Seine Exzellenz Eugene Rougon. Emile Zola

Читать онлайн книгу.

Seine Exzellenz Eugene Rougon - Emile Zola


Скачать книгу
seinen geschlossenen Fingern Steine zu zermalmen. Clorinde bewunderte ihn.

      »Ich war nichts; jetzt werde ich sein, was mir gefällt«, fuhr er fort, alles um sich her vergessend, nur für sich selber redend. »Ich bin eine Macht. Und ich kann nur die Schultern zucken über die andern, wenn sie sich auf ihre Ergebenheit für das Kaiserreich berufen! Lieben sie es etwa? Haben sie es im Gefühl? Würden sie sich nicht allen Regierungsformen anpassen? Ich bin mit dem Kaiserreich groß geworden; ich habe es geschaffen, und es hat mich geschaffen ... Ich wurde nach dem 10. Dezember34 zum Ritter der Ehrenlegion ernannt, zum Offizier im Januar 1852, zum Kommandeur am 15. August 1854, zum Großoffizier vor drei Monaten. Unter der Präsidentschaft war ich für kurze Zeit Minister für öffentliche Arbeiten; später hat mich der Kaiser mit einer Mission in England beauftragt; dann bin ich in den Staatsrat eingezogen und in den Senat ...«

      »Und wo werden Sie morgen einziehen?« fragte Clorinde mit einem Lachen, hinter dem sie ihre brennende Neugier zu verbergen trachtete.

      Er sah sie an, brach jäh ab.

      »Sie sind recht neugierig, Fräulein Machiavelli«, sagte er. Da baumelte sie noch heftiger mit den Beinen. Eine Pause entstand. Als Rougon sie abermals in tiefe Träumerei versunken sah, hielt er den Augenblick für günstig, um etwas aus ihr herauszulocken.

      »Die Frauen ...«, begann er.

      Doch sie unterbrach ihn; mit verschleiertem Blick, leicht ihren Gedanken zulächelnd, sprach sie halblaut: »Oh, die Frauen haben anderes.«

      Das war ihr einziges Geständnis. Sie aß ihr Butterbrot auf, leerte in einem Zuge das Glas klaren Wassers und stand mit einem Sprung, der von ihrer Reitergeschicklichkeit zeugte, auf dem Tisch.

      »Also Luigi!« rief sie.

      Der Maler hatte sich, vor Ungeduld auf seinem Schnurrbart kauend, seit einem Weilchen erhoben und war um sie und Rougon herumgetrappelt. Mit einem Seufzer setzte er sich wieder, griff nach seiner Palette. Aus den drei Minuten Gnadenfrist, die Clorinde erbeten hatte, war eine Viertelstunde geworden. Jetzt aber stand sie, immer noch in das Stück schwarze Spitze gehüllt, auf dem Tisch. Als sie dann wieder in ihre Stellung zurückgefunden hatte, entblößte sie sich mit einer einzigen Bewegung. Sie wurde wieder zum Marmorbild, sie empfand keine Scham mehr.

      In den ChampsElysées rollten die Wagen spärlicher. Die sinkende Sonne füllte die Avenue mit einem Geflimmer, das die Bäume bestäubte, als hätten die Räder diese Wolke rotgelben Lichts aufgewirbelt. In dem durch die hohen Fenster fallenden Tagesschein wurden Clorindes Schultern von goldenen Reflexen überspielt. Und allmählich verblich der Himmel.

      »Ist die Heirat des Herrn de Marsy mit jener walachischen Fürstin noch immer beschlossen?« fragte sie nach einer kleinen Weile.

      »Ich denke doch«, antwortete Rougon. »Sie ist ungeheuer reich. Marsy fehlt es stets an Geld. Übrigens erzählt man, er sei in sie vernarrt.«

      Die Stille wurde nicht mehr gestört. Rougon blieb, fühlte sich wie zu Hause, dachte nicht mehr daran, fortzugehen. Er überlegte, nahm sein Umherwandern wieder auf. Diese Clorinde war wirklich ein sehr verführerisches Mädchen. Er dachte so an sie, als habe er sie schon seit langem verlassen; und die Augen aufs Parkett geheftet, versank er in undeutliche Gedanken, sehr angenehme Gedanken, deren inneres Prickeln ihm Genuß bereitete. Es kam ihm vor, als entsteige er mit einer köstlichen Mattigkeit der Glieder einem lauen Bad. Ein eigentümlicher Duft von fast zuckriger Strenge drang auf ihn ein. Er hätte sich gern auf eines der Kanapees gelegt, um dort in diesem Duft einzuschlafen.

      Er wurde jäh durch den Laut von Stimmen aufgeschreckt. Ein hochgewachsener Greis, den er nicht hatte eintreten sehen, küßte Clorinde, die sich lächelnd über den Rand des Tisches hinabbeugte, auf die Stirn.

      »Guten Tag, meine Kleine«, sagte er. »Wie schön du bist! Du zeigst wohl alles, was du hast?«

      Er grinste ein wenig, und als Clorinde verwirrt ihr Stück schwarze Spitze aufraffte, meinte er lebhaft: »Nein, nein, es ist sehr hübsch so, du kannst alles sehen lassen, glaub's nur! – Ach, mein armes Kind, ich habe ganz andere gesehen!«

      Dann wandte er sich zu Rougon um, den er mit »lieber Kollege« ansprach, drückte ihm die Hand und fügte hinzu: »Ein wildes Mädelchen, das sich, als sie noch klein war, mehr als einmal auf meinen Knien vergessen hat! Jetzt hat sie einen Busen, der einen geradezu blendet!«

      Es war der alte Herr de Plouguern. Er zählte siebzig Jahre. Unter LouisPhilippe vom Departement Finistère in die Kammer entsandt, gehörte er zu den legitimistischen Abgeordneten, welche die Wallfahrt zum Belgrave Square35 machten; und anschließend an die entehrende Abstimmung, von der seine Gefährten und er überrascht wurden, reichte er seinen Rücktritt ein. Später, nach den Februartagen, bekundete er seine plötzliche Liebe zur Republik, der er auf den Bänken der Verfassunggebenden Versammlung kräftig Beifall zollte. Jetzt war er, seit ihm der Kaiser im Senat eine wohlverdiente Zuflucht gesichert hatte, Bonapartist. Nur verstand er sich darauf, es als Edelmann zu sein. Seine große Unterwürfigkeit gestattete sich zuweilen den Reiz eines Anflugs von Opposition. Undankbarkeit ergötzte ihn. Skeptiker bis ins Mark, verteidigte er dennoch Religion und Familie. Er glaubte, das seinem Namen, einem der glänzendsten der Bretagne, schuldig zu sein. An manchen Tagen fand er das Kaiserreich unmoralisch und sprach das ganz laut aus. Er selber hatte sehr ausschweifend, sehr erfinderisch und die Genüsse verfeinernd, ein Leben voll anrüchiger Abenteuer geführt; man erzählte trotz seiner Jahre Geschichten von ihm, die in den jungen Leuten Träume weckten. Auf einer Reise durch Italien hatte er die Gräfin Balbi kennengelernt, deren Liebhaber er fast dreißig Jahre lang blieb; nach jahrelangen Trennungen taten sie sich in den Städten, wo sie einander zufällig trafen, für drei Nächte wieder zusammen. Es wurde erzählt, Clorinde sei seine Tochter; aber weder er noch die Gräfin wußten zuverlässig etwas davon, und seit das Kind zu einer fülligen und begehrenswerten Frau heranwuchs, betonte er, daß er früher viel mit ihrem Vater verkehrt habe. Er blickte sie mit seinen noch immer funkelnden Augen zärtlich an und erlaubte sich bei ihr sehr freie Vertraulichkeiten eines alten Freundes.

      Herr de Plouguern, groß, dürr und knochig, hatte Ähnlichkeit mit Voltaire, den er insgeheim verehrte.

      »Pate, siehst du dir mein Porträt nicht an?« rief Clorinde.

      Sie nannte ihn aus Anhänglichkeit Pate. Er war hinter Luigi getreten und blinzelte kennerhaft.

      »Köstlich!« murmelte er.

      Rougon kam näher heran, und Clorinde selber sprang vom Tisch, um das Bild zu betrachten. Und alle drei wollten vor Entzücken vergehen. Die Malerei war sehr sauber. Der Künstler hatte bereits die ganze Leinwand mit einer leichten, durchsichtigen Farbschicht in Rosa, Blau und Gelb bedeckt, die den blassen Schimmer eines Aquarells hatte. Und das Gesicht lächelte mit einer hübschen Puppenmiene, mit seinen geschwungenen Lippen, den an den Enden aufwärtsgebogenen Brauen, den von zartem Zinnoberrot überhauchten Wangen. Es war eine Diana wie für den Deckel einer Konfektdose.

      »Oh, sehen Sie doch, dort neben dem Auge das kleine Leberfleckchen«, sagte Clorinde, vor Bewunderung in die Hände klatschend. »Dieser Luigi, nichts vergißt er!«

      Rougon, den Gemälde in der Regel langweilten, war hingerissen. In diesem Augenblick begriff er die Kunst. In sehr überzeugtem Ton gab er das Urteil ab: »Das ist vortrefflich gezeichnet.«

      »Und die Farbgebung ist hervorragend«, sagte Herr de Plouguern. »Diese Schultern sind wirkliches Fleisch ... Sehr reizend die Brüste. Besonders die linke ist frisch wie eine Rose ... Ah, welche Arme! Diese Kleine hat erstaunliche Arme! Besonders gefällt mir die Schwellung über der Ellbogenbeuge; das ist vollendet herausmodelliert.«

      Und zum Maler gewandt, fügte er hinzu: »Herr Pozzo, mein höchstes Kompliment. Ich habe schon eine ›Badende‹ von Ihnen gesehen. Aber dieses Porträt wird noch bedeutender ... Weshalb stellen Sie nicht aus? Ich kannte einen Diplomaten, der wunderbar Geige spielte; das hat ihn nicht gehindert, erfolgreich seinen Weg zu machen.«

      Luigi, sehr geschmeichelt, verbeugte sich. Inzwischen nahm das Tageslicht ab, und da er, wie er sagte, ein Ohr noch fertigmalen wollte, bat er Clorinde, ihre Stellung für längstens zehn Minuten


Скачать книгу