Koppelgeschichten - von und mit Pferd. Gabi Lohmann
Читать онлайн книгу.Ein riesiger Löwenzahn hängt dem alten Rappen aus dem Maul und er kaut genüsslich darauf herum. „Wenn ich mich recht erinnere, hast du vor drei Wochen kaum den Kopf hochbekommen. Hast richtig jämmerlich ausgesehen. Schon vergessen?“
„Wie soll ich das vergessen?“ Missmutig rupft Calimero ein Büschel Gras aus. „Ist mir ja schon das zweite Mal passiert! Und was macht meine Menschin! Ruft den Tierarzt, der eine dicke Nadel in mich hineinsticht! Tat sauweh!“ Calimero prustet empört. „Und dann geben sie mir noch etwas, damit ich mich nicht mehr wehren kann. Richtig müde macht das Zeug.“
„Und wie du danach geduftet hast!“ Peter kaut genießerisch auf dem Büschel. „Gestunken hast du, drei Meilen gegen den Wind. Aber es hat dir geholfen!“
„Und kaum kann er sich wieder etwas bewegen, schon denkt er ans Springen!“ Ilias schüttelt verständnislos den Kopf. „Sei doch froh, dass dein Mensch dich schont. Macht auch nicht jeder.“
„Wie bist du überhaupt an so eine nette Menschin gekommen?“ Gipsy nähert sich dem Koppelzaun und streckt die Nase zu den Wallachen hinüber. „Du hast es in deinem Leben echt gut getroffen.“
„Ja, da hast du Recht. Wenngleich, am Anfang war es schon etwas holperig.“ Calimeros Blick gleitet in die Ferne.
***
An meine Kindheit kann ich mich nur noch dunkel erinnern. Geboren bin ich in Rottweil, wo ich auch die ersten Monate meines Lebens verbracht habe. Wir hatten zwar nur ein kleines Einzimmerappartment, dafür aber einen riesigen Garten.
Meine Mama war eine echt tolle. Hat mir gezeigt, wo es die süßesten Gräser gibt. Bei ihr konnte ich mich nach dem Toben immer ausruhen – und einige Freunde in meinem Alter hatte ich auch dort.
Meine Mama und mein Papa lebten zu der Zeit schon getrennt. Alles, was ein kleines Pferd wissen muss, habe ich von meiner Mama gelernt.
Sie hat mir auch beigebracht, keine Angst vor diesen komischen Wesen zu haben, die auf zwei Beinen herumlaufen, komisch riechen und jeden Tag ein anderes Fell haben.
"Das sind Menschen", sagte sie zu mir. "Wir halten sie als unser Personal, und zu unserer Unterhaltung. Sie sorgen dafür, dass wir regelmäßig unser Essen bekommen, sie kümmern sich um unseren Garten und sorgen für unsere Unterhaltung, damit uns nicht langweilig wird.
Ach ja, und der komische Geruch, der nennt sich Seife."
Meinen Papa habe ich leider nie kennen gelernt.
Mama hat aber erzählt, dass er ein berühmtes Springpferd ist. Springpferd? Ich hatte zu der Zeit keine Ahnung, was das war. Aber es klang so aufregend! Das wollte ich auch werden. Vielleicht würde ich dann meinen Papa treffen!!!
Eines Tages kam eines dieser Menschen-Wesen und brachte mich zu einer komischen kleinen Box auf Rädern. Meine Mama hatte mir gesagt, ich könne diesen Menschen vertrauen, aber ab und an kommen mir Zweifel! An dem Tag, an dem ich vertrauensvoll hinter dem Menschen in die kleine Box stieg, sah ich meine Mutter zum letzten Mal!
Ich kam in ein neues Zuhause. Dort wohnten bereits zwei Artgenossen. Sie waren klein, weiß und rund.
"Ah, du bist bestimmt unser neuer Kollege", begrüßte mich der Erste freundlich.
"Wie heißt du", fragte der andere.
"Was meinst du?" entgegnete ich.
"Na, dein Name. Du musst doch einen Namen haben."
„Was ist ein Name?“
"Das ist etwas, was Menschen einem geben. Das Wort, das sie am häufigsten zu dir sagen, ist dein Name. Mein Kollege hier heißt 'Lassdas' und ich bin 'Fresssack'."
"Oh, nein, einen Namen habe ich nicht."
"Naja, wird schon noch kommen. Wir zeigen dir erstmal dein neues Zuhause."
Meine neue Heimat war auf dem ersten Blick gar nicht so schlecht. Es gab eine große Weide, Berge von Heu und jede Menge interessantes Spielzeug.
Doch oh Schreck: Wo war meine Wohnung????
Ich schaute mich um, aber alles, was ich entdecken konnte, war eine Art Unterstand, an dem die vordere Wand fehlte.
DAS sollte mein neues Zuhause sein?
Wohin sollte ich bei schlechtem Wetter? Was, wenn es gar anfing zu regnen?
Trotzdem hatte ich eine schöne Zeit. Lassdas und Fresssack waren immer sehr freundlich zu mir.
Naja, fast immer. Bei Regen hatten wir regelmäßig Streit. Die beiden wollten einfach nicht verstehen, dass jemand mit meinem dünnen Fell unbedingt den Unterstand braucht. Da war dann nun mal kein Platz mehr für die beiden.
Aber eines fehlte: Ich hätte so gerne einen eigenen Menschen gehabt. Einen Menschen, der mir einen Namen gab! Vielleicht sogar einen Menschen, der aus mir ein Springpferd machte. Wobei ich leider immer noch nicht wusste, was das war. Auch Lassdas und Fresssack konnten mir da nicht weiterhelfen.
Sie hatten beide einen eignen Menschen. Lassdas hatte ein Männchen und Fresssack ein Weibchen. Wenn die beiden mit ihren Menschen loszogen, blieb ich fast immer allein zurück oder trottete als 5. Rad am Wagen hinter der kleinen Gruppe her. Mit der Zeit zog ich es dann vor, zuhause zu bleiben und mich mit Bastel- und Renovierungsarbeiten am Stall zu beschäftigen.
So vergingen einige Sommer und Winter. Aber dann, eines Tages, stand wieder so eine Box auf Rädern an der Weide. Lassdas Männchen zog mir ein Halfter an und brachte mich zu dieser Box. Erwartungsvoll stieg ich ein. Bestimmt durfte ich zurück zu meiner Mutter und bekam meinen eigenen Menschen!
***
Calimero atmet tief durch und schnaubt. „Pferd, war ich damals naiv!“
***
In meiner nächsten Heimat wartete eine kleine eigene Wohnung auf mich. Ganz nett eigentlich, aber die Kollegen dort waren etwas komisch.
"Howdy", begrüßte mich ein bunt geschecktes Pferd. "Du bist also der neue Azubi?"
Howdy? Azubi? Ich verstand rein gar nichts! Geduldig erklärte mir mein Wohnungsnachbar die Gepflogenheiten der Menschen auf diesem Hof. ‚Western reiten‘ nannten die Menschen das, was sie hier taten. Reiten, ok, das sagte mir schon etwas. Dazu kletterten die Menschen auf unsere Rücken und ließen sich herumtragen. Aber was war mit ‚Western‘ gemeint?
Ich sollte es bald kennen lernen. Zuerst ließ ein Mensch mich in einer runden Box frei. Mir gefiel es da ganz gut. Der Boden war weich, nur zu fressen gab es nichts. Dann begann dieser Mensch, mich mit einem Strick zu jagen. Ich verstand die Welt nicht mehr. Immer wieder scheuchte der Mensch mich im Kreis herum – wie langweilig! Sobald er aufhörte und sich von mir wegdrehte, trabte ich auf ihn zu. Vielleicht hatte der Mensch ja etwas zu fressen?
Der Mensch war darüber schier aus dem Häuschen und geizte nicht mit kleinen Leckereien. Ich würde prima auf das ‚Join-up‘ reagieren, erzählte er später allen, die es hören oder auch nicht hören wollten.
Mir war das egal. Das Spiel war langweilig, aber es gab etwas zu fressen. Von daher – von mir aus!
Nach ein paar Tagen kam dieser Menschen-Mann mit einem riesigen, unförmigen Leder-Dings an. An jeder Seite baumelten zwei Lederriemen mit komischen Schlaufen am Ende. Unter dem Leder-Dings war noch ein buntes Etwas aus Stoff befestigt.
Die wollten dieses Dings doch nicht etwa auf meinen Rücken ...? Doch, wollten sie.
Das Ding, Sattel nannte es der Menschen-Mann, war schwer und drückte unangenehm. Ich wollte ausweichen, aber der Menschen-Mann wies mich grob zurecht. Das gefiel mir gar nicht. Dann ging es wieder in diese kreisrunde Riesenbox. Die Menschen nannten sie ‚Roundpen‘.
Jetzt wurde ich mit diesem unförmigen Teil im Kreis gejagt. Die hintere Kante drückte auf meine empfindlichen Nieren. Es tat weh, es war unangenehm und ich bockte, was das Zeug hielt. Aber der Sattel blieb. Völlig erschöpft stand ich mit gespreizten Beinen in der Bahn. Ich hatte keine Kraft