Lord Jim. Joseph Conrad

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Lord Jim - Joseph Conrad


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eine feine Sache; wie jener irgendwo in Japan einen leichten Posten habe und ein anderer sein gutes Fortkommen in der siamesischen Marine fände; und in allem, was sie sagten, in ihren Handlungen, ihren Blicken, ihrer Erscheinung entdeckte man die weiche Stelle, den faulen Fleck, das Bemühen, sich ohne Anstrengung und Gefahr durchs Leben hindurchzuwinden.

      Jim fand diese Schar von Schwatzbrüdern anfangs, wenn er sie als Seeleute betrachtete, so wesenlos wie Schatten. Mit der Zeit aber fand er etwas Anziehendes im Anblick dieser Männer, denen es bei so geringem Aufwand an Mut und Kraft doch anscheinend so gut ging. Allmählich kam neben der ursprünglichen Verachtung ein anderes Gefühl hoch; und plötzlich gab er den Plan, nach Hause zurückzukehren, auf und nahm einen Posten als Erster Offizier der Patna an.

      Die Patna war ein Lokaldampfer, so alt wie die Berge, so dürr wie ein Windhund und so rostzerfressen wie ein ausgemusterter Wassertank. Sie gehörte einem Chinesen, war von einem Araber gechartert und von einem Deutschen aus Neusüdwales, einer Art Überläufer, befehligt, der sehr darauf erpicht war, sein Geburtsland öffentlich zu verfluchen, dabei aber, wahrscheinlich kraft Bismarcks siegreicher Politik, gegen alle, die er nicht fürchtete, den Herrn herauskehrte und eine Berserkermiene zur Schau trug zugleich mit einer purpurroten Nase und einem roten Schnurrbart. Nachdem die Patna außen frisch bemalt und innen weiß getüncht worden war, bekam sie ungefähr achthundert Pilger (es können mehr oder weniger gewesen sein) an Bord, während sie schnaubend an einem hölzernen Landungssteg lag.

      Sie strömten über drei Laufplanken an Bord, strömten herein, getrieben vom Glauben und der Hoffnung aufs Paradies, strömten herein mit dem ununterbrochenen Trappeln und Schlurren ihrer bloßen Füße, ohne ein Wort, ein Gemurmel oder einen Rückblick, und verbreiteten sich, als das abschließende Geländer weggenommen war, über das ganze Deck, fluteten nach vorn und achtern, überfluteten die gähnenden Niedergänge, füllten die inneren Schlupfwinkel des Schiffs – wie Wasser eine Zisterne füllt, wie Wasser, das in alle Spalten und Risse dringt, wie Wasser, das lautlos bis zu Deckhöhe steigt. Achthundert Männer und Frauen mit ihrem Glauben und ihren Hoffnungen, ihrer Liebe und ihren Erinnerungen hatten sich da gesammelt, zusammengeweht aus Nord und Süd und von den äußersten Grenzen des Ostens; nachdem sie durch die Dschungel gewatet, die Flüsse herunter, in Praus das Flachwasser der Küsten entlang gefahren, in kleinen Borkenkähnen von Insel zu Insel übergesetzt, durch Leiden hindurchgegangen waren, seltsame Schauspiele erblickt und seltsame Schrecken durchlebt hatten, von einer einzigen Sehnsucht aufrechterhalten. Sie kamen aus einzelstehenden Hütten in der Wildnis, aus volkreichen malaiischen Ansiedlungen, aus Dörfern am Meer. Dem Ruf einer Idee folgend, hatten sie ihre Wälder, ihre Lichtungen, den Schutz ihrer Herrscher, ihren Wohlstand, ihre Armut, die Welt ihrer Jugend und die Gräber ihrer Väter verlassen. Sie kamen mit Staub, Schweiß, Schmutz bedeckt, die starken Männer an der Spitze von Familienverbänden, die hageren Alten vorwärtsdrängend, ohne Hoffnung auf Wiederkehr; Knaben mit furchtlosen Augen, die neugierig um sich blickten; scheue kleine Mädchen mit zerzaustem langem Haar; schüchterne, eingemummte Frauen, die ihre schlafenden Säuglinge, die unbewußten Pilger eines gebieterischen Glaubens, in die schmutzigen Enden ihrer Kopftücher eingewickelt, an ihrer Brust hielten.

      »Da, sehen Sie sich das Viehzeug an!« sagte der deutsche Kapitän zu seinem neuen Ersten Offizier.

      Ein Araber, der Anführer dieser frommen Pilgerfahrt, kam zuletzt. Er schritt langsam an Bord, schön und ernst in seinem weißen Gewand und dem großen Turban. Ein Rudel Diener, mit seinem Gepäck beladen, folgte; die Patna machte los und stieß vom Landungssteg ab.

      Sie nahm ihren Kurs auf zwei kleine Inselchen, kreuzte den Ankergrund einiger Segelschiffe, beschrieb einen Halbkreis im Schatten eines Vorgebirges und fuhr dann dicht an einer Kette schaumbedeckter Riffe entlang. Der Araber erhob sich achtern und sprach laut das Gebet der Reisenden auf See. Er erflehte die Gnade des Höchsten für diese Reise, seinen Segen für die harte Fron der Menschen und ihre geheimen Ziele. Der Dampfer durchpflügte in der Dämmerung schwerfällig das stille Wasser der Meerenge; und weit achteraus schien ein Leuchtfeuer, das Ungläubige an einer gefährlichen Untiefe errichtet hatten, mit seinem Flammenauge dem Pilgerschiff zuzuzwinkern, als wollte es der frommen Reise spotten.

      Das Schiff lief aus der Meerenge hinaus, kreuzte die Bai und hielt geradewegs auf das Rote Meer zu, unter einem heiteren, wolkenlosen, sengenden Himmel, in eine Sonnenglut gehüllt, die jeden Gedanken tötete, sich schwer aufs Herz legte, jede Regung von Kraft und Tatfreude erstickte. Und unter dem tödlichen Glanz dieses Himmels blieb die See blau, tief und still, ohne Regung, ohne ein Wellchen – dickflüssig, stockend, ohne Leben. Die Patna fuhr mit leisem Zischen über die glatte, glänzende Fläche, entrollte am Himmel ein schwarzes Band von Rauch und hinterließ auf dem Wasser ein weißes Band von Schaum, das sofort wieder verging, wie das Phantom einer Spur, auf leblosem Meer von dem Phantom eines Dampfers gezogen.

      Jeden Morgen tauchte die Sonne mit ihrer stumm ausbrechenden Lichtflut genau an derselben Stelle hinter dem Schiff empor, als wollte sie in ihrer Reise mit der Pilgerfahrt Schritt halten; stand am Mittag über dem Schiff und schüttete das gesammelte Feuer ihrer Strahlen auf die frommen Vorsätze der Menschen aus, glitt im Niedergehen daran vorbei und sank Abend für Abend geheimnisvoll ins Meer, immer in der gleichen Entfernung von dem vorwärtsstrebenden Bug. Die fünf Weißen lebten an Bord mittschiffs, von der Menschenfracht abgeschlossen. Das Sonnensegel breitete ein weißes Dach über das Deck vom Vorder- zum Hintersteven, und nur ein schwaches Gesumm, ein leises Gemurmel verriet das Dasein einer Volksmenge auf der weiten Glutfläche des Ozeans. So schwanden die Tage, still, glühend, schwer, einer nach dem andern in die Vergangenheit, wie von einem immer offenen Abgrund im Kielwasser des Schiffs verschlungen. Und das Schiff zog, schwarz und qualmend, unentwegt seine Bahn, ausgedörrt von den Flammen, mit denen ein erbarmungsloser Himmel es geißelte.

      Drittes Kapitel

      Eine wunderbare Stille lag über der Welt, und die Sterne schienen mit der Klarheit ihrer Strahlen die Gewähr ewiger Sicherheit über die Erde auszubreiten. Der junge, aufwärts gebogene Mond stand tief im Westen und schien der leichte Abfall von einer Goldstange; das Arabische Meer, glatt und kühl wie eine Eisfläche anzusehen, dehnte seine gewaltige Ebene dem gewaltigen Kreisrund eines dunklen Horizonts entgegen. Die Schraube drehte sich ohne Hemmnis, als hätte jeder ihrer Schläge zum System eines sicheren Weltgebäudes gehört; und zwei tiefe Wasserfalten zu beiden Seiten der Patna, die sich dunkel und bleibend von dem furchenlosen Glanz abhoben, schlossen in ihre geraden, waagerechten Kämme ein paar weiße, leis zischende Schaumwirbel ein, ein leichtes Gekräusel, ein paar Wellchen, die noch eine Weile die Fläche bewegten, nachdem das Schiff vorübergezogen war, sanft plätschernd auseinanderliefen und dann wieder in das stille Rund von Wasser und Himmel übergingen, in dessen Mittelpunkt der schwarze Fleck des Schiffsrumpfs sich vorwärtsbewegte. Jim auf der Kommandobrücke war von dem großen Gefühl unbegrenzter Sicherheit und dem Frieden durchdrungen, den das ruhige Antlitz der Natur gewährte, wie man die Gewißheit zärtlicher Liebe aus den Zügen einer Mutter empfängt. Unter dem Zeltdach schliefen, der Weisheit und dem Mut der Weißen anheimgegeben und der Macht ihres Unglaubens und dem eisernen Gehäuse ihres Feuerschiffs vertrauend, die Pilger eines anspruchsvollen Glaubens auf Matten, auf Decken, auf bloßen Brettern, auf jedem Deck, in allen dunklen Winkeln, eingehüllt in farbige Tücher, in schmutzige Lumpen gewickelt, den Kopf auf kleine Bündel, das Gesicht auf den eingebogenen Vorderarm gedrückt: die Männer, Frauen, Kinder; die Alten mit den Jungen, die Altersschwachen mit den Rüstigen – sie alle gleich vor dem Schlaf, dem Bruder des Todes.

      Ein Luftzug, von dem eilenden Schiff zurückgefächelt, wehte beständig durch die Dunkelheit zwischen dem hohen Schanzkleid, fuhr über die Reihen der hingestreckten Leiber; ein paar trüb brennende Kugellampen waren hie und da an den Stützen kurz aufgehängt, und in den undeutlichen Lichtkreisen, die herniederfielen und in der stetigen Bewegung des Schiffes mitzitterten, tauchten ein aufwärts gerichtetes Kinn auf, zwei geschlossene Augenlider, eine dunkle Hand mit Silberringen, ein magerer Arm, in zerrissenes Zeug gehüllt, ein zurückgebogener Kopf, ein nackter Fuß, eine bloße Kehle, die sich hinstreckte, als böte sie sich dem Messer dar. Die Wohlhabenderen hatten ihre Familien mit einem Gehege von schweren Kisten und staubigen Matten umgeben; die Armen lagen Seite an Seite und hatten alles, was sie auf


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