Die zweite Frau. Eugenie Marlitt

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Die zweite Frau - Eugenie Marlitt


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ließ ihr keine Zeit zur Antwort. Im Sturmschritt – voran der dahinstiebende, in Dienstfertigkeit ersterbende Haushofmeister und mit Kopfschütteln nachstrebende Freund Rüdiger – führte er die junge Frau die Treppe hinauf durch Prachtsäle, denen sich eine herrliche Spiegelgalerie anschloß. Liane sah sich am Arm des hohen, stolzen Mannes dahinschreiten – der Gestalt und Haltung nach gehörten sie zusammen; aber welch eine himmelweite Kluft lag zwischen den Seelen, die ein geschäftsmäßiger Vertrag, sanktioniert durch Priesterwort, heute aneinander geschmiedet hatte!

      Der Haushofmeister schlug mit feierlich bedeutungsvoller Gebärde die Flügel der Ausgangsthür zurück – eine Art von Schwindel ergriff die junge Frau; trotz der klafterdicken Steinwände und der imposanten Deckenwölbung war es schwül und heiß in der Galerie; die ganze Gluthitze der Julisonne fiel durch die unverhüllten Scheiben der langen Fensterreihe – und dort an der gegenüberliegenden Wand des weiten Salons loderten die hellen Flammen im Kamin. Dicke Teppichstoffe bedeckten die Wände, den Fußboden, und drapierten Fenster und Thüren; auf den letzteren lagen noch besonderen, hermetisch schließende, wattierte Flügel – überall sah man das ängstliche Bestreben, Wärme zu erzeugen und die äußere Luft abzuwehren, und in dieser schweren Atmosphäre, die auch noch ganze Wolken starker Essenzen erstickend füllten, saß ein fröstelnder Mann. Seine Füße, nahe an die prasselnden Holzklötze gerückt, waren in seidene Steppdecken gehüllt; ihre ganze Lage hatte etwas leblos Unbewegliches; dagegen zeigte der Oberkörper eine fast jugendlich graziöse Leichtigkeit in der Haltung. Er war im schwarzen Frack, und über der schneeweißen Halsbinde saß ein kleines, feines, kluges Gesicht, dessen kränkliche Blässe leichenhaft angehaucht wurde durch das unerquickliche Gemisch von Tageslicht und bleichgelbem Flammenschein – das war der Hofmarschall Baron von Mainau.

      »Lieber Onkel, erlaube mir, dir meine junge Frau vorzustellen,« sagte Mainau ziemlich lakonisch, während Liane den Schleier über die Hutkrempe zurückschlug und sich verbeugte.

      Die kleinen braunen Augen des alten Herrn richteten sich scharf auf ihr Gesicht. »Du weißt ja, mein lieber Raoul,« versetzte er langsam und bedächtig, ohne den Blick von der Errötenden wegzuwenden, »daß ich die junge Dame nicht als deine Frau begrüßen kann, bevor unsere Kirche die Ehe sanktioniert hat.«

      »Mit nichten, Onkel!« fuhr Mainau auf. »Ich erfahre erst in diesem Augenblicke, bis zu welcher haarsträubenden Rücksichtslosigkeit deine Bigotterie sich steigern kann, sonst würde ich wohl einer solchen Auslassung vorzubeugen gewußt haben.«

      »Ta, ta, ta – nicht ereifern, bester Raoul! Das sind Glaubenssachen, und darüber streiten wohl noble Naturen nicht,« sagte der Hofmarschall begütigend – es war nicht zu verkennen, der schwächliche Mann mit dem geistreichen Gesichte hatte Furcht vor der drohenden Stimme des Neffen. »Einstweilen heiße ich Sie als Gräfin Trachenberg willkommen – Sie tragen einen vortrefflichen Namen,« wandte er sich an Liane. Er reichte ihr seine Rechte begrüßend hin – sie zögerte, ihre Hand zwischen diese bleichen, schmalen, etwas verkrümmten Finger zu legen; ein zorniger Schrecken zitterte in ihr nach. Sie hatte gewußt, daß die Ehe noch einmal, am selben Tage, nach katholischen Ritus eingesegnet werden solle – die Mainaus waren Katholiken –, aber daß man die in Rudisdorf vollzogene protestantische Trauung für so vollkommen null und nichtig in diesem Hause erklärte, das traf sie wie ein niederschmetternder Schlag.

      Der alte Baron that, als bemerke er ihr Zögern nicht, und ergriff statt ihrer Hand die Spitze ihrer niederhängenden Flechten. »Sie da, wie hübsch!« sagte er galant. »Ihr alter erlauchter Name braucht nicht genannt zu werden, sein untrügliches Wahrzeichen wird Sie überall einführen – das hat geleuchtet schon in den Kreuzzügen! ... Nicht immer ist die Natur so zuvorkommend, den Stempel der Geschlechter in allen Generationen festzuhalten, wie bei der dicken Unterlippe der Habsburger und dem Trachenberger Rothaar.« – Er lächelte so verbindlich, wie man nur lächeln kann nach einer wohlgemeint ausgesprochenen Liebenswürdigkeit.

      Freund Rüdiger kämpfte mit einem Hüsteln, und Mainau wandte sich hastig nach dem nächsten Fenster. Da stand der kleine Leo, regungslos und starren Auges die neue Mama musternd; die reizende Knabengestalt lehnte nachlässig an dem riesigen Körper eines Leonberger Hundes, und die Rechte mit der berühmten Gerte hing über den Rücken des Tieres hinab – es war eine Gruppe, wie für den Pinsel oder Meißel hingestellt.

      »Leo, begrüße die liebe Mama,« befahl Mainau in unverkennbar aufgeregtem Tone. Liane wartete nicht, bis der Knabe zu ihr kam. In dieser entsetzlichen Umgebung leuchtete ihr das schöne Kindergesicht, ungeachtet seines feindselig trotzigen Blickes, wie ein tröstender Lichtschein entgegen. Sie trat rasch hinüber. Das zarte Antlitz mit dem blumenweißen Teint bog sich über den Knaben und ein würziger Atem berührte seine Lippen.

      »Willst du mich ein wenig lieb haben, Leo?« flüsterte sie – das klang flehend, und in ihrer Stimme klopfte es wie ein leises Schluchzen. Die großen Augen des Kindes verloren den festen Blick. Aengstlich erstaunt fuhren sie über das Gesicht der neuen Mutter hin – da fiel polternd die Gerte zur Erde, und plötzlich schlangen sich zwei Kinderarme festpressend um den Nacken der jungen Frau.

      »Ja, Mama, ich will dich lieb haben!« versicherte der Kleine in dem ihm eigenen derb aufrichtigen Tone. Er sah neben ihrer Schulter hinweg nach seinem Vater. »Es ist ja gar nicht wahr, Papa,« sagte er fast brummig, »sie ist keine Hopfenstange, und ihre Zöpfe sind lange nicht so schlimm, wie bei unserem –«

      »Leo – vorlauter Bursch!« schnitt Mainau die weiteren Auslassungen des Kindes ab. Er war sichtlich beschämt und in der peinlichsten Verlegenheit, während um die Lippen und Augen des alten Herrn ein verhaltenes Lachen zuckte. Herr von Rüdiger verfiel abermals in einen heftigen Hustenanfall.

      »Mein Gott, was hat denn der arme Sünder da verbrochen?« unterbrach er plötzlich sein diplomatisches Manöver – er zeigte nach einer der dunkelsten Zimmerecken; dort kniete Gabriel mit gesenktem Kopfe vor einem Stuhle; die Hände lagen gefaltet auf einem dicken Buche.

      »Mosje Leo ist unfolgsam gewesen; ich kann den widerhaarigen Burschen nicht empfindlicher züchtigen, als wenn ich Gabriel für ihn büßen lasse,« sagte der Onkel gelassen.

      »Was – sind denn in Schönwerth die Prügelknaben wieder Mode geworden?«

      »Wollte Gott, sie wären nie aus der Mode gekommen! Dann stünde es besser um uns alle,« versetzte der Hofmarschall schneidend.

      »Steh auf, Gabriel!« befahl Mainau, seinem Onkel den Rücken wendend. Der Knabe erhob sich, und Mainau nahm mit einem sarkastischen Lächeln das dickleibige Legendenbuch auf, aus welchem der arme Sündenbock allem Anscheine nach hatte vorlesen müssen.

      Mitten in diese peinliche Szene hinein trat der Haushofmeister. Er trug eine Platte voll Erfrischungen. So tief gereizt war alte Herr in diesem Momente auch sein mochte, er richtete doch sofort seine Augen scharf musternd auf den reichbesetzten Silberteller, den ihm der Haushofmeister auf seinen Wink hinhielt.

      »Ich werde dem hirnlosen Verschwender drunten in der Küche wohl einmal das Handwerk legen müssen,« murmelte er ingrimmig. »Solche Berge des teuersten Fruchteises! ... Ist er verrückt?«

      »Der junge Herr Baron haben so befohlen,« beeilte sich der Haushofmeister leise zu sagen.

      »Was gibt's?« fragte Mainau; er warf den Folianten auf den Stuhl und trat mit finster gefalteter Stirn näher heran.

      »Nichts von Belang, mein Freund,« begütigte der Onkel mit einem scheuen Seitenblick – er war erschrocken und so rot geworden wie ein junges Mädchen, das man bei einem oft gerügten Fehler ertappt. »Bitte, liebe Gräfin, legen Sie doch endlich einmal den Hut ab,« sagte er zu der jungen Frau, »und essen Sie ein wenig von diesem Ananaseise! – Sie werden der Erquickung bedürfen nach der heißen Fahrt.«

      Liane strich liebkosend mit der Hand über den Lockenkopf des kleinen Leo und küßte abschiednehmend seine Stirn. »Ich muß danken, Herr Hofmarschall,« versetzte sie sehr ruhig. »Sie verweigern mir vorläufig die Stellung der Hausfrau und den Namen Mainau – die Gräfin Trachenberg aber kann unmöglich dem Anstand und der guten Sitte ins Gesicht schlagen, indem sie ohne weiblichen Schutz in einem fremden Hause in


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