Die Pyrenäenträumer - Band 2. Wolfgang Bendick
Читать онлайн книгу.laufende Wasser trinken, es sei genau diese Quelle! Das tat sie auch, benässte sich das Gesicht und erzählte: „Damals stand immer ein Glas an der Quelle, woraus jeder trank, der dort vorbeiging. Das Bächlein neben dem Haus diente zum Tieretränken und Abwaschen, auch zum Wäschewaschen. Das geschah zweimal im Jahr.
Während des Jahres wurde zu diesem Zweck die Asche des Kaminfeuers gesammelt. Eigentlich wurde alles gesammelt und nichts weggeworfen. Denn alles war irgendwann mal zu irgendetwas zu gebrauchen! Mit der Asche zum Bespiel konservierten ihre Großeltern in hölzernen Kisten auf dem Dachboden auch Würste und die fertigen Schinken. Somit konnten keine Fliegen und andere Schädlinge sich darüber hermachen. Zum Waschen wurde die Asche zuerst durchgesiebt. Dann gab die Großmutter eine Lage Wäsche in den Kessel, streute darauf eine dünne Schicht Asche, dann eine weitere Lage Wäsche, dann Asche und so weiter, bis der Waschkessel voll war. Dann schüttete sie langsam kochendes Wasser darüber, welche in die Wäsche einsickerte. Der Waschkessel besaß unten einen Hahn, durch den nach einer Weile das Wasser austrat, welches dann, oft nach nochmaligem Erhitzen wieder oben drüber gegossen wurde. Dadurch wurde das Wasser zu einer starken Lauge. Über Nacht machte man den Hahn zu, damit alles eingeweicht blieb. Das zog sich manchmal über zwei oder drei Tage hin. Anschließend wurde die Wäsche mit dem Wasser des Bächleins hinterm Haus gespült und gut auseinandergezogen auf die Wiesen zum Trocknen und zum Bleichen gelegt. Die Stücke die am weißesten sein sollten, durfte sie mehrmals am Tag mit etwas Wasser bespritzen, dass sie gut gebleicht wurden.
Ansonsten wurde Wasser nicht groß zum Waschen verschwendet. Die eigene Wäsche wurde manchmal im Bach gespült, das Geschirr mit einem Stück Brot ausgewischt, gab es Suppe, schüttete jeder am Ende etwas Rotwein hinein und machte „chabrol“, wie man das nannte, indem er den Teller mit dem Wein ausschwenkte. „Da ich als Stadtkind in den Augen meiner Verwandten als gebrechlich galt, vielleicht auch wegen meiner zu Beginn der Ferien blassen Farbe, bekam ich das „Männeressen“! Bestimmt dachten die anderen auch, dass wir in der Stadt nicht genug zu essen hatten, das war so die vorherrschende Meinung auf dem Land. Die Männer, wohl wegen der schweren Arbeit, die sie leisteten, aßen besser und mehr als die Frauen, die meist am und im Haus werkten. Arbeitet man auf den Feldern und Wiesen ging man oft zu Mittag nicht zum Haus zurück, sondern aß, was die Frauen eingepackt hatten. Das waren ein paar gekochte Kartoffeln, etwas Käse oder Quark und eine Zwiebel, manchmal ein Ei. Dazu einen herben Rotwein, meist sehr mit Wasser verdünnt, denn nicht jeder besaß ein paar Reben, wie der Nachbar von Graviarett, der sie auf einen hohen Birnbaum geleitet hatte. Das erschwerte zwar etwas das Ernten, das machten meistens die Kinder, aber dafür hatten die Trauben viel Sonne! Fleisch gab es selten, außer, wenn mal ein Tier geschlachtet werden musste. Dann war das auch eher für die Männer bestimmt, die Frauen aßen nur wenig davon.
Im Winter wurde ein Schwein geschlachtet, das zweite wurde verkauft, um etwas Geld zu haben, um am Jahresende die Steuern oder Pacht zu zahlen. Das war natürlich immer ein großes Fest, wo alle Nachbarn zusammenkamen! Denn alleine schon um das Schwein festzuhalten, wenn es abgestochen wurde, waren viele starke Arme nötig! Wie quiekte das, ich hielt mir immer die Ohren dabei zu! Wenn es dann aufgehängt und ausgenommen war, gingen die Frauen mit den Därmen nach Graviarett, denn dort war eine andere saubere Quelle, die in einem großen, offenen, gemauerten Becken gesammelt wurde. Das Becken hatte unten einen Auslauf, an dem man einfach mit dem Wasserfluss die Därme umstülpen konnte, um sie von der anderen Seite zu säubern, bevor sie mit der Fleischmasse oder Blut gefüllt wurden. Wie roch das gut, wenn die Blutwurst im Waschkessel simmerte! War das Wasser zu heiß, platzte der Darm bisweilen und das feste Blut schwamm dann im Wasser und bewirkte, dass die Suppe, die später damit gekocht wurde, umso besser schmeckte! Das waren immer ein paare Tage des Schlemmens, wenn das Schwein getötet wurde! Abends wurde gesungen, getanzt, Geschichten erzählt. Und jeder Nachbar bekam ein Stück Blutwurst ab! Auch die anderen Kinder aus der Nachbarschaft waren dann da.
Es wurde alles verwendet. Die Milz und die gekochte Lunge wurden durch den Fleischwolf gedreht und dem Boudin, der Blutwurst zugesetzt, die Leber zu Paté verarbeitet, die Füße und die Ohren ausgekocht um die Gelatine zu bekommen. Wie waren wir alle gierig darauf, die Knorpelstückchen zu zerbeißen, bis wirklich nur noch die Knochen übrig waren, die aber auch noch zerhackt und ausgekocht wurden, um mit dem Mark Suppen zu verfeinern! Die besten Stücke, wie die Schinken oder Vorderschinken wurden gewürzt und gesalzen auf ein Holzkreuz gelegt und in einem Tuch drei bis vier Wochen aufgehängt, damit das Salz einziehen konnte und sie etwas trockneten. Dann wusch man sie und rieb sie mit Pfeffer ein. Vor allem neben den Knochen musste man viel Pfeffer hineinschieben, bis zum Gelenk, damit nichts verfaulen konnte. Was haben wir dabei gelacht, weil alle dauernd niesen mussten!
Alles, was sich nicht durch Trocknen konservieren ließ, wurde in einem Holzfass in Salz eingelegt, oder in Steinguttöpfen als Konfit mit heißem Schmalz übergossen und regelrecht damit versiegelt. Bald reihten sich die Hartwürste auf den hölzernen Stangen unter der Küchendecke aneinander, später gesellten sich die Speckseiten dazu, als letztes die in alten Laken eingenähten Schinken. Manche Teile wurden auch in Gläsern eingekocht, wie die Jamboneaux, mit einem Stück Schwarte außen rum. Doch Gläser waren teuer und es gab wenige davon. So ein Glas, gut verpackt, und eine luftgetrocknete Hartwurst gab man mir immer mit, wenn ich wieder zurück nach Paris fuhr.
Tante Alexine war die einzige, die lesen konnte. Die Großeltern hatten nur die Mädchen auf die Schule im Dorf geschickt, die Jungen wurden zum Arbeiten auf dem Hof gebraucht. Für Opa Jean-Marie war die Schule verschwendete Zeit. Gerade recht für Mädchen, damit man sie besser verheiraten konnte!“
Ich verschwand kurz im Haus und holte die Papiere heraus, die ich unter einem Bett gefunden hatte, als wir das Haus kauften. Darin fand ich die Geburtsurkunde ihrer Tante Alexine von 1878 und deren Schulabschlusszeugnis von 1892, sowie eine Menge Briefe, die ihre Mutter an die Eltern und Geschwister geschickt hatte. Sie war den Tränen nahe, als sie diese sah.
„Manchmal, wenn ich hier war, kam ein Brief von meiner Mutter an. Das war immer ein Ereignis! Der Briefträger bekam einen Schnaps und alle warteten, bis Tante Alexine den Brief öffnete und vorlas! Dann ging der Briefträger wieder und erzählte die Neuigkeiten überall weiter! Alle diktierten ihr dann den Antwortbrief, auch ich durfte etwas draufschreiben, was mich ganz stolz machte und die Großeltern auch! Anfangs bekam ich das nicht mit, aber dadurch, dass meine Mutter mich als unverheiratete Frau als Kind bekommen hatte, gab das anscheinend viel Gerede! Und nun konnten sie stolz darauf sein, dass ihre Tochter es in Amerika zu etwas gebracht hatte und ihnen ab und zu etwas Geld schickte, und dass ihr Kind sogar des Lesens und Schreibens fähig war, was kaum eines der Nachbarskinder konnte!
Wie ich mitbekam, waren Oma und Opa von ihren Eltern verheiratet worden. Da gab es oft genug Streit, so dass der Großvater seine Söhne, also meine Onkel, hat schwören lassen, dass sie sich nie verheiraten! War es, dass sie so gehorsam waren? Jedenfalls hatte sich keiner je verheiratet! Nachdem die Großeltern gestorben waren, übernahm Onkel Joseph den Hof!“
Ich kramte in den gefundenen Papieren: „Hier ist ein Attest vom Militärarzt, mit Datum vom 4. Juli 1904, was besagt, dass Jean-Marie Joseph wegen Unfähigkeit vom Militärdienst befreit ist. Ist er es, der den Hof übernommen hat?“ „Das muss er sein. Er hatte schon immer Probleme mit den Augen. Meine Mutter war einmal zu Besuch, so um 1925. Damals ging es Großmutter schlecht. Sie ist, glaube ich, 1927 gestorben. Mutter hatte dann Geld geschickt, damit sie das Haus etwas herrichten könnten und auch für sie ein Zimmer einrichten, denn sie hatte immer vorgehabt, später wieder hierher zurück zu kommen. Doch der Maurer von Nabos nahm das Geld als Anzahlung, machte aber nie die Arbeiten! Großvater lebte dann nicht mehr lange.“
„Ich habe nur noch Post aus dem Jahr 1940 gefunden, dann war nichts mehr!“, sagte ich indem ich die letzten Briefe weglegte. „Mutter war schon seit längerer Zeit leidend, man hatte Tuberkulose festgestellt“, sagte sie. „Sie wurde in ein Sanatorium eingeliefert, wo sie bald darauf der Krankheit erlag. Sie konnte leider nicht mehr hierher zurückkommen, wie sie immer geträumt hatte. Um diese Zeit auch wurde Onkel Joseph blind. Tante Alexia und die zwei anderen Onkel waren schon früher gestorben. Im Krieg war es für mich nicht einfach, hierher zu kommen. Als ich ihm wieder einen Besuch abstatten wollte, lebte er bei einem Maquignon in der Nähe von Castillon auf dessen