Vom Kap zum Kilimandscharo. Ludwig Witzani

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Vom Kap zum Kilimandscharo - Ludwig Witzani


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der ältesten und geschichtsträchtigsten Orten Südafrikas ist sie so kulturrelevant wie keine andere Region des afrikanischen Südens. Swellendam, Mossel Bay, Plettenberg – die Aufzählung dieser Ortsnamen gleicht einem who´s who der südafrikanischen Geschichte. Last not least besteht die Gartenroute nicht ausschließlich, aber über weite Passagen aus einer gut ausgebauten Panoramastraße am Rande des Ozeans. Nur einen Malus muss man vermerken. Dass man nahezu überall auf der Gartenroute für ein gutes Essen oder ein Picknick anhalten kann, macht die Passage dieser Straße so bequem, dass sie fast einen Abzug für mangelnde Abenteuerlichkeit erhalten müsste.

      Ich begann meine Reise über die Gartenroute nach meiner Rückkehr aus der Weinprovinz in Sommerset West. Da war sie wieder, die schöne „False Bay“, an der das einzig Hässliche ihr Name war. Die Luft war so frisch und rein, dass es eine Freude war, tief einzuatmen, das Meer mit seiner vom Wind gekräuselten Gischt glich einem Spiegel aus unzähligen Splittern. Hinter Gordons Bay schoben sich die Hottentotten-Holland Mountains bis an das Meer heran, und nur eine kleine eng an den Fels gewundene Straße führte wie ein Saum nach Osten. An der Pringle Bay, ganz im Süden der Hottentotten-Holland Mountains, überblickte ich die False Bay zum letzten Mal und sah das Kap der Guten Hoffnung weit entfernt auf der anderen, der westlichen Seite der Bucht. Ein langgestreckter Wolkensaum, vom Wind getrieben, lag wie eine waagerechte Wetterfahne über dem Kap.

      Jenseits der Pringle Bay führte die Nationalstraße 2 nach Caledon, einem Ort, der für seine Heilquellen und seinen Wild Flower Garden berühmt ist. Wer wollte, konnte sich hier die Marsh Rose ansehen, einen Pyrophyten, dessen Keimdauer dreimal so lange war wie seine Lebenszeit. Wie bei vielen Imperien, die in Jahrhunderten wuchsen und dann in Jahrzehnten vergingen. Ich ließ die Marsh Rose aber links liegen und bog in Caledon nach Südosten ab, um das Kap Agulhas zu besuchen. Irgendwie glaubte ich, das dem Kap schuldig zu sein, denn kein Ort der Welt von vergleichbarer Lage wird derart übersehen wie dieses Kap, das besser den Namen „el cabo despreciado“, das missachtete Kap, tragen sollte. Der Augenschein erklärte warum. Eine flach und unspektakulär auslaufende Landzunge markierte genau am 20. Breitengrad das wirkliche südliche Ende des afrikanischen Kontinents. Vor einem schmucklosen viereckigen Steinblock am Ufer befanden sich zwei Schilder mit der Aufschrift „Indischer Ozean“ (links) und „Atlantischer Ozean“ (rechts), eine Einladung für alle Besucher ihr linkes und ihr rechtes Bein vor dem Steinblock so zu positionieren, dass sie wenigstens virtuell in ihrem Körper beide Ozeanregionen miteinander verbanden. Soweit so albern, auch wenn der Wind keinen Zweifel daran ließ, dass ich mich an einem Kreuzweg der Welten befand. Der Zusammenfluss des warmen Agulhas Stroms aus dem Indischen Ozean und der kalten Benguela Gewässer aus dem Atlantik erzeugte einen so orkanartigen Wind, dass ich mich schon nach wenigen Minuten zurück ins Auto flüchtete und weiterfuhr.

      Zwischen Cap Agulhas und Swellendam führte die Straße gut einhundert Kilometer lang über baumlose Hügel, die mit ihrer Moosbewachsung grünen Glatzen glichen, die aus der Erde wuchsen. Kurz vor Swellendam passierte ich eine Reihe von Farmen, die wie kleine Burgen auf den Anhöhen lagen. Weites, verlockendes Land, das seit dem 18. Jahrhundert die Siedler aus dem Kap nach Osten gelockt hatte. Die Khoisan, die hier ansässig waren, wurden schnell vertrieben, auf die kampfstarken Bantuvölker sollte man erst weiter östlich am Fisch River stoßen.

      Swellendam selbst, die drittälteste Stadt Südafrikas, lag gut fünfzig Kilometer vom Indischen Ozean entfernt und in leichter Schräge an sanft auslaufenden Bergen. Ihre Hauptsehenswürdigkeit war das sogenannte „Drostdy Museum“, in dem das Leben der burischen Ortsvorsteher in einer Art Freilichtmuseum dargestellt wurde. Bei den Drostdys handelte es sich um drei wuchtige Hollandhäuser mit steil abfallenden Dächern, massiven Wänden und Nutzgärten. Angefüllt waren die Drostdys mit unbequemen Stühlen aus dem 18. Jahrhundert, auf denen ein Elefant hätte sitzen können, alten Töpfen und Küchengeräten aller Art. An den Wänden hingen Bilder knallharter Patriarchen, die für das Überleben des weißen Menschenschlages in diesem Wetterwinkel Südafrikas gesorgt hatten. Wie eigensinnig die Buren von Swellendam gewesen waren, hatte sich im Jahre 1795 erwiesen, als sich die örtlichen Bürger der britischen Okkupation der Kapprovinz widersetzt und die kurzlebige „Republik Swellendam“ ins Leben gerufen hatten.

      Etwas von dieser Widerborstigkeit war in der alten Dame erhalten geblieben, bei der ich am späten Nachmittag meine Bed-and-Breakfast Unterkunft anmietete. Normalerweise ist die Kombination von „Bed-and-Breakfast“ und „alter Dame“ recht vielversprechend, nicht jedoch in Swellendam bei Madame Marie, wie sie genannt werden wollte. Sie war groß und knochig, mit schmalem Mund und abweisendem Gebaren. Misstrauisch beäugte sie mich, als ich mich in den Aufenthaltsraum setzte und schrieb. Ich hätte gerne mit ihr einen Tee getrunken, ein wenig geplaudert und einiges über ihre Herkunft erfahren, aber alle Versuche ein Gespräch anzufangen, scheiterten entweder an ihrem Desinteresse oder an ihrer Schwerhörigkeit.

      *

      Am nächsten Morgen brach ich früh auf und fuhr weiter nach Osten. Ich durchfuhr kleine Ortschaften mit so illustren Namen wie Heidelberg, Riversdale und Albertina, die sich glichen wie ein Hollandei dem nächsten. Kurz vor Mittag stieß ich auf der schnurgeraden Nationalstraße wieder auf das Meer und die Stadt Mossel Bay. Die Hafenfront wurde durch eine Raffinerie verunstaltet, und in der Innenstadt sah es noch gesichtsloser aus als in Swellendam. Eine wahre Wohltat dagegen war der Anblick des Meeres, das sich ruhig und blau bis zum Horizont erstreckte. Der Wind hatte nachgelassen, der Zone der Stürme war ich entronnen.

      Trotz der ansprechenden Küste würde sich allerdings kein Tourist nach Mossel Bay verirren, wäre nicht das Scheinwerferlicht der Weltgeschichte vor fünfhundert Jahren völlig unplanmäßig auf den Ort gefallen. Die örtlichen Khoisan, die in der Mossel Bay ihr Vieh weideten, werden nicht schlecht gestaunt haben, als am 3. Februar 1488 fremdartige Gestalten auf einem kaum noch seetüchtigen Schiff in der Bucht landeten. Die abgerissenen Figuren, die ihnen über den Strand entgegenkamen, waren Portugiesen, denen nach einer lebensbedrohlichen Sturmfahrt endlich die Kap Umrundung geglückt war. Auch bei den Portugiesen dauerte es eine Weile, ehe sie sich orientieren konnten. Dann aber gab es keinen Zweifel mehr. Die Südspitze Afrikas war endlich umrundet, und der Weg nach Indien war frei. Der portugiesische Kapitän Bartholomeo Diaz, der dieses nautische Meisterstück vollbracht hatte, war gerade Ende Dreißig Jahre alt, ihm winkten Weltruhm und Reichtum ohnegleichen, ganz abgesehen davon, dass sich die Weltgeschichte möglicherweise ganz anders entwickelt hätte, wenn Diaz von der Mossel Bay nach Indien weitergesegelt wäre. Denn hätte Diaz 1488 Indien erreicht, und wäre er noch vor 1492 mit den Schätzen des Orients beladen nach Portugal zurückgekehrt, hätten die spanischen Könige Kolumbus möglicherweise gar nicht mehr nach Westen geschickt.

      Doch die Reise wurde nicht fortgesetzt. Die portugiesischen Seeleute weigerten sich, weiter nach Osten zu segeln und drohten mit offener Meuterei. Warum Diaz sich diesen Drohungen beugte, ist bis heute nicht geklärt. Auch Kolumbus, da Gama und Magellan hatten sich Meutereien gegenübergesehen, doch sie hatten sich durchgesetzt und ihre Fahrten fortgesetzt. Diaz jedoch gab nach und kehrte im Frühjahr 1488 unverrichteter Dinge nach Lissabon zurück. Vielleicht war das der Grund gewesen, dass er sofort nach seiner Rückkehr aus der ersten Reihe der portugiesischen Entdecker verschwand. Die nächste und entscheidende Expedition, die Indien tatsächlich erreichte, stand unter dem Kommando Vasco da Gamas, und selbst an der großen Cabral Expedition des Jahres 1500, die Brasilien entdeckte, durfte Diaz nur noch als Unterführer teilnehmen. Bei dieser Expedition fand Bartholomeo Diaz noch im gleichen Jahr während eines Sturmes am Kap der guten Hoffnung den Tod.

      Erst die Nachwelt hatte den unglückliche Seefahrer wieder rehabilitiert und ihm seinen Platz unter den großen Entdeckern zugewiesen. Aus Anlass der 500 jährigen Wiederkehr seiner epochalen Kap-Umrundung war im Jahre 1986/7 eine Jubiläumsfahrt organisiert worden. So genau nachgebaut, wie es nach der Quellenlage überhaupt möglich war, allerdings ausgestattet mit den neusten navigatorischen Instrumenten, war die Karavelle „Bartholomeo Diaz“ am 8.11. 1987 unter dem Kommando von Kapitän Emilio de Sousa und 17 Mann Besatzung in See gestochen. Ohne besondere Vorkommnisse und ohne die heftigen Stürme, über die der Entdecker so geklagt hatte, hatte die kleine Fregatte den Ozean durchsegelt, um pünktlich am 3.2.1988 die Mossel Bay zu erreichen. Kurz darauf war rund um die Karavelle ein Bartholomeo Diaz Maritim Museum errichtet worden, das die Geschichte der


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