Nostromo. Joseph Conrad

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Nostromo - Joseph Conrad


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er sagen zu wollen, hatte ja alles nichts zu bedeuten, solange der Minister selbst während seiner kurzen Amtsdauer nicht vergessen wurde. Trotzdem aber hatte der inoffizielle Agent der San Tomé-Mine während seiner Arbeit für die gute Sache doch auch böse Augenblicke, die sich in seinen Briefen an Don José Avellanos, seinen Onkel mütterlicherseits, widerspiegelten.

      »Keiner dieser Bluthunde von Sta. Marta soll den Fuß in den Teil von Costaguana setzen, der diesseits der San Tomé-Brücke liegt«, pflegte Don Pépé Frau Gould zu versichern. »Außer, natürlich, als geehrter Gast – denn unser Señor Administrador ist ein tiefer Politico.« Zu Charles Gould aber, in dessen eigenem Zimmer, sagte der alte Major wohl mit einer grimmigen soldatischen Fröhlichkeit: »Wir spielen bei der Geschichte alle um unseren Kopf.«

      Don José Avellanos murmelte gelegentlich: »Imperium in Imperio, Emilia, meine Seele«, mit dem Ausdruck tiefer Selbstzufriedenheit, in den sich aber, merkwürdig genug, ein gewisses Unbehagen mengte; doch das war vielleicht nur den Eingeweihten erkennbar.

      Und für die Eingeweihten war es ein wundervoller Platz, dieser Salon in der Casa Gould, in dem sich der Hausherr – El Señor Administrador – gelegentlich einen Augenblick sehen ließ: älter, härter, geheimnisvoll schweigsam, mit verschärften Linien auf seinem rötlichen, englischen Gesicht von Freiluftfarbe; er stelzte auf seinen mageren Reiterbeinen durch die Türen, entweder gerade »zurück vom Gebirge« oder, mit klirrenden Sporen, die Reitpeitsche unter dem Arm, auf dem Weg »ins Gebirge«. Dann konnte man Don Pépé sehen, der in gemäßigt kriegerischer Haltung auf seinem Stuhl saß, den Llanero, der seine soldatische Heiterkeit, seine Weltkenntnis und sein für seine Stellung vollendetes Benehmen inmitten wüster Kämpfe mit seinesgleichen erworben zu haben schien; Avellanos, höflich und vertraut, den Diplomaten, unter dessen Redefertigkeit sich die Fähigkeit zu klugem und vorsichtigem Rat verbarg und der sein Geschichtswerk über Costaguana, betitelt »Fünfzig Jahre Mißwirtschaft«, jetzt der Welt zu schenken »für nicht weise hielt« (auch wenn es möglich gewesen wäre). Diese drei, und dazu Doña Emilia zwischen ihnen, zierlich, klein, feenhaft, vor dem glitzernden Teegerät; sie alle mit einem gemeinsamen Leitgedanken, einer gemeinsamen Spannung, einem stets bewußten Ziel: die Unverletzlichkeit der Mine um jeden Preis zu wahren. Und auch Kapitän Mitchell konnte man sehen, ein wenig abseits, nahe bei einem der langen Fenster; er hatte das etwas altmodische Aussehen eines gepflegten, älteren Junggesellen, etwas feierlich, in weißer Weste, wurde nicht sonderlich beachtet, merkte es aber nicht; er tappte ewig im Dunkeln und meinte doch, mitten im Leben zu stehen. Der gute Mann hatte rund dreißig Jahre seines Lebens auf der hohen See zugebracht, bevor er diesen »Landposten«, wie er es nannte, erreicht hatte, und war nun verblüfft über die Wichtigkeit der (nicht nur auf die Schiffahrt bezüglichen) Geschehnisse, die an Land vor sich gehen. Fast jedes Vorkommnis, das nur ein wenig außerhalb des Alltags lag, bezeichnete für ihn »eine Epoche« oder es war »historisch«. Manchmal allerdings konnte seine Feierlichkeit ihn nicht abhalten, betrübt das rötliche, gutgeschnittene Gesicht zu senken, das von schneeweißem, glattgeschorenem Haar und kurzem Backenbart eingerahmt war, und zu murmeln:

      »Ah! Das! Das, Herr, war ein Fehler!«

      Die Einlieferung des ersten Silbertransports aus der San Tomé-Mine, zur Verschiffung nach San Franzisko in einem der O. S. N. Postdampfer, hatte natürlich für Kapitän Mitchell »eine Epoche bezeichnet«. Die Barren waren in Koffer aus steifer Ochsenhaut mit geflochtenen Griffen verpackt, klein genug, um von zwei Mann getragen zu werden, und wurden von den Serenos der Mine vorsichtig etwa eine halbe Meile weit über die steilen Zickzackwege bis zum Fuß des Gebirges heruntergebracht. Dort wurden sie in zweirädrige Karren verladen, die wie geräumige Kasten mit Türen an der Rückseite aussahen und, jeder mit zwei hintereinandergespannten Mulis, unter der Bedeckung berittener und bewaffneter Serenos warteten. Don Pépé verschloß eine Tür nach der andern, und auf sein Pfeifensignal setzte sich die Wagenreihe in Bewegung, unter dem Klirren von Sporen und Karabinern, Peitschenknallen und Rasseln mit plötzlichem, dumpfem Dröhnen über die Grenzbrücke weg (»ins Land der Diebe und Bluthunde«, nannte Don Pépé diese Ausreise); Hüte wippten im ersten Dämmerlicht auf den Köpfen verhüllter Gestalten, die Winchesterbüchsen auf dem Schenkel aufgestützt hielten; Zügelhände kamen schlank und braun aus den wehenden Falten der Ponchos hervor. Die Kolonne umfuhr ein kleines Gehölz, durchquerte dann längs der Minenstraße die Lehmhütten und niedrigen Mauern von Rincon und legte auf dem Camino Real Tempo zu: die Maultiere wurden angetrieben, die Eskorte galoppierte. Don Carlos ritt allein einer Staubwolke voran, aus der undeutlich die langen Ohren von Maultieren und die wehenden, kleinen grünweißen Wimpel auftauchten, die jeder Wagen führte: erhobene Arme dazu, in einem Gewirr von Sombreros, und das weiße Blitzen spähender Augen: und Don Pépé, kaum zu erkennen in der Nachhut des donnernden Wirbels, saß steif, mit unbewegtem Gesicht, im Sattel und hob und senkte sich taktfest zum Trab eines silbergezäumten schwarzen Gauls mit Hirschhals und Hammerkopf.

      Die verschlafenen Leutchen in den Lehmhütten der Weiler und den kleinen Ranchos an der Straße erkannten an dem maßlosen Getöse den Sturmangriff der San Tomé-Silber-Eskorte gegen den zerbröckelnden Stadtwall nach dem Campo zu. Sie kamen an die Türen, um die Kolonne über Stock und Stein wegflitzen zu sehen, mit dem rücksichtslosen Drauflos und der ganzen Fahrkunst einer in Stellung gehenden Feldbatterie, und der einsamen englischen Gestalt des Señor Administradors führend weit voraus.

      In den Koppeln längs der Straße sprengten Pferde eine Zeitlang wild dahin; das schwere Vieh stand bis zur Brust im tiefen Grase und brüllte unruhig dem Getöse nach; ein demütiger Indianer sah vielleicht über die Schulter zurück und beeilte sich, seinen kleinen Lastesel an die Mauer zu drücken, um dem Silbertransport der San Tomé-Mine, der an die See hinunterging, den Weg freizugeben. Ein paar fröstelnde Leperos unter dem steinernen Pferd auf der Alameda murmelten untereinander »Caramba!«, wenn sie die Kolonne im Galopp in weitem Bogen um das Denkmal biegen und die leere Verfassungsstraße hinunterjagen sahen, denn die Maultiertreiber der San Tomé-Mine hielten es für den richtigen, den einzig anständigen Stil, die eben erwachende Stadt von einem Ende zum andern ohne Aufhalten zu durchrasen, als hätten sie den Teufel auf den Fersen.

      Das frühe Sonnenlicht glänzte auf den zart gelben, blauen, roten Fronten der großen Häuser, deren Tore alle noch geschlossen waren und hinter deren vergitterten Fenstern sich kein Gesicht zeigte. In der ganzen Reihe der sonnigen leeren Balkone längs der Straße war nur eine einzige weiße Gestalt hoch über dem blanken Straßenpflaster zu sehen, die Gattin des Señors Administrador – die, das reiche, blonde Haar flüchtig auf dem kleinen Kopf aufgesteckt, ein Spitzengewirr um den Halsausschnitt des Morgenkleides aus Musselin, sich vorbeugte, um die Eskorte nach dem Hafen gehen zu sehen. Dem kurzen schnellen Aufblicken ihres Gatten begegnete ihr Lächeln. Dann ließ sie das Ganze mit kriegerischem Lärm unter sich vorbeiziehen und beantwortete endlich mit freundlichem Nicken den Gruß des galoppierenden Don Pépé, der sich mit steifer Ehrerbietung im Sattel neigte und den Hut bis zum Knie hinab schwenkte.

      Die Reihe der verschlossenen Wagen wurde mit den Jahren immer länger, die Eskorte immer größer. Alle drei Monate flutete ein ständig anwachsender Silberstrom durch die Straßen von Sulaco, auf dem Wege nach den Kassenräumen des O. S. N. Gebäudes am Hafen, um dort die Verschiffung nach dem Norden abzuwarten. Ständig anwachsend und von ungeheurem Wert: denn wie Charles Gould einmal seiner Frau fast frohlockend sagte, war etwas Ähnliches wie der Reichtum der San Tomé-Ader bisher in der Welt nicht erhört worden. Für sie beide war jedes Vorüberziehen der Eskorte unter dem Balkon der Casa Gould wie ein neuer Sieg im Kampf für den Frieden in Sulaco.

      Zweifellos waren Charles Goulds erste Schritte dadurch begünstigt worden, daß sie in eine verhältnismäßig friedliche Zeitspanne fielen; vielleicht auch war die Gesittung schon weiter fortgeschritten als zur Zeit der Bürgerkriege, aus denen die eiserne Zwingherrschaft Guzman Bentos »schrecklicher Erinnerung« erwachsen war. Den Zwistigkeiten zu Ende dieser Herrschaft (die durch volle fünfzehn Jahre dem Lande den Frieden erhalten hatte) fehlte gewiß nicht die sinnlose Torheit und ein Unmaß an Grausamkeit und Leiden, doch wiesen sie bei weitem nicht den blinden Blutdurst und den politischen Fanatismus früherer Zeiten auf; alles war gemeiner, niedriger, verächtlicher und unendlich lenkbarer infolge der ganz offenbar zynischen Beweggründe. Es lief auf ein schamloses Geraufe um eine ständig abnehmende Beute hinaus; denn jeder Unternehmungsgeist im Lande


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