Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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von einem Gefühl der Geringschätzung in den Hintergrund gedrängt wurde. Die Fürstin hatte, nachdem sie die Bewohner von Lysyje-Gory näher kennengelernt hatte, besonderes Gefallen an Mademoiselle Bourienne gefunden; sie hatte sie am Tag viel um sich, bat sie, nachts mit ihr zusammen zu schlafen, und redete mit ihr häufig über ihren Schwiegervater, wobei sie aus ihrem ungünstigen Urteil kein Hehl machte.

      »Wir werden ja Besuch bekommen, Fürst«, sagte Mademoiselle Bourienne, während sie mit ihren rosigen Fingern die weiße Serviette auseinanderfaltete. »Seine Exzellenz Fürst Kuragin mit seinem Sohn, wenn ich recht unterrichtet bin?« sagte sie in fragendem Ton.

      »Hm ... diese Exzellenz ist ein dummer Junge ... ich habe ihn noch auf die Schule gebracht«, erwiderte der Fürst in gereiztem Ton. »Und was sein Sohn hier soll, das begreife ich nicht. Die Fürstin Lisaweta Karlowna und Prinzessin Marja mögen das vielleicht wissen; ich für meine Person weiß nicht, wozu er seinen Sohn mitbringt. Ich habe kein Verlangen nach ihm.« Er blickte seine Tochter an, die rot geworden war. »Ist dir nicht wohl? Vielleicht aus Furcht vor diesem Minister, wie den Menschen dieser Tölpel, der Alpatytsch, heute nannte?«

      »Nein, lieber Vater, mir ist ganz wohl.«

      Wenn auch Mademoiselle Bourienne bei der Wahl des ersten Gesprächsthemas arg fehlgegriffen hatte, so verstummte sie darum doch nicht, sondern plauderte über die Treibhäuser, über die Schönheit einer neuen Blume, die soeben aufgeblüht war, und der Fürst war nach der Suppe etwas sanfter geworden.

      Nach dem Essen ging er zu seiner Schwiegertochter. Die kleine Fürstin saß an einem Tischchen und plauderte mit dem Stubenmädchen Mascha. Als sie ihren Schwiegervater erblickte, wurde sie blaß.

      Die kleine Fürstin hatte sich in ihrem Äußern sehr verändert und war jetzt eher häßlich zu nennen als schön. Die Wangen waren schlaff geworden, die Oberlippe hatte sich hinaufgehoben, die Augen hatten sich nach unten gezogen.

      »Ich fühle mich so müde und schwer«, antwortete sie auf die Frage des Fürsten nach ihrem Befinden.

      »Hast du einen Wunsch?«

      »Nein, danke, lieber Vater.«

      »Nun, schön, schön.«

      Er ging wieder hinaus; als er in das Geschäftszimmer kam, stand dort Alpatytsch mit gesenktem Kopf.

      »Ist der Weg wieder zugeschaufelt?«

      »Jawohl, Euer Durchlaucht; verzeihen Sie mir, ich bitte Sie inständig ... Ich habe nur aus Dummheit ...«

      Der Fürst unterbrach ihn und lachte in seiner unnatürlichen Weise.

      »Nun, gut, gut.«

      Er streckte ihm die Hand hin, welche Alpatytsch küßte, und ging in sein Arbeitszimmer.

      Am Abend traf Fürst Wasili ein. In der Mitte kamen ihm Kutscher und Diener entgegen und halfen mit vielem Geschrei seine Schlitten auf dem geflissentlich mit Schnee beschütteten Weg nach dem Seitenflügel schaffen.

      Fürst Wasili und Anatol waren jeder in einem besonderen Zimmer untergebracht worden.

      Anatol hatte sich den Rock ausgezogen und saß, die Arme in die Seiten gestemmt, an einem Tisch, auf dessen Ecke er seine schönen, großen Augen unverwandt gerichtet hielt; er lächelte zerstreut. Er betrachtete sein ganzes Leben als eine ununterbrochene Reihe von Amüsements, die irgend jemand aus irgendeinem Grund für ihn zu veranstalten verpflichtet sei. So faßte er auch jetzt seinen Besuch bei dem bösen alten Mann und der reichen, häßlichen Erbin auf. Die ganze Sache konnte, wie er annahm, einen sehr hübschen, vergnüglichen Ausgang haben. »Warum soll ich sie nicht heiraten, wenn sie sehr reich ist? Geld zu haben, das kann einem niemals schaden«, dachte Anatol.

      Er rasierte und parfümierte sich mit der Sorgfalt und Eleganz, die ihm zur Gewohnheit geworden waren, und trat, den schönen Kopf hoch aufgerichtet, mit dem gutmütigen, sieghaften Gesichtsausdruck, den ihm die Natur verliehen hatte, in das Zimmer seines Vaters. Um den Fürsten Wasili waren seine beiden Kammerdiener eifrig beschäftigt, ihn anzukleiden; er selbst blickte munter und lebhaft um sich und nickte dem eintretenden Sohn heiter zu, wie wenn er sagen wollte: »Recht so! So hatte ich dich auch haben wollen.«

      »Nein, aber nun ohne Scherz, Papa, ist sie wirklich sehr häßlich? Ja?« fragte er auf französisch wie in Fortsetzung eines auf der Reise mehrfach geführten Gesprächs.

      »Hör auf mit diesen Torheiten! Die Hauptsache ist: gib dir rechte Mühe, dich dem alten Fürsten gegenüber respektvoll und vernünftig zu benehmen.«

      »Wenn er aber zu schimpfen anfängt, mache ich, daß ich davonkomme«, sagte Anatol. »Alte Leute von der Sorte kann ich nicht ausstehen.«

      »Vergiß nicht, daß für dich hiervon alles abhängt.«

      Unterdessen war im Zimmer der Stubenmädchen nicht nur die Ankunft des Ministers und seines Sohnes bekanntgeworden, sondern es hatte auch bereits eine detaillierte Schilderung der äußeren Erscheinung der beiden Gäste stattgefunden. Prinzessin Marja aber saß allein in ihrem Zimmer und suchte vergeblich ihre Aufregung zu bewältigen.

      »Warum ist mir davon geschrieben worden? Warum hat mir Lisa davon gesagt? In welche Lage komme ich dadurch!« sagte sie zu sich selbst, während sie in den Spiegel blickte. »Wie kann ich nun in den Salon gehen? Selbst wenn er mir gefiele, könnte ich mich jetzt ihm gegenüber nicht so geben, wie ich wirklich bin.« Schon der Gedanke an den Blick ihres Vaters versetzte sie in Angst.

      Die kleine Fürstin und Mademoiselle Bourienne hatten bereits alle erforderlichen Nachrichten von dem Stubenmädchen Mascha erhalten: der Sohn des Ministers sei ein hübscher junger Mann mit roten Backen und schwarzen Augenbrauen; sein Papa habe sich nur mühsam mit seinen Beinen die Treppe hinaufgeschleppt, er aber sei wie ein Hirsch hinter ihm hergelaufen gekommen, immer drei Stufen mit einem Schritt. Als sie diese Nachrichten erhalten hatten, gingen die kleine Fürstin und Mademoiselle Bourienne nach dem Zimmer der Prinzessin, welche die lebhaft redenden Stimmen der beiden schon vom Korridor her hörte.

      »Marja, sie sind angekommen, weißt du schon?« sagte die kleine Fürstin, ging mit dem watschelnden Gang, zu dem ihr Zustand sie nötigte, auf einen Lehnstuhl zu und ließ sich schwerfällig in ihn hineinsinken.

      Sie trug nicht mehr den Morgenrock, in welchem sie vorher auf ihrem Zimmer gesessen hatte, sondern hatte eines ihrer besten Kleider angelegt; ihr Kopf war sorgfältig frisiert, und auf ihrem Gesicht lag der Ausdruck einer fröhlichen Lebhaftigkeit, die jedoch die erschlafften und blaß gewordenen Gesichtszüge nicht verbergen konnte. Bei dieser Toilette, die sie gewöhnlich auf Gesellschaften in Petersburg zu tragen pflegte, wurde es noch augenfälliger, wie sehr die kleine Fürstin an Schönheit verloren hatte. Auch Mademoiselle Bourienne hatte bereits an ihrem Anzug diese und jene leise Vervollkommnung angebracht, was ihrem hübschen, frischen Gesicht noch mehr Reiz verlieh.

      »Nun, und Sie bleiben, wie Sie gerade waren, Prinzessin?« sagte sie. »Es wird uns gleich gemeldet werden, daß die Herren im Salon sind; wir müssen dann hinuntergehen, und Sie machen nicht einmal ein ganz klein bißchen Toilette!«

      Die kleine Fürstin stand von ihrem Lehnstuhl auf, klingelte dem Stubenmädchen, entwarf fröhlich und eilig einen Plan für die Toilette der Prinzessin Marja und begann ihn zur Ausführung zu bringen. Prinzessin Marja hatte die Vorstellung, daß die Erregung, in welche die Ankunft dieses Bewerbers sie versetzte, ihrer eigenen Würde nicht entspreche, und dies war ihr peinlich; noch peinlicher aber war es ihr, daß ihre beiden Freundinnen eine derartige Erregung für ganz selbstverständlich hielten. Hätte sie ihnen gesagt, wie sehr sie sich wegen ihrer eigenen Gemütsverfassung und für sie beide schäme, so hätte sie damit ihre Erregung verraten; überdies hätte ein Sträuben gegen die ihr vorgeschlagene bessere Toilette nur zu längeren Neckereien und hartnäckigem Zureden geführt. Sie wurde rot, ihre schönen Augen trübten sich, ihr Gesicht überzog sich mit Flecken, und mit jener unschönen Miene eines Opferlammes, die ihr Gesicht am allerhäufigsten trug, gab sie sich ganz in die Gewalt ihrer Gesellschafterin und ihrer Schwägerin. Beide bemühten sich mit vollster Aufrichtigkeit, sie schön zu machen; denn sie war so häßlich, daß keine von beiden auf den


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