Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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herausgebildet?« Und da saß er nun neben ihr, beinah schon als ihr Bräutigam; er hörte, er sah, er fühlte ihre Nähe, ihren Atem, ihre Bewegungen, ihre Schönheit. Und dann wieder schien es ihm auf einmal, als ob nicht sie, sondern er selbst so auffallend schön wäre, daß ihn alle deswegen ansähen; und beglückt durch die allgemeine Bewunderung, warf er sich in die Brust, hob den Kopf in die Höhe und freute sich über sein Glück.

      Plötzlich hörte er eine Stimme, eine ihm bekannte Stimme, die etwas zu ihm schon zum zweitenmal sagte. Aber Pierre war mit seinen Gedanken so beschäftigt, daß er nicht verstand, was zu ihm gesagt wurde.

      »Ich frage dich, wann du einen Brief von Bolkonski erhalten hast«, wiederholte Fürst Wasili zum drittenmal. »Wie zerstreut du bist, mein Lieber!«

      Fürst Wasili lächelte, und Pierre sah, daß alle, alle ihn und Helenen anlächelten.

      »Nun gut; wenn ihr es denn wißt ...«, dachte Pierre. »Nun gut; es ist ja auch die Wahrheit.« Und er selbst lächelte in einer sanften, kindlichen Art, und Helene lächelte ebenfalls.

      »Wann hast du denn einen Brief bekommen? War er aus Olmütz?« fragte Fürst Wasili noch einmal; anscheinend lag ihm zur Entscheidung eines Streites daran, dies zu wissen.

      »Wie kann jemand nur an solche Kleinigkeiten denken und davon reden!« dachte Pierre.

      »Ja, aus Olmütz«, antwortete er mit einem Seufzer.

      Nach dem Souper führte Pierre seine Dame hinter den andern Paaren her in den Salon. Die Gäste begannen sich zu empfehlen, und manche gingen fort, ohne von Helenen Abschied zu nehmen. Manche traten zwar zu ihr, aber nur für einen Augenblick, als möchten sie sie nicht gern von ihrer wichtigen Beschäftigung abhalten; dann entfernten sie sich schleunigst, und wenn Helene sich anschickte, sie hinauszubegleiten, so baten sie sie ausdrücklich, dies nicht zu tun. Der Diplomat verließ den Salon schweigend und in trüber Stimmung; er mußte daran denken, wie nichtig und unbefriedigend doch seine ganze diplomatische Karriere sei im Vergleich zu Pierres Glück. Der alte General brummte seine Frau ärgerlich an, als sie ihn fragte, wie es mit seinem Bein ginge. »Ach, du alte Schraube!« dachte er. »Wenn man dagegen diese Helene nimmt, die wird auch noch, wenn sie fünfzig Jahre alt ist, eine Schönheit sein.«

      »Ich glaube, ich darf Ihnen gratulieren«, flüsterte Anna Pawlowna der Fürstin zu und küßte sie mit bedeutsamer Herzlichkeit. »Wenn ich nicht meine Migräne hätte, wäre ich gern noch geblieben.«

      Die Fürstin antwortete ihr nicht; der Neid auf das Glück ihrer Tochter peinigte sie.

      Während die Gäste hinausbegleitet wurden, blieb Pierre lange Zeit in dem kleineren Salon mit Helene allein; sie setzten sich beide dort hin. Er war auch früher in diesen anderthalb Monaten oft mit Helene allein geblieben, hatte aber nie zu ihr von Liebe gesprochen. Jetzt fühlte er, daß das notwendig war; aber er konnte sich zu diesem letzten Schritt schlechterdings nicht entschließen. Er schämte sich, und es kam ihm vor, als nähme er hier neben Helene einen Platz ein, der nicht ihm, sondern einem andern zukäme. »Dieses Glück ist nicht für dich«, sagte ihm eine innere Stimme. »Dieses Glück ist für Leute, die das nicht besitzen, was du hast.«

      Aber schließlich mußte er doch etwas sagen, und so begann er denn ein Gespräch. Er fragte sie, ob sie mit dem heutigen Abend zufrieden sei. Sie antwortete, wie immer, schlicht und einfach, der heutige Namenstag sei für sie einer der angenehmsten gewesen, die sie je begangen habe.

      Einige der nächsten Verwandten waren noch dageblieben. Sie saßen in dem größeren Salon. Fürst Wasili trat mit lässigen Schritten zu Pierre heran. Pierre stand auf und sagte, es sei schon recht spät. Fürst Wasili blickte ihn ernst und fragend an, als ob das, was er gesagt hatte, so sonderbar wäre, daß man sich gar nicht daraus vernehmen könne. Aber gleich darauf änderte sich dieser ernste Ausdruck; Fürst Wasili faßte Pierre an der Hand, wobei er diese nach unten zog, veranlaßte ihn, sich wieder zu setzen, und lächelte freundlich.

      »Nun, wie geht es dir, Helene?« wandte er sich dann sofort an seine Tochter in jenem lässigen Ton altgewohnter Zärtlichkeit, wie er Eltern eigen ist, die ihre Kinder von klein auf immer mit größter Freundlichkeit behandelt haben; beim Fürsten Wasili indessen beruhte es nur auf Nachahmung anderer Eltern, daß er diesen Ton so gut traf.

      Darauf wandte er sich wieder an Pierre.

      »›Sergei Kusmitsch, von allen Seiten ...‹«, sagte er und knöpfte sich den obersten Westenknopf auf.

      Pierre lächelte; aber aus der Art seines Lächelns war zu ersehen, daß er das Interesse, welches Fürst Wasili in diesem Augenblick für die Anekdote von Sergei Kusmitsch zu haben schien, als fingiert erkannte; und Fürst Wasili merkte, daß Pierre dies durchschaute. Fürst Wasili brummte etwas vor sich hin und ging hinaus. Pierre hatte den Eindruck, daß sogar Fürst Wasili verlegen sei. Der Anblick der Verlegenheit dieses alten Weltmannes hatte für Pierre etwas Rührendes; er blickte zu Helenen hin – auch sie schien verlegen zu sein und ihm mit ihrem Blick zu sagen: »Nun ja, daran sind Sie selbst schuld.«

      »Ich muß notwendig den entscheidenden Schritt tun; aber ich kann es nicht, ich kann es nicht«, dachte Pierre und begann wieder von gleichgültigen Dingen zu reden, von Sergei Kusmitsch, indem er sich erkundigte, was denn bei dieser Geschichte so komisch gewesen sei, da er nicht danach hingehört habe. Helene antwortete lächelnd, sie wisse es auch nicht.

      Als Fürst Wasili in den größeren Salon zurückkam, redete die Fürstin leise mit einer ältlichen Dame über Pierre.

      »Gewiß, es ist ja eine glänzende Partie«, sagte die Fürstin. »Aber, meine Liebe, das Glück ...«

      »Die Ehen werden im Himmel geschlossen«, antwortete die ältliche Dame.

      Fürst Wasili ging, wie wenn er die Damen nicht hörte, nach einer entfernten Ecke und setzte sich dort auf ein Sofa. Er schloß die Augen und schien zu schlummern. Der Kopf fiel ihm auf die Brust; da kam er wieder zu sich.

      »Aline«, sagte er zu seiner Frau, »sieh doch einmal nach, was sie tun.«

      Die Fürstin begab sich nach der Tür hin, ging mit ernster, gleichgültiger Miene an ihr vorbei und warf dabei einen Blick in den kleineren Salon. Pierre und Helene saßen noch ebenso da wie vorher und unterhielten sich miteinander.

      »Immer noch dasselbe«, antwortete sie ihrem Mann.

      Fürst Wasili runzelte die Stirn und zog den Mund in Falten nach der Seite; seine Wangen zuckten mit dem ihm eigenen unangenehmen, rohen Ausdruck; er schüttelte sich, stand auf, warf den Kopf zurück und ging mit entschlossenen Schritten an den Damen vorbei in den kleineren Salon. Schnell und freudig trat er auf Pierre zu. Das Gesicht des Fürsten war so ungewöhnlich feierlich, daß Pierre, als er ihn erblickte, erschrocken aufstand.

      »Dem Allmächtigen sei Dank!« sagte er. »Meine Frau hat mir alles gesagt!« Er legte den einen Arm um Pierre, den andern um seine Tochter. »Meine liebe Helene! Ich bin sehr, sehr erfreut.« Seine Stimme zitterte. »Ich bin deinem Vater ein treuer Freund gewesen ... und sie wird dir eine gute Frau sein ... Gott segne euch!«

      Er umarmte seine Tochter, dann wieder Pierre und küßte ihn mit seinem übelriechenden Mund. Seine Wangen waren wirklich von Tränen benetzt.

      »Fürstin, komm doch her!« rief er.

      Die Fürstin kam herein und brach ebenfalls in Tränen aus. Auch die ältliche Dame fuhr sich mit dem Taschentuch über das Gesicht. Pierre wurde geküßt, und er küßte mehrere Male der schönen Helene die Hand. Nach einiger Zeit ließ man das Paar wieder allein.

      »Alles das hat wohl so sein müssen und konnte nicht anders sein«, dachte Pierre. »Daher hat es keinen Zweck, zu überlegen, ob es gut oder übel sei. Gut ist es jedenfalls insofern, als die Sache entschieden ist und der frühere qualvolle Zustand des Zweifelns ein Ende hat.« Pierre hielt schweigend die Hand seiner Braut in der seinigen und blickte nach ihrem sich hebenden und senkenden schönen Busen.

      »Helene!« sagte er laut, stockte aber sogleich wieder.

      »Die Leute pflegen doch bei solchen Gelegenheiten irgend


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