Nostromo. Joseph Conrad

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Nostromo - Joseph Conrad


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Gould erhob die Augen zu ihres Gatten magerem, rotbraunem Gesicht und konnte bei diesen Worten über seinen Patriotismus, obwohl er sie gehört haben mußte, kein leisestes Zucken entdecken. Er war vielleicht eben nach der Rückkehr von der Mine vom Pferde gestiegen; er war englisch genug, um der heißesten Tageszeit nicht zu achten. Basilio, in weißleinener Livree mit roter Schärpe, war im Patio einen Augenblick hinter dem Herrn niedergekniet, um ihm die schweren Sporen abzuschnallen; und dann war wohl der Señior Administrator die Treppe hinauf in die Galerie gegangen. Reihen von Topfpflanzen, längs des Geländers zwischen den steinernen Bogenpfeilern aufgestellt, schlossen mit ihren Blättern und Blüten den Corrédor von dem darunterliegenden Viereck ab, dessen gepflasterte Fläche den wahren Herdstein eines südamerikanischen Hauses bildet, und auf der der Wechsel von Licht und Schatten den ruhigen Ablauf des häuslichen Lebens anzeigt.

      Señor Avellanos hatte die Gewohnheit, den Patio fast täglich um fünf Uhr nachmittags zu durchqueren. Don José wählte für seine Besuche die Teestunde, weil die englische Tageseinteilung in Doña Emilias Hause ihn an die Zeit erinnerte, wo er in London als bevollmächtigter Minister am Hofe von St. James gelebt hatte. Er liebte Tee nicht; und gewöhnlich schaukelte er in seinem amerikanischen Stuhl, die kleinen, glänzend beschuhten Füße auf der Fußrast gekreuzt, sprach unaufhörlich mit einer liebenswürdigen Geläufigkeit, die bei einem Mann seines Alters geradezu wunderbar wirkte, und hielt dabei lange Zeit die Tasse in der Hand. Sein kurzgeschorenes Haupt war schneeweiß; seine Augen kohlschwarz.

      Beim Anblick von Charles Gould, der den Salon betrat, pflegte er leicht zu nicken und seine rednerische Periode zu Ende zu führen, dann erst sagte er etwa:

      »Carlos, mein Freund, Sie sind von San Tomé in der vollen Tageshitze hereingeritten. Immer der wahre englische Tätigkeitsdrang. Nicht? Wie?«

      Dann trank er den Tee in einem Schluck hinunter. Diese Handlung wurde unweigerlich von einem leisen Schaudern und einem unfreiwillig gemurmelten »brrrr« begleitet, das von dem hastigen Ausruf »ausgezeichnet!« nicht ganz übertönt wurde.

      Dann reichte er die leere Tasse in die Hände seiner jungen Freundin zurück, die sich ihm lächelnd entgegenstreckten, und fuhr fort, sich über die patriotische Natur der San-Tomé-Mine zu verbreiten – einfach um des Vergnügens willen, sich selbst fließend sprechen zu hören, wie es schien, während sein zurückgelehnter Körper in einem Schaukelstuhl, wie sie aus den Vereinigten Staaten kommen, hin und her wippte. Hoch über seinem Kopf wölbte sich die weiße Decke des größten Wohnraums in der Casa Gould. Die Höhe des Raumes verkleinerte die schweren spanischen Stühle aus braunem Holz, mit Ledersitzen und geraden Rücklehnen, und die europäischen Sitzmöbel, die niedrig, über und über gepolstert herumstanden, wie fette kleine Ungeheuer, zum Bersten gemästet mit Stahlfedern und Roßhaar. Auf kleinen Tischen standen Nippsachen herum, über Marmorkonsolen waren Spiegel in die Wände eingelassen, Teppiche lagen unter den zwei Gruppen von Lehnstühlen, in deren jeder ein tiefes Sofa den Vorsitz führte; kleinere Läufer lagen da und dort auf dem roten Ziegelfußboden; drei Fenstertüren, die von der Decke bis zum Boden reichten, führten auf einen Balkon und waren von den senkrechten Falten der dunklen Vorhänge eingerahmt. Die Pracht vergangener Tage atmete noch zwischen den vier hohen Wänden, die zart primelfarben getönt waren; und Frau Gould, mit dem kleinen Kopf und den schimmernden Flechten, saß in einer Wolke von Musselin und Spitzen vor einem dünnbeinigen Mahagonitischchen und sah wie eine Fee aus, die aus Silbergerät Zaubertränke ausschenkt.

      Frau Gould kannte die Geschichte der San-Tomé-Mine. In früheren Tagen hauptsächlich durch Peitschenhiebe auf Sklavenrücken bearbeitet, war ihr Ertrag mit dem Vollgewicht an Menschenfleisch bezahlt worden. Ganze Indianerstämme waren bei dem Betrieb zugrunde gegangen; und dann wurde die Mine aufgegeben, denn sie hatte aufgehört, bei dieser primitiven Methode ertragreich zu sein, wie viele Leichname man auch in den Schlund warf. Später geriet sie in Vergessenheit. Nach dem Unabhängigkeitskriege wurde sie neu entdeckt. Eine englische Gesellschaft erhielt die Betriebserlaubnis und fand eine so reiche Ader, daß weder die Ansprüche der aufeinanderfolgenden Regierungen, noch die gelegentlichen Überfälle von Werbeoffizieren auf die allmählich herbeigezogene Bevölkerung von bezahlten Bergleuten die Ausdauer der Unternehmer erschüttern konnten. Schließlich aber hatten sich während des langen Wirrwarrs von Pronunziamentos, die auf den Tod des berüchtigten Guzman Bento folgten, die eingeborenen Bergleute, von Sendboten aus der Hauptstadt aufgewiegelt, gegen ihre englischen Arbeitgeber empört und sie bis auf den letzten Mann ermordet. Das Beschlagnahmedekret, das unmittelbar darauf im »Diario Official« von Sta. Marta erschien, begann mit den Worten: »In gerechtem Zorne über die schamlose Unterdrückung durch Fremde, die sich weit eher durch schmutzige Geldgier als durch die Liebe zu einem Lande leiten ließen, in das sie als bettelhafte Glücksjäger gekommen waren, hat die Bergarbeiterschaft von San Tomé...« usw. und schloß mit der Erklärung: »Das Staatsoberhaupt hat beschlossen, von dem ihm zustehenden Begnadigungsrecht in vollem Maße Gebrauch zu machen. Die Mine, die nach jedem Gesetz, internationalem, menschlichem und göttlichem Gesetz, nunmehr der Regierung als Nationaleigentum zufällt, soll geschlossen bleiben, bis das im heiligen Kampf für die Grundsätze der Freiheit gezogene Schwert sein Werk getan und das Glück unseres geliebten Landes gesichert hat.«

      Und das war für lange Zeit das letzte Wort über die San Tomé-Mine. Welche Vorteile sich jene Regierung von der Beschlagnahme erhofft hatte, ist jetzt unmöglich zu sagen. Costaguana wurde mit Mühe dazu gebracht, den Familien der Opfer eine lächerliche Geldentschädigung zu zahlen, und dann verschwand die Angelegenheit aus dem diplomatischen Notenwechsel. Später aber erinnerte sich eine andere Regierung an jene wertvolle Erwerbung. Es war eine gewöhnliche Costaguana-Regierung, die vierte in sechs Jahren – doch wußte sie ihre Möglichkeiten richtig zu beurteilen. Sie erinnerte sich der San Tomé-Mine in der geheimen Überzeugung, daß sie im Besitze des Staates wertlos bleiben mußte, doch mit einem genialen Blick für den verschiedenen Gebrauch, der von einer Silbermine zu machen ist, abgesehen von dem mühsamen Prozeß, das Metall unter Tag zu gewinnen. Der Vater von Charles Gould, durch lange Zeit einer der wohlhabendsten Kaufleute von Costaguana, hatte bereits einen beträchtlichen Teil seines Vermögens in Zwangsdarlehen an die aufeinanderfolgenden Regierungen eingebüßt. Er war ein ruhig urteilender Mann, der es sich nie träumen ließ, seine Forderungen einzutreiben, und als ihm plötzlich, zum völligen Ausgleich, die dauernde Betriebskonzession der San Tomé-Mine angeboten wurde, da kannte seine Bestürzung keine Grenzen. Die Regierungskniffe waren ihm vertraut. Tatsächlich lag die Absicht bei der ganzen Geschichte, wenn auch zweifellos insgeheim reiflich erwogen, in der Fassung des Dokuments, das ihm zu dringender Unterschrift vorgelegt wurde, offen zutage. Der dritte und wichtigste Paragraph bestimmte, daß der Konzessionsinhaber der Regierung sofort den Staatsanteil an dem schätzungsweisen Ertrag der Mine für fünf Jahre im voraus erlegen sollte.

      Herr Gould, der Vater, suchte sich gegen diese gefährliche Gunst mit vielen Gegengründen und Vorstellungen zu wehren, doch ohne Erfolg. Er verstand nichts vom Bergbau; er hatte keine Möglichkeit, seine Konzession auf den europäischen Markt zu bringen. Betriebsvorrichtungen in der Mine bestanden nicht mehr. Die Gebäude waren niedergebrannt worden, die Pläne vernichtet, die Arbeiterbevölkerung war seit langen Jahren aus der Nachbarschaft verschwunden; sogar die Straße lag unter einem wuchernden, tropischen Pflanzenwuchs so gründlich wie auf dem Meeresboden begraben; und der Hauptstollen war wenige hundert Meter vom Eingang eingestürzt. Man konnte nicht mehr von einer verlassenen Mine sprechen; es war eine wilde, unzugängliche Felsenschlucht der Sierra, wo Überreste verkohlter Balken, ein paar Haufen Ziegelschutt und einige formlose, rostige Eisenstücke unter dem verfilzten Dickicht dorniger Schlingpflanzen zu finden gewesen wären, das den Boden überdeckte. Herr Gould, der Vater, wünschte nicht den dauernden Besitz dieser trostlosen Örtlichkeit. Tatsächlich genügte ihr bloßes Bild, wenn es in stillen Nachtstunden vor seinem geistigen Auge aufstieg, ihn in schlaflose, hitzige Erregung zu versetzen.

      Es ergab sich nämlich, daß der damalige Finanzminister ein Mann war, dem Herr Gould vor Jahren einmal unglückseligerweise ein kleines Darlehen verweigert hatte, mit der Begründung, daß der Bewerber ein berüchtigter Spieler und Betrüger und überdies mehr als nur verdächtig war, in einem abgelegenen Landbezirk, wo er damals als Richter wirkte, einen wohlhabenden Farmer angefallen und beraubt zu haben. Nun, nachdem er es zu einer hohen Stellung gebracht, hatte jener Politiker


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