Der Erbe ...und die Glücksritter. Sybille A. Schmadalla

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Der Erbe ...und die Glücksritter - Sybille A. Schmadalla


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das konnte er angesichts dieser Unterlagen wirklich nicht mehr glauben!Dann fand er ein Dokument, das sich mit dem Gemälde beschäftigte, eine Originalrechnung von 1935. Das braune, brüchige Papier vergilbt, ein gedruckter Briefkopf „Firma Grandauer Brauerei & Baustoffhandel“, geschnörkelte Buchstaben, Sitz im Markt Grafing, Datum 21.6.1935. Die Schreibmaschinenschrift ungleichmäßig angeschlagen. Herr Professor Leo Putz bezog Dachziegel im Wert von 1200 Reichsmark für einen Hausbau in Gauting bei München – das war alles mit Schreibmaschine geschrieben. Es folgte ein handschriftlicher Zusatz, dass Herr Professor Leo Putz dies mit einem Kunstwerk bezahlen werde, einem Bild mit dem Titel „Dame in Blau“: Ein Halbakt in Öl von 1906. Sein Gemälde! Vom Künstler Leo Putz und vom Erwerber Bartholomäus Grandauer unterzeichnet. Hinter der Rechnung war fein säuberlich gelocht und abgeheftet die Rückübertragungsurkunde aus dem Jahre 1946 durch die amerikanische Standortverwaltung München.So hatte Amadeus Glück bewiesen, dass das Kunstwerk zwar Herrn Grandauer gehörte, aber wieso hatte er es rückübertragen bekommen? Wieso eigentlich Jude? Amadeus Glück war getaufter Katholik, das hatte der Erbenermittler in den Dokumenten nachgewiesen, zudem lag er auf dem katholischen Friedhof! War er einer Verwechslung zum Opfer gefallen?Zweifelsfrei war er zwei Jahre im KZ gewesen, aber warum? War er vielleicht politischer Häftling gewesen? Ein Schwuler? Ein Spion? Die Nazis hatten alles verfolgt, eingesperrt und vernichtet, was ihnen nicht passte oder suspekt war.Auch Leo Putz war als entarteter Künstler verfolgt worden, hatte er beim Überfliegen des Textes gesehen. Und wer war Bartholomäus Grandauer, und was war aus dem geworden? Und der andere – Hans blätterte zurück und las in der Urkunde den Namen: Georg Höller – der Bruder von Cara-Sophia, der sich alles unter den Nagel gerissen hatte und dann enteignet wurde, und das mit erheblicher Geschwindigkeit, denn das war ja bereits 1946 passiert! Hans ahnte, dass er noch allerlei Überraschendes finden würde! Er stellte den Ordner zurück ins Regal, lehnte das Bild wieder an die Stelle und ging zurück zum Schreibtisch. Der Laptop zeigte immer noch die Wikipedia Seite mit Leo Putz. Er lehnte sich auf dem Schreibtischstuhl zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schaute an die Decke. Er sinnierte, was wohl aus seinem Leben werden würde, jetzt, wo er steinreich war. Irgendwie fühlte er sich im Moment nicht anders als vorher, vielleicht kam das später. Neugierig zog er an der Schreibtischschublade. Die war nicht verschlossen, und er musste mit dem Stuhl zurückrutschen, damit er sie ganz herausziehen konnte. Heftklammern, Stifte, Bürokleinkram, und in einem kleinen, länglichen Schälchen zog ein Schlüssel seine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er sah aus wie ein Tresorschlüssel. Sein Jagdinstinkt war geweckt: Irgendwo im Haus gab es einen Tresor! Aber wo? Und wenn er ihn finden würde, wie käme er an die Zahlenkombination?Amadeus Glück war akribisch gewesen, Hans war sicher, dass er einen Hinweis finden würde, er musste nur verstehen, wie Amadeus gedacht hatte. Er drehte den Schlüssel in den Händen hin und her. All das Ordentliche, das Akribische war hier in diesem Raum, kein anderer Raum sah auch nur ansatzweise so aus, also tippte er darauf, dass sich der Tresor hier im Raum befinden musste. Am wahrscheinlichsten wohl hinter den Ordern. Er würde das auf einer mittleren Höhe getan haben, also stand Hans auf und zog Reihe für Reihe die Ordner soweit vor, dass er die Wand dahinter sehen konnte. Nichts. Könnte eine dünne Staubschicht ihm den entscheidenden Hinweis offenbaren? Es war hier schon lange nichts mehr herausgezogen worden, also sah er sich die Regale genau an: Wo fehlte die dünne Staubschicht? Das aber war leider nicht sehr hilfreich, denn seit Amadeus‘ Tod hatte niemand mehr Staub gewischt. Er ging in die Küche, machte sich einen Kaffee und ging mit dem Becher zurück ins Büro. Er rückte den Laptop beiseite und hätte dabei fast die kleine Schreibtischlampe umgeworfen, sie kippte, er fing sie in einem Reflex auf – und entdeckte einen kleinen Zettel auf der Unterseite der Standfläche. 21 04 19 10 stand da in der steilen Handschrift, die ihm inzwischen vertraut war. Ein Geburtsdatum? Der Zahlencode? Aber wo war der verdammte Tresor? Systematisch räumte er nun Ordner für Ordner die Regale aus, sah dahinter und stellte sie wieder zurück, der Vormittag war vorbei - nichts. Der Kaffee war inzwischen kalt. Frustriert verließ er den Raum. Er trug das Gemälde wieder nach oben, verpackte es und stellte es an seinen ursprünglichen Platz. Klar: In diesem Chaos würde keiner suchen, also musste in diesem Zimmer der Tresor sein! Er begann nun, das Gerümpel von einer Seite auf die andere zu schichten – und nach weiteren zwei Stunden war auch hier die Suche vergebens gewesen!Wie denken alte Menschen? Wo verstecken die etwas? Vielleicht im Schlafzimmer? Er ging einen Raum weiter, sein Magen knurrte – Mittag war lange vorbei. Im Schlafzimmer stand ein großes Bett, ein schwerer Schrank, beides Jugendstil – eventuell hinter dem Schrank? Er stemmte sich dagegen und schob mit aller Kraft, der Schrank rückte einen Spaltbreit. Er schob und zog ihn ein Stück nach vorn, lugte in den Spalt – und tatsächlich: Hier war das Viereck eines Tresors zu sehen.Das verlieh ihm neue Kräfte. Der Schrank stand nun quer im Raum, und insgeheim wunderte er sich, dass Amadeus diese Kraftanstrengung als hochbetagter Mann bewältigt haben sollte, aber jetzt entdeckte er des Rätsels Lösung: Der Schrank hatte auf der Rückseite eingelegte Vierecke, das sah aus wie ein Muster in der Rückwand, aber eines dieser Vierecke war herausnehmbar. Amadeus musste also nur die Kleiderbügel rücken, ein Viereck herausnehmen – und schon konnte er an den Tresor. Jetzt puhlte er erst einmal den Zettel und den Schlüssel aus der Hosentasche, steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte das Rädchen 21- 04-19-10: Mit einem leisen Click sprang die Tür auf. Er öffnete sie ganz: Der Tresor war proppenvoll. Im oberen Fach lagen Umschläge, im unteren Fach stapelten sich Bündel von Geldscheinen. Hans konnte es nicht fassen! Er stand da, starrte auf die Bündel, dann holte er das erste Päckchen raus, Geldscheine sorgfältig gebündelt. Die Banderole trug die inzwischen vertraute, steile Handschrift von Amadeus „2015 - Jahresüberschuss nach Steuern: 4.790 €“. Jedes Geldbündel trug die gleiche Beschriftung: Jahreszahl, Jahresüberschuss nach Steuern: und es folgte ein Wert in €. In DM-Zeiten waren diese Jahre akribisch umgerechnet mit dem Wechselkurs 1,95583 der DM zu €, und vor 1948 Reichsmark in DM. Der pingelige Amadeus hat offenbar die Konten jedes Jahr auf Null gestellt und den verblieben Überschuss auf- oder abgerundet in den Tresor gepackt. Zweiundsiebzig Jahre lang …Er begann zu zählen, holte die Rechenmaschine aus dem Büro. Irgendwann endete er bei 213.560 €! In bar! War der Reichtum vorher abstrakt erschienen – jetzt lag er handfest in unzähligen Bündeln auf dem Bett verteilt vor ihm. Er sprang im Raum umher, hörte sich mit überschlagender Stimme juchzen: „Ich fass‘ es nicht“. Er lachte, fasste sich an den Kopf: „Ich bin reich“, „Wow“. Er erinnerte sich an ein Lied aus Kindertagen, sprang auf und grölte lauthals los: „Wenn ich einmal reich wär – o je wi di wi di wi di wi di wi di wi di bum“. Er summte die Melodie weiter, da er den weiteren Text nicht mehr wusste. Dazu tanzte er, was er für Sirtaki hielt. Er stopfte sich ein Bündel in die Tasche, 4.100 € - mal eben so. Jetzt meldete sich der Verstand wieder. Er rief sich zur Ordnung „Bleib cool! Mach‘ mal halblang Junge! Räum‘ es wieder ein!“.Das tat er. Denn das hier war nicht unproblematisch, er musste dieses Geld auf ein Konto einzahlen, er konnte ja nicht gut ein Auto bar bezahlen, oder? Versteuert war es offenbar. Erbschaftssteuer und Erbenermittler konnte er nun locker bezahlen. Jetzt sah er sich die Papiere an. Er nahm eine Reihe von Briefumschlägen heraus – manche fast so dick wie ein Päckchen. Er schloss den Tresor, verdrehte das Rädchen, zog den Schlüssel heraus, schob den Schrank an seinen Platz. Die alten, etwas abgetragenen Anzüge schaukelten bedächtig. Niemand konnte ahnen, was sich dahinter verbarg. Amadeus hatte offenbar nicht sehr viel für sich genommen.Sein Magen hing in den Kniekehlen. Er eilte in die Küche, warf unzählige Briefumschläge schwungvoll auf den Küchentisch – einige fielen auf den Boden. Er hob sie wieder auf und legte sie zuoberst auf den Haufen.Sein Kühlschrank gähnte ihn an. Es war sehr später Nachmittag, als er das Haus verließ, um einkaufen zu gehen. In der Metzgerei am Marktplatz erstand er zwei Brötchen, die Leberkas-Semmeln hießen, gierig aß er sie an Ort und Stelle auf. Dann ging er einkaufen bei einem Discounter.Um 18.30 Uhr war der Kühlschrank prall gefüllt. Auf dem Tisch stand ein kühles Bier zusammen mit Brot, Butter, Käse, Kassler und Salami. Die Hühner waren gefüttert, und sein innerer Aufruhr hatte sich etwas gelegt.Er war überwältigt von der Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge entwickelten. Jetzt hatte er die Muße, sich die Papiere anzusehen. Zahllose Schreiben an Herrn Bartholomäus Grandauer, die alle als „unzustellbar“ zurückgesandt worden waren. Alle Briefe waren in die USA gesandt worden, mit unterschiedlichen Adressen – aber alle waren zurückgekommen. Wieso hatte Amadeus sie alle aufgehoben?

      Der Maler und sein Werk


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