathaus einer Lady, die mich mit wallenden Gewändern und lila lackierten Fingernägeln empfing. Ihre Haare waren rot gefärbt, auf ihren Wangen bildete das Rouge klar umrissene Inseln. Das Zimmer, das sie mir anbot, besaß einen Gartenzugang, war aber zur Hälfte mit Schondecken über Möbelstücken verhüllt, von denen mir eingeschärft wurde, dass ich sie auf keinen Fall lupfen durfte. Nur das Bett, ein Stuhl und der Tisch waren frei, doch der Preis stimmte, und den Besuch des Hausdackels gab es gratis. Leider litt der Dackel an einem Einsamkeitskoller, er folgte mir auf Schritt und Tritt und jammerte vor der Türe, wenn ich im Bad war. Das Frauchen saß die meiste Zeit im Garten, trank Weißwein und rauchte. Wie sie erzählte, war sie seit einigen Jahren verwitwet, lebte nun allein in den Hügeln von Paarl und besserte ihr Einkommen durch gelegentliche Vermietungen etwas auf. Ein Bild ihres verstorbenen Mannes konnte ich im ganzen Haus nicht entdecken, dafür trug sie um den Hals eine Schnur, an deren Ende eine Pfeife befestigt war. Diese Pfeife, hatte ich schon verschiedentlich in Stellenbosch und Franshoek gesehen. Nun erfuhr ich, dass sie als Notfallpfeifen dazu dienten, im Falle eines Überfalles Hilfe zu rufen. Leider machten sich die Kinder von Paarl inzwischen einen Jux daraus, sich solche Pfeifen zu besorgen und grundlos auf ihnen herumzupfeifen, so dass es immer wieder blinden Alarm gäbe.

      Die meisten Besucher kamen nach Paarl, um das Afrikaanermonument zu besichtigen, ein futuristisch anmutendes Denkmal, das sich auf einem Höhenzug oberhalb der Stadt befand und an die Entstehung der Sprache Afrikaans erinnerte. Das Afrikaans war eine Abart des Niederländischen, entstanden auf einsamen Farmen im Grenzbereich der Kapprovinz, wo die Bewohner mit der Zeit den Kontakt zum Niederländischen verloren und zahlreiche Lehnworte aus der Khoisan- und der Xhosa-Sprache sowie dem Malaiischen aufgenommen hatten. Als die Briten die Herrschaft am Kap übernahmen, entwickelte sich Afrikaans zur burischen Konkurrenzsprache gegenüber dem Englischen. Im Jahre 1925 wurde Afrikaans im Zuge der „kleinen Apartheid“ sogar zur zweiten Landessprache neben dem Englischen erhoben. Dass von da an auch die Schwarzafrikaner Afrikaans, die Sprache der Buren, in den Schulen lernen mussten, hatte immer wieder zu Unruhen und Aufständen gegen die Apartheid geführt, am brisantesten in Sharpeville, wo im Jahre 1960 neunundsechzig Personen bei einem Protestmarsch gegen die Zwangsunterweisung in Afrikaans erschossen worden waren. Wie eine trotzige Bekräftigung des Apartheidsregimes war noch im Jahre 1975 das Afrikaanermonument von Paarl zum Gedenken an das fünfzigjährige Jubiläum der Erhebung des Afrikaans zur Landessprache errichtet worden.

      Inzwischen war das Apartheidsregime verschwunden, doch das Afrikaanermonument existierte noch immer. Es bestand aus vier unterschiedlich hohen Pfeilern, die die vier Quellen des Afrikaans darstellen sollten. Der höchste Pfeiler, der immerhin 57 Meter maß, stellte den germanischen, besser: den niederländischen Ursprung des Afrikaans dar. Ihn umstanden drei kleinere Pfeiler, die an die Einflüsse der Khoisan Sprache, des Xhosa und des Mailaiischen erinnerten. Dass das Afrikaanermonument nach dem Machtwechsel am Kap nicht abgerissen worden war, hatte damit zu tun, dass Afrikaans längst nicht mehr nur von Weißen, sondern auch von Millionen Schwarzafrikanern gesprochen wurde. Sie hatten diese Sprache während des Apartheidsregimes unter Zwang gelernt, nun aber sprachen sie sie halt und hatten sie als Teil ihres Lebens anerkannt. Mittlerweile belegte Afrikaans unter den elf offiziellen Landessprachen Südafrikas nach Xhosa, Zulu und Englisch den vierten Rang.

      Ehe ich an die Küste zurückkehrte, unternahm ich einenletzten Abstecher nach Worchester gut siebzig Kilometer von Paarl entfernt. Schon während der Fahrt nach Nordosten verschwanden die freundlichen Wiesen und farbenfrohen Blumenteppiche. Geröllfelsen ohne jeden Bewuchs standen wie Wächterfiguren an der großen Ausfallstraße zur Karoo, der Vegetationszone des südafrikanischen Binnenlandes, die von nun an fast anderthalbtausend Kilometer lang das Landschaftsbild bis Johannesburg bestimmte.

      Schon lange bevor die Briten die Macht am Kap übernommen hatten, waren burische Siedler im 18. Jahrhundert in der Umgebung des heutigen Worchester ansässig geworden. Im Freilichtmuseum von Worchester war ein komplettes kleines Grenzdorf wieder aufgebaut worden, in dem die altburischen Tage so genau und originalgetreu wie möglich wieder zum Leben erweckt wurden. Als Pioniere drapierte Museumsangestellte mahlten das Mehl, backten in den Backsteinöfen das harte Brot der Grenze und droschen das Heu mit alten Dreschen. Man sah Aloezäune, Vorrichtungen zum Trocknen der Tabakblätter und jede Menge Vieh in den Ställen. Dass es vorwiegend schwarzafrikanische Bedienstete waren, die diese virtuelle Realität zum Leben erweckten, passte ins Bild, denn auch die burischen Grenzer hatten ihre Farmen auf der Grundlage der Sklaverei betrieben. Als die Briten die Sklaverei am Kap verboten, hatten viele Buren auch aus Worchester ihre Habe auf große Planwagen verpackt, um sich weit weg von der gottlosen britischen Kapkolonie ein neues gelobtes Land zu suchen.

Titel

      Die schönste Straße

      der Welt

      Auf der Gartenroute

      Der schöne Mann, die schöne Frau, das schöne Pferd, alles wurde schon prämiert, wie aber steht es mit der schönen Straße? Und was bedeutet überhaupt das Prädikat „schön“ im Zusammenhang mit einer Straße? Ist es eine vage Sammelbezeichnung für eine Gemengelage aus Attraktivität, Abenteuerlichkeit oder anderen Eigenschaften? Dass die schöne Straße abwechslungsreich sein sollte, versteht sich natürlich von selbst. Auch was es links und rechts der Straße zu sehen gibt, sollte grandios sein – ein Ozean dessen Brecher gegen die Felsen knallen (Highway 1 zwischen Los Angeles und Pismo Beach), mächtige Sanddünen, die sich bis zum Horizont erstrecken (Die Straße der Palmen am Rande des Grand Ergs Occidental in Algerien) oder Eisriesen, zwischen denen sich eine Straße über atemberaubende Pässe windet (Der Karakorum Highway zwischen Abottobad und dem Khunjerab Pass in Pakistan) sollten es schon sein. Und seien wir ehrlich: Auch der Gedanke, alle diese Augenöffner bequem rollend und im Sessel sitzend genießen zu können, spielen bei der Frage nach der schönen Straße ein wichtige Rolle.

      Fasste man all diese Prädikate zusammen, dann gehörte die sogenannte „Gartenroute“ zwischen Kapstadt und Port Elisabeth sicher zu den schönsten Straßen der Erde. Sie ist so abwechslungsreich


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