Vom höchsten Gut und vom größten Übel. Cicero
Читать онлайн книгу.ihnen tadeln sollte, sobald sie in ihren Begierden sich mässigen.« Das heisst doch so viel als: Ich will die Unmässigen nicht tadeln, wenn sie nicht unmässig sind. Auf diese Weise könnte er auch die Schlechten nicht tadeln, sobald sie nur gute Menschen sind. Dieser strenge Mann hält also die Schwelgerei an sich nicht für tadelnswerth, und er hat wahrhaftig Recht, mein Torquatus, wenn die Lust das höchste Gut ist. Denn ich mag mir die Schwelger nicht so vorstellen, wie Ihr es zu thun pflegt; nicht als Leute, die auf den Tisch speien, die von den Gastmahlen weggetragen werden müssen und, noch krank, des andern Tages sich wieder vollsaufen; die, wie man sagt, die Sonne weder jemals auf- noch untergehen gesehen haben, und die darben, nachdem sie ihr Vermögen verprasst haben. Von dieser Art Schwelger nimmt Keiner von uns an, dass sie angenehm leben. Aber jene Feinen und Zierlichen, mit den besten Köchen und Bäckern, mit ihrem Fisch- und Vogelfang und ihrer Jagd, Alles in der ausgesuchtesten Art, welche die Ueberladung vermeiden, denen, wie Lucilius sagt, »Wein aus goldnen Schalen fliesst«:
»Dem nichts entzogen der Heber oder die Hand,
Und dem der Seiher die Herbigkeit wegnahm«;
welche die Spiele und alle jene Dinge benutzen, bei deren Mangel Epikur klagt, kein weiteres Gut zu kennen; sie sollen auch schöne Knaben haben, welche sie bedienen, und alledem soll die Kleidung, das Silbergeräthe, die korinthischen Gefässe, der Ort selbst und das Haus entsprechen; von diesen Schwelgern möchte ich nie anerkennen, dass sie gut und glücklich leben.
§ 24. Daraus folgt, nicht dass die Lust keine Lust sei, sondern dass die Lust nicht das höchste Gut ist. Auch jener Lälius, der als Jüngling den Stoiker Diogenes und später den Panätius gehört hatte, ist nicht deshalb ein Weiser genannt worden, weil er nicht gewusst hätte, was gut schmeckt; denn es folgt nicht, dass, wo das Herz was taugt, der Geschmack nichts tauge, sondern weil er es geringschätzte.
»O Sauerampfer, rühme Dich, denn man kennt Dich nicht genug.
Lälius, der Weise, pflegte Dich rühmend zu essen,
Während er auf unsre Schlemmer der Reihe nach schalt.«
Wie schön und wahr sagt Lälius, mit Recht der Weise genannt:
»O Publius Gallonius, Du Säufer, wie elend bist Du;
Nie hast Du in Deinem Leben gut gespeist, da Du Alles
Verprassest in köstlichen Krebsen und mächtigen Stören.«
Dies spricht der Mann, welcher auf die Lust nichts gab und bestritt, dass Derjenige gut speise, dem nur die Lust das Höchste sei. Aber dabei behauptete er nicht, dass Gallonius nicht gern gegessen, denn dies hätte er lügen müssen, sondern nur nicht gut. So streng und scharf schied er die Lust vom Guten. Hieraus folgt, dass Alle, welche gut essen, auch gern essen, aber nicht, dass Alle, die gern essen, auch gut essen. Lälius ass immer gut.
§ 25. Was heisst gut? Läcilius mag es sagen:
»Gekocht und gewürzt.«
Aber nenne die Hauptsache bei der Mahlzeit:
»Ein verständig Gespräch.«
Was hat man davon?
»Willst Du es wissen? das Vergnügen«
Denn er kam zur Mahlzeit, um mit ruhigem Gemüth die Bedürfnisse der Natur zu befriedigen. Er bestreitet deshalb mit Recht, dass Gallonius je gut gespeist habe; mit Recht nennt er ihn elend, weil er sein ganzes Streben darauf richtete. Niemand wird von ihm leugnen, dass er gern gegessen; warum also nicht gut? Weil das »gut« das Rechte, das Mässige, das Anständige ist, und weil Jener schlecht, unanständig, schändlich und hässlich speiste und deshalb nicht gut. Auch stellte Lälius den feinen Geschmack des Sauerampfers nicht über den des Stör von Gallonius, aber der feine Geschmack selbst war ihm gleichgültig, und dies wäre nicht gewesen, wenn er das höchste Gut in die Lust gesetzt hätte.
Kapitel IX.
Die Lust ist also fernzuhalten, nicht blos um das Rechte zu thun, sondern auch, um geziemend mässig zu sprechen.
§ 26. Kann man also das für das höchste Gut im Leben erklären, was nicht einmal bei der Mahlzeit dafür gelten kann? In welcher Weise spricht nun der Philosoph weiter über die drei Arten der Begierde? Die einen sollen die natürlichen und nothwendigen, die andern die natürlichen, aber nicht nothwendigen und die dritte die weder natürlichen noch nothwendigen sein. Zunächst hat er hier nicht sorgfältig eingetheilt; aus zwei nur vorhandenen Arten hat er drei gemacht; dies ist kein Eintheilen, sondern ein Zerreissen. Wer das Eintheilen gelernt hat, was Epikur verachtet, würde sagen: Es giebt zwei Arten von Begierden: natürliche und eitle, und von der natürlichen zwei Unterarten, die nothwendigen und die nicht nothwendigen; dann wäre es richtig gewesen, denn es ist ein Fehler bei dem Eintheilen, die Unterart zu der Art zu stellen.
§ 27. Indess mag dies sein, da er die Feinheit der Erörterung verschmäht und verworren spricht; es mag dies hingehn, sofern nur seine Gedanken wahr sind. Aber ich kann es schon nicht billigen, sondern höchstens dazu schweigen, wenn ein Philosoph von der Beschränkung der Begierden spricht. Kann die Begierde wohl beschränkt werden? Vielmehr soll sie beseitigt und mit der Wurzel ausgerissen werden. Denn wie könnte man von dem, in dem die Begierde besteht, sagen, er solle in der rechten Weise begierig sein ? Dann gäbe es auch einen Geizigen, aber mit Maass, und einen Ehebrecher, der Maass hielte, und einen Schwelger von gleicher Art. Was ist das für eine Philosophie, die der Schlechtigkeit nicht den Untergang setzt, sondern sich mit einer Mässigung der Fehler begnügt. Ich kann bei dieser Eintheilung wohl die Sache billigen, aber die richtige Form fehlt. Er mag dies Bedürfnisse der Natur nennen und den Namen der Begierde für die Fälle aufsparen, wo er vom Geize, von der Unmässigkeit und den grössten Lastern spricht, um sie auf Tod und Leben anzuklagen.
§ 28. Indess spricht er hierüber angebundener und öfter, was ich zwar nicht tadeln kann, da ein so grosser und bedeutender Philosoph seine Aussprüche auch muthig vertheidigen muss; allein er geräth doch dadurch, dass er die Lust, welche alle Welt darunter versteht, vorzugsweise lebhaft in Schutz zu nehmen scheint, mitunter in grosse Verlegenheit, und es scheint, dass er, wenn die Menschen es nicht erführen, selbst das Schlechteste der Lust wegen zu begehen bereit wäre. Wenn er dann erröthet, denn die Macht der Natur ist gar gross, so hilft er sich damit, dass er bestreitet, die Lust des Schmerzlosen könne gesteigert werden. Und wendet man ein, dass diese Schmerzlosigkeit nicht Lust genannt werden könne, so antwortet er: Ich will auf den Namen nicht bestehen. – Wie aber, wenn die Sache eine durchaus andere ist? – Ich werde, antwortet er, dann Viele, ja Unzählige finden, die nicht so spitzfindig und lästig sind, wie Ihr seid, und die ich leicht von Allem, was ich will, überzeugen kann. – Aber kann man zweifeln, dass, wenn die Schmerzlosigkeit die höchste Lust ist, die Lustlosigkeit der höchste Schmerz ist? Weshalb zieht er nicht diesen Schluss? – Weil das Gegentheil des Schmerzes nicht die Lust, sondern die Schmerzlosigkeit ist.
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