Behauptung statt Wahrheit. Erwin Leonhardi

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Behauptung statt Wahrheit - Erwin Leonhardi


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protestantische Bewegung lehnte die Vulgata und deren Derivate wegen ihrer religiös übermotivierten Textrevisionen ab. Man hielt sich weitestgehend an die Originalsprachen Hebräisch, Aramäisch und Alt-Griechisch und verwendete Latein nur zur Klärung mancher Sachverhalte. Insofern ist der deutsche Text der Lutherbibel der authentischste. Modernere Übersetzungen gehen zwangsweise auf die vom Vatikan ausgerufene Vulgata zurück.

      Die Authentizität der Bibeltexte

      Also ist die in mittelalterlichem Hochdeutsch geschriebene Bibel ein sprachliches Konglomerat aus hebräischen, aramäischen, griechischen und lateinischen Texten. Daraus wörtliche Zitate zu entnehmen und einen auf die heutige Zeit passenden Sinn herbei zu theologisieren, ist abenteuerlich. Es erfüllt den Tatbestand einer Täuschung. Einige französische Denker während der Aufklärung nannten es wörtlich Priesterbetrug. Über diesen Begriff und dessen Inhalte gibt es viel Literatur. Bezeichnenderweise wird diese weitgehend totgeschwiegen.

      Die Tatsache, dass viele theologische Passendmacher an dem sogenannten heiligen Gotteswort Veränderungen vorgenommen haben, sollte eine grundsätzliche Skepsis diesen Texten gegenüber wecken. Zumindest beweist es, dass die frommen Änderer, eigentlich Fälscher, damit dokumentieren, dass sie selbst nicht daran glaubten, dass die Texte heilig und göttlich sind. Sonst hätten sie es nicht gewagt, so mit ihnen umzugehen.

      Der biblische Kanon

      Abenteuerlich zeigt sich auch der menschliche Umgang mit der Heiligen Schrift in der Zusammenstellung der Bücher der Bibel. Menschen haben entschieden, welches Buch dazu gehört, und welches nicht. Das ist menschliche Zensur an Gottes Wort.

      Der jeweilige Bibelkanon ist die Reihe von Büchern, die als Bestandteile ihrer Bibel festgelegt wurden und damit Maßstab ihrer Religionsausübung sind.

      Im Judentum wurden die fünf Bücher Moses, im Zeitraum ca. 800 - 250 v. Chr. zur normativen Heiligen Schrift. Diese Bücher wurden um weitere prophetische und weisheitliche Schriften ergänzt. Erst etwa 100 n. Chr. wurde endgültig festgelegt, welche hebräischen Schriften zum dreiteiligen Tanach gehören. Die drei Teile des Tanach sind Thora (Weisung), Nevi'im (Propheten) und Ketuvim (Schriften). Aus den drei Anfangsbuchstaben T, N und K entstand das Akronym TNK, in Hebräisch gesprochen ta-na-ch, also zusammengezogen Tanach. Da das Judentum keine oberste Lehrautorität kennt, blieben griechisch übersetzte Bibelversionen neben dem Tanach bestehen.

      Aufgrund konfessioneller Unterschiede unterscheidet sich der Umfang der Bibel in einigen Kirchen. Während im Osten der engere hebräische Kanon gilt, übernahm der lateinische Westen einige weitere Bücher aus der griechischen Septuaginta. Die evangelischen Kirchen begrenzen das AT auf die Bücher des Tanach. Das NT wurde um 400 n. Chr. endgültig zusammengestellt. Auf diese Weise konnten die ideologisch unliebsamen Bücher aus der Bibel ferngehalten werden. Sie wurden mit dem Schmähwort Apokryphen belegt und gelten noch heute bei vielen Christen als falsche Nebenliteratur. Einige gläubige Christen verspüren echtes Unbehagen, diese Schriften heute zu lesen, obwohl wesentliche Teile des weitverbreiteten Volksglaubens auf die Apokryphen zurückgehen.

      Die fundamentale Frage ist, wie ein Allwissender und Allmächtiger solche sinnverändernden Handlungen ungestraft an seinem heiligen Wort zulassen kann, wo er doch bei geringsten Anlässen drastische Strafmaßnahmen ergriffen hat. Indem er nicht einschreitet, wird dadurch belegt, dass es ihn entweder nicht gibt, oder es ihn nicht interessiert, weil es sich um Menschenwerk handelt, dem der göttliche Ursprung lediglich angedichtet wurde. Da Gott seit vielen Jahrhunderten sichtlich nicht gegen Textänderungen einschreitet, hat das Buch als Heilige Schrift keinen authentischen Wert.

      Die zwei Götter des AT

      Gleich am Anfang der Bibel bei der Übersetzung der Schöpfung hätte Luther auffallen müssen, dass es zwei verschiedene Götter gibt, die sogar jeweils anders genannt werden. Er hat dies offenbar im Vertrauen auf die Gültigkeit der Texte von seinem Team ohne Argwohn übernommen.

      In lateinischen Texten findet man jeweils konsequent sowohl deus (Gott) als auch dominus deus (Gott der Herr). Dass die hebräischen Gottesnamen Elohim und Jahwe zwei verschiedene Gottesbegriffe sind, mag ihm nicht aufgefallen sein, oder es hat nicht in seine Vorstellung gepasst. Dennoch wagte er nicht, den Gottesnamen zu vereinheitlichen. In den griechischen Basistexten wurde konsequent Elohim mit ho theos (der Gott), und Jahwe durchgängig mit ho kyrios (der Herr) übersetzt.

      Es ist offensichtlich, dass in den hebräischen Texten von zwei verschiedenen Göttern gesprochen wird, einmal von Elohim und zum anderen von Jahwe, der mit den Buchstaben JHWH geschrieben wird. Vokale werden im Alt-Hebräischen und im Aramäischen nicht geschrieben. Die hier ersichtliche bedeutungsvolle Unschärfe wurde auch von den Übersetzern übernommen, die an der Herstellung der Septuaginta beteiligt waren.

      Die Erklärung für die Doppelnamigkeit gilt mittlerweile als wissenschaftlich gesichert. Die Texte des AT wurden im Zeitraum von 1200 bis 722 v. Chr. in einem Landstrich geschrieben, der ungefähr dem heutigen Israel und Libanon entspricht. In der gesamten Gegend haben sich Menschen unterschiedlichster Herkunft arrangiert und vermischt. Hierzu gehörten laut AT die Amoriter, Girgashiter, Hethiter, Heviter, Kanaaniter, Jebusiter, Peresiter, Philister und andere. Alle hatten eigene Gottheiten und eigene Wertesysteme.

      Diese Menschen haben genau so fest an ihre Götter geglaubt wie die Israeliten. Warum wird der Glaube dieser vielen Völker abwertend mit dem Begriff Naturreligion belegt, während die Israeliten für sich die einzig richtige Religion beanspruchen? Die Antwort ist einfach: Die einzig gültige Religion hat immer nur der Sieger.

      Im Kanaan entwickelte sich mit der Zeit El zum höchsten Gott. El war männlich und eine absolutistische Herrscherfigur, er war der Oberste im Rat der Götter. Er wurde von den Kanaanitern als Mann betrachtet und gelegentlich auch als Stier dargestellt. Die gleichen Fähigkeiten sprach man Jahwe zu, dem allerdings nur Menschengestalt zugestanden wurde, ähnlich wie bei den Griechen Zeus. Beiden, El und Jahwe, wurde nachgesagt, sie griffen aktiv und direkt in das tägliche Geschehen ein.

      Wie nicht nur in den geschichtlichen Teilen des AT nachzulesen ist, entstanden später aus den ursprünglich gleichberechtigten israelitischen Stämmen zwei Reiche, im Norden Israel und im Süden Juda. In beiden wurden Jahwe und Elohim zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlicher Intensität verehrt. Die Parallelität der beiden Götter hielt bis zur literarischen Vereinigung durch den Redaktor an.

      Die Autoren des AT

      Mittlerweile hat die Bibelforschung herausgefunden, wer die Autoren der Bibelbücher waren und welche Intentionen sie verfolgten und auch, warum einige Geschichten in zwei Versionen vorliegen. Die Autoren konnten nicht namentlich identifiziert, sondern nur nach ihrem Duktus qualifiziert werden. Empfehlenswert ist hier das für jedermann verständliche Buch "Wer schrieb die Bibel?" von Richard Elliott Friedman. Friedman, 1946 geboren, hat in Harvard promoviert, war zwölf Jahre lang Professor an der Theologischen Fakultät der University of California in San Diego für jüdische Zivilisation, hebräische Bibel und nah-östliche Sprachen und Literatur. Er lehrt seit 2006 an der University of Georgia.

      Mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar namentlich identifiziert ist der sogenannte Redaktor, der mit viel Geschick die beiden Textversionen des Nordens und Südens gefühlvoll und mit Political Correctness zu dem hebräischen Text mit aramäischen Einschlüssen zusammenfügte, der bis heute das AT bildet. Nach der Meinung von Friedman, die er von der Wortwahl und Diktion ableitet, waren die Redaktoren höchstwahrscheinlich Esra und dessen Schreiber Baruch.

      In diesem Zusammenhang hier sind die Personen nicht wichtig, sondern nur die Tatsache, dass das AT eine Textmischung darstellt, bei der im Original die beiden Götterfiguren Elohim und Jahwe beibehalten wurden.

      Dieser Namensunterschied lässt sich im gesamten AT an vielen Stellen verfolgen. Es gibt noch eine häufig genannte weitere Bezeichnung für Gott, nämlich Zebaoth. Dieser Namenszusatz zu Jahwe, nicht zu Elohim, wird im Tanach verwendet.


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