Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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verliehen hatte. Ein Kammerherr der Kaiserin brachte ihm eine Einladung zu Ihrer Majestät. Die Erzherzogin wünschte ebenfalls, ihn zu sehen. Er wußte gar nicht, wem er zuerst antworten sollte, und brauchte einige Augenblicke, um seine Gedanken zu sammeln. Der russische Gesandte faßte ihn an der Schulter, führte ihn an ein Fenster und begann ein Gespräch mit ihm.

      Ganz gegen Bilibins Voraussagung wurde die Nachricht, welche Fürst Andrei gebracht hatte, sehr freudig aufgenommen. Ein Dankgottesdienst wurde angeordnet. Kutusow wurde mit dem Großkreuz des Maria-Theresia-Ordens belohnt; auch viele Offiziere und Mannschaften wurden mit Dekorationen bedacht. Bolkonski empfing von allen Seiten Einladungen und sah sich genötigt, den ganzen Vormittag über bei den höheren österreichischen Würdenträgern Visiten zu machen. Als er gegen fünf Uhr nachmittags mit seinen Besuchen fertig geworden war, machte er sich auf den Weg nach Hause, zu Bilibin, und entwarf unterwegs in Gedanken einen Brief an seinen Vater über das Treffen und über seine Reise nach Brünn. Vor der Tür des Hauses, in welchem Bilibin wohnte, stand eine bereits zur Hälfte mit Gepäck beladene Britschke, und Franz, Bilibins Diener, trat gerade, mühsam einen Koffer schleppend, aus der Haustür.

      Ehe Fürst Andrei wieder zu Bilibin fuhr, war er noch in einer Buchhandlung gewesen, um sich für den Feldzug mit Büchern zu versorgen, und hatte sich dort unvermerkt etwas länger aufgehalten.

      »Was gibt es denn?« fragte Bolkonski.

      »Ach, Durchlaucht«, antwortete Franz, indem er den Koffer mit Anstrengung auf die Britschke hob. »Wir ziehen noch weiter. Der Bösewicht ist schon wieder hinter uns her!«

      »Was bedeutet das? Was ist los?« fragte sich Fürst Andrei und ging eilig hinein.

      In der Wohnung kam ihm Bilibin entgegen. Auf seinem sonst immer so ruhigen Gesicht prägte sich doch eine ziemliche Erregung aus.

      »Nein, nein, das müssen Sie doch selbst zugeben«, sagte er, »daß diese Geschichte mit der Taborbrücke« (eine Brücke in Wien) »geradezu köstlich ist. Sie sind hinübergekommen, ohne irgendwelchen Widerstand zu finden.«

      Fürst Andrei verstand ihn nicht.

      »Aber wo kommen Sie denn her, daß Sie nicht wissen, was bereits jeder Kutscher in der Stadt weiß?«

      »Ich komme von der Erzherzogin. Da habe ich nichts gehört.«

      »Und haben Sie nicht gesehen, daß überall gepackt wird?«

      »Nein, ich habe nichts gesehen ... Aber was ist denn eigentlich geschehen?« fragte Fürst Andrei ungeduldig.

      »Was geschehen ist? Die Franzosen haben die Brücke passiert, die Auersperg verteidigen sollte, und die Brücke ist nicht in die Luft gesprengt worden, so daß Murat in diesem Augenblick schon auf der Chaussee nach Brünn dahinjagt und heute oder morgen hier sein wird.«

      »Hier? Aber warum ist denn die Brücke nicht in die Luft gesprengt worden, da sie doch unterminiert ist?«

      »Das frage ich Sie. Das weiß kein Mensch, nicht einmal Bonaparte selbst.«

      Bolkonski zuckte die Achseln.

      »Aber wenn sie die Brücke passiert haben, so ist damit unsere Armee verloren; sie wird abgeschnitten werden«, sagte er.

      »Das ist ja bei diesem schlauen Streich auch die Absicht«, antwortete Bilibin. »Hören Sie zu. Die Franzosen rücken in Wien ein, wie ich Ihnen schon erzählt habe. Alles sehr schön. Am andern Tag, das heißt gestern, steigen die Herren Marschälle Murat, Lannes und Belliard zu Pferd und reiten nach der Brücke. (Bitte zu beachten, daß sie alle drei aus der Gascogne stammen.) ›Meine Herren‹, sagt einer von ihnen, ›Sie wissen, daß die Taborbrücke unterminiert ist, und daß sich an ihrem jenseitigen Ende ein furchtbarer Brückenkopf befindet und fünfzehntausend Mann, welche Befehl haben, die Brücke in die Luft zu sprengen und uns nicht hinüberzulassen. Aber unserm Kaiser Napoleon wird es angenehm sein, wenn wir diese Brücke nehmen. Wir wollen alle drei hinüberreiten und diese Brücke nehmen.‹ – ›Schön, reiten wir hinüber!‹ sagen die andern; und sie überschreiten die Brücke und nehmen sie und befinden sich jetzt mit ihrer ganzen Armee auf dieser Seite der Donau und rücken gegen uns und gegen euch und eure Verbindungen vor.«

      »Lassen Sie die Späße«, sagte Fürst Andrei ernst und traurig.

      Diese Nachricht war für den Fürsten Andrei betrübend, eröffnete ihm aber doch zugleich eine erwünschte Aussicht.

      Sowie er gehört hatte, daß sich die russische Armee in so gefährlicher Lage befinde, war ihm auch sofort der Gedanke durch den Kopf geschossen, er, gerade er sei dazu prädestiniert, die Armee aus dieser Lage zu retten; hier sei sein Toulon, das ihn aus der Masse der unbekannten Offiziere herausheben und ihm den Eintritt in die Ruhmeslaufbahn ermöglichen werde. Während er Bilibin zuhörte, stellte er es sich bereits vor, wie er nach seiner Rückkehr zur Armee im Kriegsrat seinen Plan, das einzige Mittel zur Rettung der Armee, vorlegen und wie man ihn allein mit der Ausführung dieses Planes beauftragen werde.

      »Lassen Sie die Späße«, sagte er.

      »Das sind keine Späße«, fuhr Bilibin fort. »Nichts kann wahrer und trauriger sein. Diese drei Herren reiten ganz allein auf die Brücke und heben weiße Tücher in die Höhe; sie versichern, es sei ein Waffenstillstand abgeschlossen, und sie, die Marschälle, kämen, um mit dem Fürsten Auersperg das Erforderliche zu besprechen. Der wachhabende Offizier läßt sie in den Brückenkopf hinein. Sie erzählen ihm tausend Gascogner Schwindelgeschichten, sagen, der Krieg sei beendet, Kaiser Franz habe mit Bonaparte eine Zusammenkunft verabredet, und sie selbst hätten den Wunsch, mit dem Fürsten Auersperg zu reden, und was solcher Gasconaden mehr sind. Der Offizier schickt zu Auersperg, um diesen holen zu lassen; die Herren Marschälle umarmen die Offiziere, scherzen und setzen sich auf die Kanonen; unterdessen aber rückt ein französisches Bataillon unbeachtet auf die Brücke, wirft die Säcke mit Brennstoffen ins Wasser und nähert sich dem Brückenkopf. Endlich erscheint der Generalleutnant selbst, unser lieber Fürst Auersperg von Mautern. ›Liebenswürdiger Gegner! Perle des österreichischen Heeres, Held der Türkenkriege! Die Feindschaft ist beendet; wir können einander die Hand reichen. Der Kaiser Napoleon brennt vor Verlangen, den Fürsten Auersperg kennenzulernen.‹ Mit einem Wort, diese Herren, die nicht umsonst Gascogner sind, überschütten Auersperg derartig mit schönen Worten, und dieser ist so entzückt über seine schnell entstandene Intimität mit den französischen Marschällen, so geblendet von dem Anblick des Mantels und der Straußfedern und der Brillantagraffe Murats, daß er nur das Feuer der Edelsteine sieht und nicht an das Feuer denkt, das er auf die Feinde geben lassen müßte.« (Trotz der Lebhaftigkeit seiner Darstellung vergaß Bilibin nicht, nach diesem Witzwort einen Augenblick innezuhalten, um seinem Zuhörer Zeit zu lassen, es gebührend zu bewundern.) »Das französische Bataillon dringt im Laufschritt in den Brückenkopf ein, vernagelt die Kanonen, und die Brücke ist genommen. Nein, und was das allerschönste ist«, fuhr er fort, und es schien, als ob der Reiz seiner eigenen Erzählung ihm zu einer gewissen Beruhigung von seiner Aufregung verhülfe, »der Sergeant, der bei der Kanone aufgestellt war, auf deren Signalschuß die Mine angezündet und die Brücke in die Luft gesprengt werden sollte, dieser Sergeant wollte, als er sah, daß das französische Militär auf die Brücke gelaufen kam, schon den Signalschuß abgeben, aber Lannes hielt ihm den Arm zurück. Der Sergeant, der augenscheinlich klüger war als sein General, tritt zu Auersperg heran und sagt: ›Fürst, man betrügt Sie; da kommen die Franzosen!‹ Murat sieht, daß sie ihr Spiel verloren haben, wenn sie den Sergeanten weiterreden lassen. Mit erheucheltem Staunen (der echte Gascogner!) wendet er sich zu Auersperg: ›Ich werde irre an der in der ganzen Welt so gepriesenen österreichischen Disziplin‹, sagt er; ›Sie erlauben Ihrem Untergebenen in dieser Weise zu Ihnen zu reden?‹ Das war wahrhaft genial! Der Fürst Auersperg fühlt sich in seiner Ehre gekränkt und läßt den Sergeanten in Arrest setzen. Nein, da müssen Sie aber doch zugeben, daß diese ganze Geschichte von der Taborbrücke reizend ist. Das ist weder Dummheit noch Feigheit ...«

      »Vielleicht ist es Verrat«, sagte Fürst Andrei und stellte sich lebhaft die grauen russischen Soldatenmäntel, die Wunden, den Pulverqualm, das Knattern des Gewehrfeuers und den Ruhm vor, der ihn erwartete.

      »Auch


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