Die Pyrenäenträumer - Band 2. Wolfgang Bendick

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Die Pyrenäenträumer - Band 2 - Wolfgang Bendick


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meist durch Verwandte, die aber inzwischen auch schon sehr alt waren und kaum mehr von zu Hause wegkamen. Denn Autos gab es damals hier ganz wenige.

      Als ich das nächste Mal kam, fand ich Onkel Joseph nicht mehr auf dem Hof des Viehhändlers vor. Dieser sagte mir, dass mein Onkel unbedingt ins Hospiz nach St. Girons hatte gehen wollen. Ich besuchte ihn dort. Was für ein Elend! Die alten Leute waren weitgehend sich selbst überlassen, es gab wenig zu essen. Er erzählte mir, dass ihn der Maquignon eines Tages gesagt hatte, ein Papier zu unterzeichnen. „Wie soll denn das gehen, ich sehe doch nichts und kann auch nicht schreiben!“, hatte er diesem gesagt. „Das macht nichts! Es ist jemand als Zeuge hier, es reicht, wenn du etwas darunter malst, ein Kreuzle oder so.“ Er tat es. Der andere Anwesende muss wohl der Notar gewesen sein. Am nächsten Tag schaffte ihn der Viehhändler ins Obdachlosenasyl. Onkel hatte eine Urkunde unterzeichnet, die besagte, dass er dem Händler sein Land überließ! Von da an ging es ihm zusehends schlechter. Als ich ihn das Jahr darauf besuchte, war gerade Markttag. Er bat mich, ihm vor dem Wegfahren ein gebratenes Hähnchen zu kaufen und noch so lange bei ihm zu bleiben, bis er es gegessen hätte. „Aber warum denn, du kannst es doch in Ruhe später essen!“, sagte ich. „Nein, bleibe noch so lange! Denn sonst nehmen mir die Anderen wie üblich alles weg, weil ich nichts sehen kann, und mir bleiben nur die Reste!“ Also blieb ich noch bei ihm. Ich kam dann erst zu seiner Beerdigung wieder, er wäre bald 70 geworden!“

      Betreten schwiegen wir eine Weile. Im Stapel der Fotos erkannte sie eines, worauf ihre Tante Alexine als Kind war, eines der ersten Fotos überhaupt, auf dickem Karton. Ein anderes zeigte ihren Onkel Eugène, der im ersten Krieg als Sanitäter tätig war und andere Fotos von Verwandten. War es wegen des Schwures gegenüber dem Vater, dass Joseph ledig geblieben war und niemand Nachfahren hatte? Oder war es damals schon schwierig für Bauern, eine Frau zu finden, die Arbeit und Leben mit ihm teilt? Es war langsam Stallzeit geworden, ich machte mich ans Einsperren der Tiere.

      Mehrmals noch besuchte uns Frau Bernagou hier oben, zweimal besuchten wir sie in der Stadt. Die Bäckerin von Sentein berichtete mir manchmal Neuigkeiten von ihr. Doch eines Tages kam sie nicht mehr zu mir an den Stand. Sie war in der Nacht entschlafen. Durch die Tochter erfuhr ich, dass ihre Mutter, schon über 80 Jahre alt, langsam begann, den Kopf zu verlieren und sie sie deshalb in ein Altersheim gebracht hatten. Ich kannte dieses, es war eher etwas schick, in keinster Weise mit dem Asyl ihres Onkels zu vergleichen! Ich machte mit ihrer Tochter, die inzwischen schon seit einer Weile in Rente war und seitdem auch in St. Girons lebte aus, uns um 15 Uhr im Seniorenheim bei ihrer Mutter zu treffen. Doch anscheinend war ihr etwas dazwischengekommen, und ich fand mich alleine mit ihrer Mutter wieder. Ich hatte ein Gläschen Honig dabei, ein Stück Käse und eine Postkarte von unserem Hof. Doch sie erkannte weder mich noch das Anwesen auf der Karte, sondern wiederholte immer nur, dass sie nichts kaufen wolle. Sie hielt mich wohl für einen Hausierer. Ich ließ alles auf ihrem Nachttischchen zurück und fuhr heim. Abends rief mich ihre Tochter an, die inzwischen die Mutter besucht hatte. Nach einer Weile Gespräch hatte es dieser gedämmert, wer ich war, und sie wollte unbedingt, dass ich sie noch einmal besuche! Doch der Sensenmann war schneller…

      MARKTRICKS

      Während der Sommermonate fuhr ich jeden Freitag die Tournee durch das Tal, bis hinunter nach Castillon. Außerdem machte ich jede Woche einen Markt in Castillon oder Sentein und manchmal einen besonderen Markt von Landprodukten, den jemand irgendwo organisiert hatte, zum Beispiel bei den regionalen Pflug-Meisterschaften. Diese liefen bisweilen gut, waren aber oft völlige Pleiten, wo man den Eindruck hatte, man sei nur zur Dekoration eingeladen worden! Anfangs war immer das Gedränge um die Plätze. Dadurch, dass ich vorher den Stall machte, kam ich erst so gegen 9 bis halb 10 Uhr hin. Nachbarn hielten mir meist meine Zwei-Meter-Lücke frei. Und auch der Garde Champêtre, der bisweilen die Plätze zuwies, wusste, dass ich später komme. Doch schien ich nicht nur wohlmeinende Bekannte zu haben! Es kam vor, dass jemand meinen Platz eingenommen hatte, weil der Platzanweiser ihm gesagt hatte, dass der Käser heute nicht kommt. Wer steckte dahinter? Der Lebensmittelladen? Die andere Käserei, die auf dem Schulplatz gebaut worden war? Auch verbat man mir, den Honig zu verkaufen. Ich hatte ihn eine Weile in Kartons unter dem Stand, bis ein anderer Klein-Imker mir sagte, dass ich nichts auf solches Gerede geben soll, bei ihm hätte man auch versucht, ihn vom Markt zu ekeln! Da seien der lokale Großimker dahinter und die eifersüchtigen Krämer, die am liebsten den Markt abschaffen würden, weil wir für sie eine Konkurrenz sind, die ihnen angeblich die Kunden wegschnappt!

       Wichtig ist, auf dem Markt immer denselben Platz zu haben, damit einen die Stammkunden gleich finden. Anfangs tat sich nicht viel auf dem Markt. Das gab mir Gelegenheit, die anderen Händler und deren Stände zu beobachten. Doch nach ein paar Wochen wurden es immer mehr Kunden, die auch wiederkamen, da sie nun wussten, dass wir nur eigenen Käse verkauften und nicht, wie die meisten Verkäufer, zugekaufte Ware. Mit der Zeit erkannten auch wir die Betrüger, die Käseverkäufer, die einen auf Bauernkäser machten und die Ausschussware von den Fabriken, die sie billig gekauft hatten, an den Mann zu bringen versuchten. Stapelweise schichteten sie die Käse auf ihrem Stand, und so mancher Tourist fiel darauf rein, weil deren Käse Risse hatten oder auseinanderliefen, angeblich ein Zeichen von Authentizität! Unsere hingegen waren gleichmäßig, hatten eine glatte Rinde, waren einfach zu „perfekt“!

      Im Wurstbereich fand das gleiche statt. Eigentlich nur Wiederverkäufer, die oft billige Supermarktware, von der sie die Etiketten entfernt hatten, haufenweise auslegten, dazu ein paar schöne Fotos von Schweinen, und die Leute ließen sich übers Ohr hauen. Ein krasses Beispiel war eine alte „Bäuerin“ auf dem Markt in St. Girons, sie saß auf dem Boden, an eine Platane gelehnt, eher wie eine Bettlerin, vor sich auf der Erde ein Korb mit Heu ausgelegt, darin ein paar Dutzend Eier. Die Touristen fotografierten sie. Niemand käme auf die Idee, dass da etwas unecht war! Und außerdem, an Eiern ist doch so gut wie nichts verdient… War ihr Korb leer, verschwand sie für ein paar Minuten. Ich folgte ihr mal, mehr durch Zufall. Anstatt heim zu gehen, lief sie zu einem dicken Mercedes, öffnete den Kofferraum und füllte ihren Korb neu auf, mit Industrieeiern, die sie in mehreren Kartons darin gelagert hatte! Wir als Marktverkäufer kannten bald die Betrüger und die wenigen Ehrlichen, die trotz der illoyalen Konkurrenz versuchten, zu überleben. Aber auch hier war nicht immer alles so fair. Es gab eine Ferienkolonie in der Nähe, die ein paar Bienenstöcke besaß und mit den Kindern Honig erntete. Sie verkauften den Honig zum halben Preis, ebenfalls ihre Marmeladen, weil sie ja nicht vom Erlös davon lebten, sondern von dem Geld, was die Eltern für den Ferienaufenthalt der Kinder zahlten…

      Viele Verkäufer warteten, bevor sie den Preis ihrer Waren festlegten. Sie wollten etwas billiger sein als die Konkurrenz. Oder schlugen einen Kilo-Preis an, der billig war und sich auf den Käse am Stück bezog. Die Passanten kauften meist die kleinen Käse, die nur als ganze verkauft wurden, als Souvenir zum Mitnehmen. Und deren Preis war das Doppelte! Wir, als ein beim Gesundheitsdienst als Hof-Käserei eingeschriebener Betrieb, hatten die Auflage, eine Vitrine zu haben, unsere Betriebsnummer auszuhängen. Wer laktischen Käse verkaufte, musste diesen gekühlt transportieren und anbieten. Für eine Weile wurde das auch für uns Vorschrift. Völlig widersinnig, da doch die Keller- und Lagertemperatur bei uns 12 bis 15 Grad ist! Wahrscheinlich steckten die Großbetriebe dahinter, die dadurch, dass sie den Kleinen das Leben erschwerten, lästige Konkurrenz loswerden wollten! Denn wer von uns konnte sich schon eine gekühlte Vitrine auf einem Anhänger leisten, und auf welchem Markt befand sich überhaupt ein Stromanschluss? In diesem Fall war es wiederum gut, dass es die AFFAP, den Verein der Kleinkäser gab! Der setzte sich dafür ein, durch Papierkrieg und Studien, dass diese Regelung für Hartkäsehersteller entsprechend abgeändert wurde. Doch störte das die Wiederverkäufer nicht, die weiterhin ihre Käse auftürmten, ohne Schutz vor Sonne oder Fliegen. Denn diese hatten keine Betriebsnummer und konnten nicht belangt werden! Schlimmstenfalls packten sie ein und kamen die Woche drauf wieder, denn Kontrollen gab es nur ein- bis zweimal im Jahr!

      Meist ist auf einem Markt eine tote Periode. Die ist in der Regel zu Anfang, weil die Kunden erst so gegen zehn Uhr erscheinen. Auch zwischendrin kann es Momente geben, wo keiner am Stand ist, während sich an den Nachbarständen vielleicht die Kunden drängen! Anstatt darüber zu verzweifeln, versuchte ich das Verhalten der Kunden zu analysieren, auch das Verhalten


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