Was dieses Weib so alles treibt. Monika Starzengruber
Читать онлайн книгу.war in Gedanken. Die Worte ihres Sprösslings bahnten sich dennoch schleichend in ihr Denken. Im ersten Moment kam sie nicht darauf, wen Florian meinte. Doch als sie begriff, tadelte sie: „Du sollst deinen Vater nicht beim Vornamen nennen, wo bleibt da der nötige Respekt?“
„Du meinst, weil er ein Professor ist und in der Schule ein Lehrer?“
„Nein, weil er dein Vater ist.“
„Was ist Respekt? Will der auch mitkommen?“
Ups. Gerade noch bei Gelb über die Kreuzung.
„Was sagtest du, Flori?“
„Ob der Respekt auch mitkommt“, leierte er, jede Silbe im gleichen Tonfall, und scheinbar gelangweilt herunter.
Luisa stutzte. „Also, wenn du mich ärgern willst, dafür ist nun wirklich nicht der richtige Zeitpunkt.“
Florian kicherte albern. Der Verkehr wurde dichter und Luisa hatte Mühe sich darauf zu konzentrieren. Noch nie war ihr der Weg nach Hause so endlos vorgekommen. Sonst, wenn sie an das eigene Heim dachte, regte sich so etwas Wohlbehagen und Geborgenheit in ihr. Derzeit keine Spur davon. Wenn sie geahnt hätte, was mit dem Tapezieren der Wände alles auf sie zukommen würde, hätte sie nie darauf gedrängt und liebend gerne verzichtet. Anfangs wollten sie nur ein Zimmer tapezieren lassen. Das Schlafzimmer. Es hatte es am dringendsten nötig. Aber dann fand Gerda, die Wände in ihrem Zimmer bräuchten auch frischen Teint. Trotz ihrer jugendlichen neun Jahre war sie manchmal sehr anspruchsvoll. Daniel wollte natürlich nicht hinter seiner kleinen Schwester stehen und plötzlich auch neue Tapeten. Irgendwann in dem Durcheinander kam einer auf die glorreiche Idee, dem ganzen Haus ein neues Aussehen zu geben. Wer das wohl war? Also wurden weitere Tapetenrollen aus dem Baumarkt angeschleppt. Darauf bedacht, die gröbsten Arbeiten so schnell wie möglich hinter sich zu bringen wurde in allen Zimmern zugleich angefangen. Luisa wusste nun, Zeit hatten sie damit keine gespart, im Gegenteil. Wie heißt es so schön? Beim nächsten Mal wird alles anders ...
Tapezieren hieß: Möbel rücken, heben, schleifen, in ein anderes Zimmer einstellen, daraufstellen, unterstellen, einzwängen, durchschlüpfen, darübersteigen, darüberfallen, je nachdem. Es bedeutete ein ewiges Suchen nach etwas, das man nicht fand und schließlich fand man etwas, so war es am Ende das, was man bereits vor einigen Tagen gebraucht hätte. Mit ein paar Worten ausgedrückt - im Haus herrschte ein einziges Chaos.
„Ich finde meine Schuhe nicht, hast du sie gesehen? Die Haarbürste lag vorhin noch da, wer hat sie weggenommen? Ohne Schultasche kann ich nicht in die Schule, aber in meinem Zimmer ist sie nicht. Wo sind meine Socken? Wo ist der verdammte Füllhalter?!“ So und ähnlich verlief der familiäre Dialog seit Tagen ohne Pause. Stets schien einer irgendwas zu suchen. Im Geiste hörte Luisa die mahnende Stimme ihrer Mutter: „Was machst du bloß den ganzen Tag?“ Was bloß. Wenn sie darauf antworten würde: Putzen, putzen und nochmals putzen, weil das Tapezieren Dreck mit sich brächte, wüsste Mutter: „Du hast schon immer einen Putzfimmel gehabt.„
Florian wurde im Fond des Wagens ungeduldig. „Sind wir bald da? Mir tun die Hände weh. Kann ich die Schachteln loslassen?“
Luisa erschrak. „Bloß nicht!“ Es lagen schon genug Lebensmittel im Auto herum. Es fehlte noch, dass auch die Eier zu Bruch gingen.
Luisa seufzte. Warum war es ihr nicht vergönnt einen Nachmittag ruhig und gemütlich zu verbringen, so wie tausend andere Hausfrauen auch? Ein Besuch im Café, beim Friseur oder ein kleiner Stadtbummel war überfällig. Unbewusst griff sie sich mit der Hand ins Haar. Es fühlte sich trocken und spröde an. Das Blondiermittel hinterließ jedes Mal mehr seine Spuren. Am praktischsten wäre es, ihren Pagenschnitt Ratzebutz in einen Bubikopf umzumodeln. Wenigstens mit ihrer Figur konnte sie zufrieden sein. Konfektionsgröße achtunddreißig, das war doch was in ihrem Alter. Trotzdem wäre ein Fitness-Center nicht zu verachten, aber das würde Zeit beanspruchen, die ihr meistens fehlte. Was sie brauchte und was sie wollte – darum schien sich kein Aasfresser zu raufen. Luisas Selbstmitleid wuchs - grundlos. Selbstverständlich besaßen die Kinder und auch Klaus eine gesunde Portion Egoismus, aber er ging nicht soweit, dass sie damit andere Familienmitglieder unterdrückt hätten oder die Bedürfnisse der anderen ausnutzten, das wusste Luisa ganz genau. Aber im Augenblick hätte sie das um nichts auf der Welt zugegeben. So wie sie auch nie zugegeben hätte, dass ihr mulmig davor war, mit Mutter in Zukunft unter einem Dach zu leben. Luisa liebte ihre Mutter sehr, oh ja, doch sie zu lieben und mit ihr zu wohnen waren zwei verschiedene Dinge. Mutter war mit ihren achtundsechzig Jahren eigensinnig und viel zu spontan. Luisa erwartete in ihrer Nähe stets Komplikationen, die meistens eintraten. Manchmal fragte sie sich, wer von ihnen beiden die Mutter und wer die Tochter war. Mutter benahm sich oft wirklich nicht wie eine Mutter und schon gar nicht, wie eine Großmutter. Das bewies sie erst kürzlich wieder. Luisa dachte dabei an den Anruf, den sie kürzlich vom Hausarzt ihrer Mutter erhalten hatte. Ihr fuhr der Schreck durch alle Knochen, sie hatte geglaubt, Mutter wäre etwas passiert. Stattdessen musste sie hören, dass sie einen Hungerstreik durchführte – seit zwei Tagen! Dessen brachte ihr einen Schwächeanfall ein, sodass sie den Arzt benötigte!
„Wenn sie heute auch nichts zu sich nimmt, sehe ich schwarz für ihre Gesundheit“, meinte der Arzt. So etwas sei ihm in seiner langjährigen Arztpraxis noch nie passiert, und ob Luisa der Mutter nicht ins Gewissen reden könne, denn ihm wäre es nicht geglückt, sie zu überzeugen etwas zu essen. Das machte Luisa noch selbigen Tages. Auf die Frage, warum sie plötzlich auf solche Kindereien verfallen sei, antwortete Mutter verschnupft: "Sieh mich an, ich bin viel zu dick. Ich mag keine unnötigen Kilos mehr mit mir herumschleppen. Das ist viel zu anstrengend.“
„Wenn du so weitermachst wird es dir zu anstrengend sein zu leben“, schimpfte Luisa, stellte sich in die Küche und fing zu kochen an. Rindfleisch mit Semmelkren und Wurzelgemüse. Mutters Lieblingsspeise.
„Du bist zu viel allein“, meinte sie, wie schon so oft, „deshalb kommst du auf dumme Gedanken. Am Besten du gibst deine Wohnung auf. Sie ist sowieso zu groß für dich allein. Am Besten du ziehst zu uns. Die Kinder würden sich freuen“, sagte Luisa, während sie das Gemüse putzte, das Fleisch würzte und den Herd anstellte.
Und wenn sie ihr als Gründe die Bibel von vorne bis hinten vorgebetet hätte, wäre Luisa bei Mutter auf taube Ohren gestoßen. Dabei wohnte Luisa mit Mann und Kindern in einem schmucken Einfamilienhäuschen, in einem gepflegten Viertel am Rande der Stadt und hatte Platz genug, um Mutter aufzunehmen. Aber die wollte partout nichts davon wissen.
„Alt und Jung unter einem Dach, das tut nicht gut, auf Dauer“, meinte sie weise. Dasselbe Thema war oft schon Sache gewesen. Luisa schlug Mutter vor bei ihr einzuziehen und Mutter lehnte dankend ab.
„Was sagt Lore zu deiner Fastenkur?“, wollte Luisa wissen. Lore war Mutters beste Freundin.
„Die hat keine Ahnung, warum soll ich ihr davon erzählen? Sie würde mich nur davon abbringen wollen, wie du.“
Sie kamen auf Robert, Luisas Bruder zu sprechen. „Weiß er von deinen Eskapaden?“
„Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.“
Bei jedem Besuch sprach Luisa dasselbe Thema an und versuchte, Mutter zu überreden. Bis sie schließlich aufgab und sagte: „Aber erst auf Probe. Meine Wohnung mit meinen Sachen behalte ich.“
Luisa glaubte, nicht recht gehört zu haben und freute sich. Sie dachte, dass sie mit diesem Entschluss von Mutter ein Problem weniger hatte. Wie heißt es so schön? Du sollst dich nicht täuschen.
„Du willst wirklich bei uns einziehen? Kein Scherz?“
„Und du wärst damit einverstanden?“
Sie blickten sich an. Ein paar Sekunden lang war es still, zwischen den beiden. Dann war es mit Luisas Beherrschung vorbei. Lachend hob sie den Zeigefinger und drohte schelmisch: „Aber das Eine sage ich dir, ausziehen kommt nicht mehr in Frage.“
Später beschäftigte Luisa eines: Wie bringe ich es der Familie bei? Was die Kinder betraf, sollte sich eine Rückfrage als überflüssig erweisen. Sie waren Feuer und Flamme für diese Idee, was sich so anhörte: „Toll,