Seine Exzellenz Eugene Rougon. Emile Zola

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Seine Exzellenz Eugene Rougon - Emile Zola


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sagte der Oberst leise. »Sie wissen, daß ich dieses Wurm da eines Tages irgendwo unterbringen muß. Ich rechne dabei auf Sie. Ich schwanke noch zwischen der Gerichts und der Verwaltungslaufbahn ... Gib deinem guten Freund die Hand, Auguste, damit er sich deiner erinnert.«

      Inzwischen hatte sich Frau Bouchard, die vor Ungeduld an ihrem Handschuh knabberte, erhoben und das Fenster zur Linken erreicht; Herrn d'Escorailles hatte sie mit einem Blick befohlen, ihr zu folgen. Ihr Gatte war bereits dort; die Ellbogen auf die Schutzstange gestützt, genoß er die Aussicht. Ihm gegenüber zitterte das Laub der großen Kastanienbäume des Tuileriengartens in der heißen Sonne, während von der Pont Royal bis zur Pont de la Concorde die Seine ihr blaues, ganz mit Lichtflittern übersätes Wasser wälzte.

      Auf einmal wandte sich Frau Bouchard um und rief: »Oh, Herr Rougon, sehen Sie doch nur!«

      Und als sich Rougon beeilte, den Oberst zu verlassen, um ihrem Wunsch zu entsprechen, zog sich Du Poizat, der der jungen Frau nachgegangen war, diskret zurück und gesellte sich wieder zu Herrn Kahn, der am Mittelfenster stand.

      »Sehen Sie doch, der mit Ziegeln beladene Kahn da wäre beinahe gekentert«, plapperte Frau Bouchard.

      Rougon blieb bereitwillig dort in der Sonne stehen, bis Herr d'Escorailles, auf einen abermaligen Blick der jungen Frau hin, zu ihm sagte: »Herr Bouchard will um seine Entlassung einkommen. Wir haben ihn mitgebracht, damit Sie ihm Vernunft predigen.«

      Darauf erklärte Herr Bouchard, daß ihn die Ungerechtigkeiten empörten.

      »Ja, Herr Rougon, ich habe als Sekretär im Innenministerium angefangen, und ich habe es bis zum Bürovorsteher gebracht, ohne etwas der Begünstigung oder irgendwelchen Ränken zu verdanken ... Bürovorsteher bin ich seit dem Jahre siebenundvierzig. Nun gut! Inzwischen ist der Posten des Abteilungschefs schon fünfmal frei geworden, viermal während der Republik und einmal unter dem Kaiserreich, ohne daß der Minister an mich, der ich der Rangordnung nach Anspruch darauf habe, gedacht hätte ... Jetzt werden Sie das Versprechen, das Sie mir gegeben haben, nicht mehr einlösen können, und ich will lieber abgehen.«

      Rougon mußte ihn beschwichtigen. Der Posten sei immerhin noch nicht an einen anderen vergeben; wenn er ihm auch diesmal entgehe, so sei das nur eine verpaßte Gelegenheit, eine Gelegenheit, die sich gewiß wieder einmal ergeben werde. Dann ergriff Rougon Frau Bouchards Hände und machte ihr auf eine väterliche Art Komplimente. Das Haus des Bürovorstehers war das erste gewesen, wo er nach seiner Ankunft in Paris empfangen worden war. Dort hatte er den Oberst getroffen, ein Geschwisterkind des Bürovorstehers. Später, als Herr Bouchard mit vierundfünfzig Jahren seinen Vater beerbte und ganz plötzlich von dem Wunsch gepackt wurde, sich zu verheiraten, hatte Rougon Frau Bouchard, geborene Adèle Desvignes, einer sehr wohlerzogenen jungen Dame aus einer angesehenen Familie in Rambouillet, als Trauzeuge gedient. Der Bürovorsteher hatte ein junges Mädchen aus der Provinz haben wollen, weil er auf Ehrbarkeit hielt. Adèle, blond, klein und bestrickend mit der ein wenig faden Naivität ihrer blauen Augen, war nach vier Ehejahren bei ihrem dritten Liebhaber angelangt.

      »Nun, machen Sie sich keinen Kummer«, sagte Rougon, der noch immer ihre Handgelenke mit seinen großen Händen umklammert hielt, »Sie wissen genau, daß man alles tut, was Sie wünschen ... Jules wird Ihnen an einem der nächsten Tage berichten, wie die Dinge stehen.«

      Und er nahm Herrn d'Escorailles beiseite und teilte ihm mit, daß er selber an diesem Morgen an dessen Vater geschrieben habe, um ihn zu beruhigen. Der junge Auditeur solle ruhig seine Stellung beibehalten. Die Familie d'Escorailles war eine der ältesten Familien in Plassans, wo sie allgemeine Verehrung genoß. Deshalb setzte Rougon, der früher in schiefgetretenen Schuhen an dem Palais des alten Marquis, des Vaters von Jules, vorbeigegangen war, seinen Stolz darein, den jungen Mann zu protegieren. Die Familie trieb noch immer einen frommen Kult mit Heinrich V.23, gleichzeitig aber ließ sie es zu, daß sich ihr Kind dem Kaiserreich verband. Das kam von den abscheulichen Zeiten.

      Am Mittelfenster, das sie geöffnet hatten, um besser abgesondert zu sein, unterhielten sich Herr Kahn und Du Poizat und sahen dabei auf die fernen Dächer der Tuilerien hinaus, die in dem flimmernden Sonnenlicht bläulich schimmerten. Sie fühlten einander auf den Zahn, gaben abgerissene, von großen Pausen unterbrochene Worte von sich, Rougon sei zu heftig, er hätte sich nicht über die RodriguezAngelegenheit ärgern dürfen, die sich so leicht beilegen lasse. Dann murmelte Herr Kahn mit abwesendem Blick, als spräche er zu sich selber: »Man weiß, daß man fällt, aber man weiß nie, ob man wieder aufsteht.«

      Du Poizat tat, als habe er nichts gehört. Und lange danach sagte er: »Oh, er ist ein sehr starker Kerl.«

      Da drehte sich der Abgeordnete plötzlich um und sprach, den anderen fest ansehend, sehr schnell: »Unter uns gesagt, mir ist bange um ihn. Er spielt mit dem Feuer ... Gewiß, wir sind seine Freunde, und es ist nicht die Rede davon, ihn im Stich zu lassen. Ich lege nur Wert darauf, festzustellen, daß er bei dem allen sehr wenig an uns gedacht hat ... So habe ich zum Beispiel ungeheuer große und wichtige Dinge unter den Händen, die er mit seinem unüberlegten Vorgehen gefährdet hat. Er hätte kein Recht, es mir zu verübeln, wenn ich jetzt an eine andere Tür klopfte, nicht wahr? Denn schließlich erleide nicht ich allein Schaden, sondern auch die Bevölkerung.«

      »Man muß an eine andere Tür klopfen«, wiederholte Du Poizat mit einem Lächeln.

      Herr Kahn aber rückte, von plötzlichem Zorn ergriffen, mit seiner wahren Meinung heraus.

      »Soll man es für möglich halten! – Dieser verteufelte Bursche bringt einen mit jedem auseinander. Wenn man zu seiner Clique gehört, ist es, als stände es einem an der Stirn geschrieben.«

      Er beruhigte sich, seufzte und schaute zum Are de Triomphe hinüber, dessen leicht graue Steinmasse über die grünen Flächen der ChampsElysées hinausragte.

      Bedächtig sagte er: »Was will man machen? Ich bin nun mal von einer blödsinnigen Treue.«

      Seit einem Augenblick stand der Oberst hinter den beiden Herren.

      »Die Treue ist der Pfad der Ehre«, sprach er mit seiner soldatischen Stimme.

      Du Poizat und Herr Kahn traten auseinander, um dem Oberst Platz zu machen, der fortfuhr: »Rougon lädt heute eine Schuld gegen uns auf sich. Rougon ist nicht mehr sein eigener Herr.«

      Diese Worte hatten eine ungeheure Wirkung. Nein, Rougon war gewiß nicht mehr sein eigener Herr. Und man mußte ihm das deutlich sagen, damit er seine Pflichten begriff. Alle drei senkten die Stimme, trafen heimliche Vereinbarungen, machten einander Hoffnungen. Von Zeit zu Zeit wandten sie sich um, warfen einen raschen Blick in das große Zimmer, um zu sehen, ob nicht einer der Freunde den großen Mann zu lange mit Beschlag belege.

      Jetzt sammelte der große Mann die Aktenstöße zusammen, wobei er sich gleichzeitig mit Frau Bouchard weiterunterhielt. Die Charbonnels aber waren in der Ecke, wo sie sich bis dahin stumm und verlegen aufgehalten hatten, in einen Wortstreit geraten. Zweimal hatten sie versucht, Rougons habhaft zu werden, der sich von dem Oberst Und der jungen Frau hatte entführen lassen. Schließlich schob Herr Charbonnel seine Frau auf ihn zu.

      »Heute morgen«, stammelte sie, »haben wir einen Brief von Ihrer Mutter erhalten ...«

      Er ließ sie nicht ausreden. Er selber führte, abermals die Akten ohne übermäßige Gereiztheit im Stich lassend, die Charbonnels in die rechte Fensternische.

      »Wir haben einen Brief von Ihrer Mutter erhalten«, wiederholte Frau Charbonnel.

      Und sie wollte ihm den Brief vorlesen, als er ihn ihr wegnahm, um ihn mit einem Blick zu überfliegen.

      Die Charbonnels, ehemalige Ölhändler aus Plassans, waren die Schützlinge Frau Félicités, wie man Rougons Mutter in der kleinen Stadt, in der sie lebte, zu nennen pflegte. Sie hatte die Charbonnels anläßlich eines Gesuchs, das sie dem Staatsrat einreichen wollten, zu ihm geschickt. Der Sohn eines Vetters von ihnen, ein gewisser Chevassu, Anwalt in Faverolles, der Hauptstadt des benachbarten Departements, hatte bei seinem Ableben den Schwestern von der Heiligen Familie ein Vermögen von fünfhunderttausend Francs vermacht. Die Charbonnels, die niemals mit dieser Erbschaft gerechnet hatten, nun aber plötzlich durch den


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