Bunte Zeiten - 1980 etc.. Stefan Koenig

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Bunte Zeiten - 1980 etc. - Stefan Koenig


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      „Weiß nicht. Aber lass es dir gut gehen. Tschüss!“

      „Tschüss und Kussi!“

      Wortlose Stille.

      „Ja. Bis dann.“

      Sauna-Kuschelkurs

      Auf dem fünfminütigen Weg zum Hochhaus drückte sich Mary eng an mich und steckte mir ihre Hand in die Po-Tasche meiner Jeans. „We are friends, aren’t we?“

      „Yes, we are very best neighbours“, antwortete ich. Ich war mir unsicher, was für eine Meinung meine drei best neighbours von American friendship hatten. Was bedeutete ihnen Freundschaft, was Liebe? Ich war und blieb in Siu verliebt – und diese Liebe war nicht teilbar. Aber mit Marys Nachbarschaftsfreundschaft – und damit natürlich auch mit der daran hängenden Freundschaft von Sam und Vicky – wollte ich es mir nicht verderben.

      Am Hochhaus angekommen, war das Gebäude nicht ganz so groß, wie ich erwartet hatte; unten waren Stores angesiedelt. Ab dem ersten bis zum achten Stockwerk bestand es aus Wohneinheiten. Im letzten, dem neunten Stock, befand sich das individuelle Partyobjekt meiner punkigen Nachbarn, wie mir Mary vorab verraten hatte – ein großes Schwimmbecken mit 25-Meter-Bahnen, einem Whirlpool und zwei Saunen mit einmal 170 Grad Fahrenheit, was etwa 80 Grad Celsius entsprach, und einmal mit 60 Grad Celsius. Vor dem Haupteingang warteten auf uns bereits drei Punk-Pärchen und Sams dreiundzwanzigjähriger Freund James.

      „Has anyone noticed you?“, fragte Sam seinen Lieb­haber.

      „Nobody saw us!“

      „It has to stay that way now. Be quiet in the hall and in the elevator.”

      Wir sollten im Flur und im Aufzug ruhig sein, meinte Sam. Mir war klar, dass die Jungs sich hier nicht ganz offiziell für ihre Privatparty kostenfrei „eingemietet“ hatten. Sam holte einen Schlüssel aus seinem Portemonnaie hervor und schloss auf.

      „Woher habt ihr den Schlüssel?“, fragte ich.

      „Wir haben einen Studienfreund am Kunstinstitut. Er ist hier nebenberuflich als Caretaker tätig, um sein Studium zu finanzieren.“

      Es gab sehr viele Worte, Begriffe und Idioms, die ich noch nicht kannte. Sam erklärte mir im Aufzug flüsternd, dass »Caretaker« das Wort für Hausmeister sei.

      „Ist es einer der Jungs, die hier mit ihrem girlfriend dabei sind?“

      „My goodness, was denkst du! Wenn er erwischt würde, würde er gefeuert und sein Studium wäre unbezahlbar!”

      „Und wenn ihr erwischt werdet?“

      „Dann nennen wir den Namen eines Verwaltungsmanagers, den uns unser Freund genannt hat, und behaupten, dass er es erlaubt und uns den Schlüssel geliehen hätte.“

      „Und wenn ihr genau an diesen Mann geratet, wenn ihr erwischt werdet?“

      „Dann haben wir noch einen zweiten Namen. Aber wenn das so kommt, dann wäre es hier mit den geilen Partys leider vorbei.“

      „Und die Bewohner? Gehen die nicht schwimmen und in die Sauna?“

      „Das kommt ganz selten vor, meistens nur samstags oder sonntags. Wir feiern am liebsten unter der Woche. Bisher, also in den letzten acht Monaten, haben wir nur zwei Mal jemanden getroffen, und die haben sich dann gleich verzogen, weil wir ihnen zu viel waren. Die denken dann, dass wir Gäste eines Mieters seien und fragen auch nicht nach, sondern ziehen sich dezent zurück. Alles völlig easy. Du kannst dich entspannen. Timid German!“

      Okay, dann schätzte er mich also als schüchtern ein. War mir völlig egal, insbesondere, weil ich an diesem Abend das Wort „timid“ noch nicht auf meinem Vokabular-Radar hatte. Aber schüchtern war ich tatsächlich, als wir endlich im Pool planschten, allesamt splitternackt. Die drei Pärchen knutschten im Wasser und schäkerten überlaut. Sam und James vergnügten sich offensichtlich mit Unterwasser-Sex. Nur Vicky und Mary-Kay liebkosten sich verhalten im plätschernden Nass und sahen hin und wieder zu mir, der ich lonely meine Runden schwamm und an Siu dachte.

      Ich sah, wie Vicky zu den beiden gays auf die andere Poolseite hinüberschwamm und sich an ihren Vergnügungen beteiligte. „Diese Jugend! Diese amerikanische Großstadtjugend!“, dachte ich und fühlte mich mit einem Mal so schrecklich erwachsen. Dann dämmerte es mir – denn hieß »erwachsen« nicht »Mangel an Offenheit für die Unbefangenheit der jungen Jahre«? Plötzlich spürte ich eine zarte Flosse auf meinem Schenkel. Es war Mary. „Join me in the sauna.“

      Wir stiegen aus dem Wasser und ich folgte ihr brav und bedenkenlos in die 60-Grad-Sauna. Kaum waren wir alleine, fiel sie mir um den Hals und knutschte mich von oben bis unten ab. Sie war fast unten, hatte mit ihrer Zunge meinen Bauchnabel gerade hinter sich gelassen, als ich wieder an Siu denken musste. In meinem verwirrten Zustand haute ich in Erinnerung eines Beatle-Songs einen verrückten Satz raus: „Let it be!“ – was in meinem spontanen Lübke-Englisch eigentlich „Lass es sein!“ heißen sollte. Tatsächlich aber bedeutete es eher »Toleriere es« oder »Nimm es hin« oder wie im besagten Song: »Nimm es dir nicht so zu Herzen«.

      Sie sah kurz zu mir auf, erster Augenaufschlag, verführerisches Lächeln, zweiter Augenaufschlag, dann kniete sie sich neben mir hin, reckte mir ihren Po entgegen, spreizte ihre Beine, feuchtete ihre Hand mit der Zunge an, steckte sie zwischen ihre Beine und forderte mich auf: „Come on, German. It’s your turn. Do it. I would like it. It’s time for love.“

      „I’m very sorry. It’s too hot. You are very hot. The sauna is very hot, but I‘m not able to be hot. My heart belongs to Siu. I hope you are not … you are not … äh …”

      “You mean disappointed?”

      “Yes, disappointed.” Genau, das war das Wort für »enttäuscht«.

      “I’m so disappointed. But I hope you’ll change your mind in the foreseeable future.”

      Ich war für’s Erste gerettet. Ihre Enttäuschung hielt sich offenbar in Grenzen. Sie hoffte auf eine »absehbare Zeit«. Aber was meinte Mary mit ihrer Hoffnung auf eine Meinungsänderung? Das war doch eine Sache des Gefühls, eine Sache des Herzens und nicht Sache irgendeiner Meinung. Dachte sie, man könne mehreren Göttinnen dienen? Das erinnerte mich an unsere frühe Jugendphase mit der einhergehenden sexuellen Revolution – damals, in den Jahren zwischen 1967 und 1970, jener angestrebten Freizügigkeit ohne Eifersucht. Es erinnerte an unsere Ideen von freier Liebe, von abwechslungsreichen und doch intensiven Partnerschaften. Was war uns Treue damals wert? Und was war sie mir heute wert? Siu war so präsent. Ich würde sie noch heute Abend anrufen.

      Als nächstes, während mir der Saunaschweiß in kleinen einzelnen Bächen durch die Brustbehaarung rann, um sich im Nabel zu vereinigen, dachte ich an Tommis Witzelei, als er uns in der Clausewitz-WG über seine Jura-Prüfung berichtet hatte:

      „Beim Examen wird der angehende Jurist gefragt: »Was ist die Höchststrafe für Bigamie?«

      Erwidert der Prüfling: »Zwei Schwiegermütter!«

      Ja, deshalb also hatte wohl Karl Marx sich nur auf seine einzigartige Jenny konzentriert!“

      Wir hatten gelacht, natürlich auf Kosten aller Schwiegermütter, weltweit. Und Tommis Freundin Rosi hatte gemeint: „Schwiegermütter aller Länder, vereinigt euch!“

      Tommi, unser guter Ex-Postler und jetzt nur noch Gelegenheits-Postmensch, der mit seinen fortschrittlichen Attitüden die Postgewerkschaft in Westberlin auf Vordermann gebracht hatte, war auf dem Weg zu einem sehr brauchbaren Advokaten.

      Er hatte mir versprochen, mich per Briefpost über die politische Entwicklung in good old Germany auf dem Laufenden zu halten. So erreichte mich Ende August die Nachricht, dass sich erstmals die beiden evangelischen Kirchen der BRD und der DDR mit einem »Wort zum Frieden« in einer gemeinsamen Erklärung an die Öffentlichkeit gewandt hatten. „Anlass ist der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor 40 Jahren am 1. September 1939“,


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