Seine Exzellenz Eugene Rougon. Emile Zola

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Seine Exzellenz Eugene Rougon - Emile Zola


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lediglich als zwei Frauen dar, die auf großem Fuß lebten, ohne daß etwas von einem ihnen gehörenden soliden Vermögen bekannt gewesen wäre. Sie behaupteten, Güter in Piemont zu besitzen. Tatsächlich war es zuweilen mit ihrem Aufwand plötzlich zu Ende; dann verschwanden sie auf einmal, um bald in neuem Glanz wieder aufzutauchen. Kurz, man wußte nichts über sie; man zog es vor, nichts zu wissen. Sie verkehrten in der besten Gesellschaft, ihr Haus wurde als neutraler Boden anerkannt, auf dem man Clorindes Überspanntheit als eine fremdländische Blüte duldete. Rougon entschloß sich, diese Damen zu besuchen.

      Beim dritten Besuch hatte die Neugier des großen Mannes zugenommen. Er war von einer schwerfälligen Sinnlichkeit, die nur sehr langsam erwachte. Was ihn zunächst an Clorinde anzog, war das Prickelnde des Unbekannten, ihre ganze Vergangenheit, eine sie völlig beherrschende Zukunftsvorstellung, die er auf dem Grunde dieser großen Augen, den Augen einer jungen Göttin, zu lesen vermeinte. Wohl hatte man ihm abscheuliche Geschichten erzählt von einer ersten Schwäche für einen Kutscher und von einem später mit einem Bankier abgeschlossenen Geschäft, der die Scheinjungfräulichkeit des Fräuleins aus dem kleinen Palais der ChampsElysées bezahlt habe. Aber in manchen Stunden erschien sie ihm so kindlich, daß er zu zweifeln begann, sich fest vornahm, sie zu Geständnissen zu bewegen, und wiederkam, um das Geheimnis dieses seltsamen Mädchens zu ergründen, die, ein lebendes Rätsel, ihn schließlich ebensosehr beschäftigte wie ein schwieriges Problem der hohen Politik. Bis dahin war er ein Frauenverächter gewesen, und die erste, an die er geriet, war bestimmt der komplizierteste Mechanismus, den man sich vorstellen konnte.

      Am Tage nach jenem, an dem Clorinde auf ihrem Mietspferd erschienen war, um Rougon an der Tür des Staatsrats teilnahmsvoll die Hand zu drücken, hatte er ihr einen Besuch gemacht, den sie übrigens nachdrücklich gefordert hatte. Sie müsse, hatte sie gesagt, ihm etwas zeigen, das ihn aus seiner trüben Stimmung reißen werde. Er nannte sie lachend »mein Laster«; er vergaß gern bei ihr die Zeit, belustigt, geschmeichelt, aufmerksamen Geistes, um so mehr, als er noch an ihr herumbuchstabierte, womit er noch nicht weitergekommen war als am ersten Tag. Als er um die Ecke der Rue Marbeuf bog, warf er einen Blick in die Rue du Colisée, auf das Stadthaus Delestangs, den er schon mehrmals dabei ertappt zu haben glaubte, wie er, das Gesicht zwischen den halb geöffneten Sommerläden, von der anderen Seite der Avenue aus nach Clorindes Fenstern spähte; aber die Läden waren geschlossen, Delestang mußte wohl morgens auf sein Mustergut La Chamade gefahren sein.

      Die Tür des Palais Balbi stand stets weit offen. Rougon traf am Fuß der Treppe eine kleine, dunkelhäutige, schlecht frisierte Frau in einem zerlumpten gelben Kleid, die wie in einen Apfel in eine Orange biß.

      »Antonia, ist Ihre Herrin zu Hause?« fragte er sie.

      Sie antwortete nicht, da sie den Mund voll hatte, bewegte nur heftig und lachend den Kopf. Ihre Lippen waren ganz verschmiert vom Orangensaft; sie kniff die kleinen Augen zusammen, die wie zwei Tintenflecke auf ihrer braunen Haut aussahen.

      Rougon, bereits an die schlampige Dienerschaft des Hauses gewöhnt, ging hinauf. Im Treppenhaus kam er an einem baumlangen Diener mit dem Aussehen eines Banditen und einem langen schwarzen Bart vorbei, der ihn ruhig ansah, ohne ihm die Geländerseite freizugeben. Auf dem Treppenabsatz des ersten Stocks fand er sich dann allein drei offenen Türen gegenüber. Die zur Linken führte in Clorindes Zimmer. Er war so vorwitzig, einen langen Hals zu machen. Obwohl es bereits vier Uhr war, war das Zimmer noch nicht aufgeräumt; ein vor dem Bett aufgestellter Wandschirm verdeckte zur Hälfte die herunterhängenden Decken, und über den Wandschirm geworfen, trockneten die untenherum ganz mit Schmutz bespritzten Röcke vom Tage zuvor. Vor dem Fenster stand auf dem Fußboden die mit Seifenwasser gefüllte Waschschüssel, während die Katze des Hauses, ein grauer Kater, zusammengerollt auf einem Haufen Kleidungsstücke schlief.

      Clorinde hielt sich meist im zweiten Stock auf, in jenem Raum, aus dem sie nacheinander ein Atelier, ein Rauchzimmer, ein Treibhaus, einen Sommersalon gemacht hatte. Je weiter Rougon hinaufstieg, um so stärker vernahm er Stimmenlärm, helles Gelächter, das Gepolter stürzender Möbelstücke. Und als er vor der Tür angelangt war, unterschied er schließlich, daß ein schwindsüchtiges Klavier den Lärm anführte, während eine Stimme sang. Er klopfte zweimal, ohne Antwort zu erhalten. Da entschloß er sich, einzutreten.

      »Ah! Bravo, bravo! Da ist er ja!« rief Clorinde und klatschte in die Hände.

      Er, der für gewöhnlich schwer aus der Fassung zu bringen war, blieb einen Augenblick lang staunend auf der Schwelle stehen. Vor dem alten Klavier, auf das er wütend einhieb, um ihm weniger dünne Töne zu entlocken, saß der Cavaliere Rusconi, der italienische Botschafter, ein schöner Mann, brünett und, wenn es ihm gerade paßte, ein ernsthafter Diplomat. In der Mitte des Raumes walzte der Abgeordnete La Rouquette mit einem Stuhl, dessen Rücklehne er zärtlich mit den Armen an sich drückte, so hingerissen von seinem Schwung, daß er das Parkett mit umgestürzten Sitzgelegenheiten bestreut hatte. Und im grellen Licht eines der Fenster stand, einem jungen Mann gegenüber, der sie mit Reißkohle auf eine Leinwand zeichnete, mitten auf einem Tisch Clorinde mit nackten Schenkeln, nackten Armen, nackter Brust, völlig nackt und mit gelassener Miene Modell als Jagdgöttin Diana. Auf einem Kanapee saßen drei tiefernste Herren, rauchten dicke Zigarren und betrachteten, die Beine übereinandergeschlagen, das junge Mädchen, ohne ein Wort zu sprechen.

      »Lassen Sie, rühren Sie sich nicht«, rief der Cavaliere Rusconi Clorinde zu, die vom Tisch herunterspringen wollte. »Ich werde die Vorstellung übernehmen.« Und von Rougon begleitet, sagte er scherzend, als sie an Herrn La Rouquette vorbeigingen, der atemlos in einen Sessel gesunken war: »Herr La Rouquette, den Sie kennen. Ein künftiger Minister.«

      Dann fuhr er, sich dem Maler nähernd, fort: »Herr Luigi Pozzo, mein Sekretär, Diplomat, Maler, Musiker und Verliebter.«

      Die drei Herren auf dem Kanapee vergaß er. Doch als er sich umwandte, bemerkte er sie; und er gab seinen scherzenden Ton auf, verneigte sich in ihrer Richtung und murmelte dabei in formvollendetem Ton: »Herr Brambilla, Herr Staderino, Herr Viscardi, alle drei politische Flüchtlinge.«

      Die drei Venetianer verbeugten sich, ohne ihre Zigarren aus der Hand zu legen. Der Cavaliere Rusconi kehrte gerade ans Klavier zurück, als Clorinde ihn heftig schalt und ihm vorwarf, er sei ein schlechter Zeremonienmeister. Und ihrerseits auf Rougon weisend, sagte sie einfach, aber mit einer besonderen, sehr schmeichelhaften Betonung: »Herr Eugène Rougon.«

      Man verbeugte sich abermals. Rougon, der einen Augenblick lang irgendeinen unpassenden Scherz befürchtet hatte, war überrascht von dem plötzlichen Takt und der Würde dieses großen Mädchens, das da halbnackt in seinem Gazegewand stand. Er setzte sich und erkundigte sich nach dem Befinden der Gräfin Balbi, wie es seine Gepflogenheit war; er tat sogar bei jedem Besuch so, als gelte er der Mutter, was ihm schicklicher erschien.

      »Ich hätte mich sehr gefreut, ihr persönlich meine Aufwartung machen zu dürfen«, fügte er hinzu, die Formel anwendend, die er in diesem Fall zu gebrauchen pflegte.

      »Aber Mama ist ja hier«, sagte Clorinde, mit dem Ende ihres Bogens aus vergoldetem Holz auf eine Ecke des Raumes deutend.

      Und die Gräfin war tatsächlich da; hinter Möbelstücken verborgen, lag sie in einem großen Sessel. Das löste allgemeines Erstaunen aus. Auch die drei politischen Flüchtlinge hatten offenbar nichts von ihrer Anwesenheit gewußt; sie standen auf und verbeugten sich. Rougon ging zu ihr und reichte ihr die Hand. Er blieb bei ihr stehen, und sie, immer noch ausgestreckt, antwortete einsilbig, mit jenem ständigen Lächeln, das sie niemals verließ, nicht einmal wenn sie litt. Dann versank sie wieder in ihre Schweigsamkeit, war zerstreut, blickte seitlich auf die Avenue hinaus, wo ein Strom von Wagen entlangrollte. Sie hatte sich zweifellos hierhergesetzt, um dem Verkehr zuzusehen. Rougon ließ sie allein.

      Inzwischen suchte der Cavaliere Rusconi, der wieder am Klavier saß, leise die Tasten anschlagend und mit halber Stimme italienische Worte vor sich hin singend, nach einer Melodie. Herr La Rouquette fächelte sich mit seinem Taschentuch. Clorinde hatte sehr ernst ihre Pose wieder eingenommen. Und Rougon ging in der plötzlich entstandenen Stille gemächlich auf und ab und betrachtete die Wände. Der Raum war mit einem erstaunlichen Durcheinander von Gegenständen vollgestopft: allerlei Möbelstücke, ein Schreibtisch, eine Truhe, mehrere Tische


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