Die zweite Frau. Eugenie Marlitt

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Die zweite Frau - Eugenie Marlitt


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noch niemals so energisch zurechtgewiesen worden, oder er hatte in der überaus einfach gekleideten Mädchengestalt, unter dem das jugendliche Antlitz halb verdeckenden grauen Schleier die Schüchternheit und das Gedrücktsein der finanziellen Verarmung notwendig vorausgesetzt – genug, seine Augen öffneten sich weit, und der sonst unleugbar geistvolle Ausdruck seiner Züge wich einer nichts weniger als schlagfertigen Verblüfftheit ... Herr von Rüdiger rieb sich hinter seinem Rücken schadenfroh die Hände, Mainau aber fuhr in sprachloser Ueberraschung herum – hatte wirklich »das bescheidene Mägdlein mit dem furchtsamen Charakter« gesprochen?

      »Eh – wir sind sehr empfindlich, meine kleine Gräfin,« sagte der Onkel nach einem verlegenen Räuspern.

      Mainau trat an die Seite seiner jungen Frau. »Du bist sehr im Irrtume, Juliane, wenn du meinst, deine Rechte als Hausfrau könnten dir in Schönwerth auch nur um ein kleines Bruchteil verkümmert werden,« sagte er mit verhaltener Stimme – er kämpfte schwer mit seinem hervorbrechenden Ingrimme. »Für mich ist die Rudisdorfer Trauung vollkommen rechtskräftig – sie gibt dir für immer meinen Namen, und wie man hier in diesen vier Wänden darüber denkt, das darf dich nicht anfechten ... Erlaube mir, dich in deine Appartements zu führen.«

      Er reichte ihr den Arm und ohne den alten Herrn weiter zu begrüßen, führte er sie hinaus. Während sie die Spiegelgalerie wieder durchschritten, sprach er kein Wort; auf der Treppe aber blieb er einen Moment stehen. »Du bist beleidigt worden, und das trifft meinen Stolz genau so empfindlich wie den deinen,« hob er viel ruhiger an, als er droben gesprochen. »Aber ich gebe dir zu bedenken, daß meine erste Frau die Tochter jenes kranken Mannes, sein einziges Kind gewesen ist. Die zweite Frau muß es sich stets gefallen lassen, ein Gegenstand schmerzlicher Eifersucht für die Verwandten der Verstorbenen zu sein ... Ich muß dich bitten, auszuharren, bis die Macht der Gewohnheit wirkt ... Schönwerth zu verlassen und mit dir auf einem meiner anderen Güter zu leben, vermag ich nicht – es handelt sich hauptsächlich darum, Leo unter mütterliche Aufsicht zu bringen; der Kleine aber muß hier bleiben – ich darf dem Großvater den einzigen Enkel nicht nehmen.«

      Liane stieg schweigend die Stufen weiter hinab; es war ihr fast unmöglich, zu diesem grausamen Egoisten zu sprechen, der sie an sich gefesselt, um sie völlig unvorbereitet den widerwärtigsten Verhältnissen gegenüberzustellen.

      »Sie werden begreifen, daß ich keinen anderen Wunsch habe, als den, wieder da hinausgehen zu dürfen,« versetzte sie endlich und zeigte nach der sonnigen Landschaft durch das offene Thor, an welchem sie eben vorüberschritten. »Wäre nicht der Gedanke, daß ich mit meiner sofortigen Heimkehr nach Rudisdorf selbst die bindende Kraft meiner Kirche verneinte –«

      »Es sollte dir auch einigermaßen schwer werden, einen solchen Schritt auszuführen,« unterbrach er sie eiskalt, indem er einen langen Säulengang im Erdgeschosse mit ihr durchmaß. »Ich brauche dich wohl nicht erst zu versichern, daß ich mich nicht so ohne weiteres kompromittieren lasse ... Hm, ja – Trauung und Trennung so eng beieinander! Das wäre wieder einmal so etwas für die guten Leute, die sich vor meinen ›Bizarrerien und Extravaganzen‹ fromm bekreuzigen ... Ich bin stets herzlich gern bereit, ihnen Stoff zu liefern – warum denn nicht? Diesmal aber verzichte ich auf den Skandal.«

      Er ließ ihren Arm von dem seinen niedergleiten und öffnete die Thür. »Hier deine Appartements – siehe zu, wie du sie deinen Bedürfnissen und Neigungen unterthan machst! Jeder deiner Wünsche, bezüglich einer Veränderung, wird selbstverständlich ohne Widerrede erfüllt werden.« Er trat nach ihr ein und ließ den Blick durch die mit übermäßigem Luxus ausgestattete Zimmerreihe gleiten – ein böses Gemisch von Hohn und Groll lag in dem finstern Lächeln, das über sein schönes Gesicht huschte. »Valerie hat sie bewohnt – aber fürchte dich nicht,« sagte er, in den frivolen, persiflierenden Ton verfallend, vor welchem »die Damen wie die Lämmer zitterten« – »ihre Seele war luftig und flatternd, als sei auch sie nur aus den kostbaren echten Spitzen zusammengewoben, in die sie ihren verwöhnten Körper zu hüllen liebte. Zudem trug sie die untrüglichen Engelsflügel einer strengen Frömmigkeit – sie ist im Himmel.«

      Er schellte der Kammerjungfer und stellte sie der neuen Herrin vor. Dann machte er Liane darauf aufmerksam, daß er sie nach einer Stunde zur Trauung abholen werde, und ehe sie noch ein Wort erwidern konnte, hatte er das Zimmer verlassen. Zugleich schlüpfte die Zofe durch die entgegengesetzte Thür, um im Ankleidezimmer alles zur Toilette vorzubereiten.

      Da stand die junge Dame allein, inmitten einer wildfremden Umgebung. Im ersten Augenblicke gab sie dem Gefühle einer fast sinnlosen Angst nach – sie lief durch die Gemächer und griff auf jedes Thürschloß; nein, sie war nicht gefangen, selbst die ins Freie führende Glasthür des einen Salons flog sofort unter dem Drucke ihrer Hand auf, und nichts hinderte sie, das Haus flüchtend zu verlassen ... Flüchten? War sie denn nicht freiwillig hierhergekommen? Hatte es nicht doch einzig und allein in ihrer Hand gelegen, nein zu sagen, trotz der grimmig drohenden Blicke der Mutter und der Bitten der Geschwister? ... Sie hatte sich stumpfsinnig einem furchtbaren Irrtume hingegeben, und an diesem Irrtume trug ihr Institutsleben die Schuld. Die meisten ihrer Mitschülerinnen, Töchter der ältesten Adelsfamilien, hatten schon nicht mehr über ihre Hand zu verfügen gehabt; sie waren durch Uebereinkommen der Eltern versprochen gewesen und waren fast alle vom Institute aus durch einen sehr kurzen, erklärten Brautstand in die Ehe gegangen, ja, eine derselben, eine schöne junge Dame, von welcher Liane wußte, daß sie eine tiefe Liebe zu einem Bürgerlichen im Herzen trug, hatte sich, ohne ein Wort des Widerspruchs, mit einem alternden Standesherrn verheiratet ... Unter dem Einfluß dieser Erfahrungen und Anschauungen und bestärkt durch Mutter und Geschwister, hatte sie gewähnt, daß dazu gar kein besonderer Entschluß gehöre – vielmehr ergebe er sich von selbst aus den gebotenen Verhältnissen. Magnus und Ulrike hatten sie retten wollen aus der Hölle daheim, und sie hatte sich retten lassen – nicht das mindeste Recht stand ihr zu, Mainau anzuklagen, daß er sie betrogen habe. Sie brachte ja auch nichts mit, als den guten Willen, treulich den neuen Pflichten zu leben. Wie fielen ihr jetzt die Schuppen von den Augen! Sie war für immer losgetrennt von denen, die sie liebte, und hatte nicht die geringste Hoffnung, für dieses Aufgeben je entschädigt zu werden; ja, sie mußte sich auf eine Art Gefrierpunkt dem Manne gegenüberstellen, an den sie zeitlebens gekettet war, der ihr keine Liebe geben konnte und nichts weniger wünschte, als von ihr geliebt zu werden ... Ein ganzes langes Leben in der Fremde ohne das Gefühl, einwurzeln zu dürfen durch gegenseitige Sympathie! ...

      Sie warf einen Blick nach oben – er blieb in Wolken von strahlend blauem Atlas hängen. Jetzt erst sah sie, daß dieser glänzende Stoff sie umriesele, als schwimme sie im Aether ... Nach der bitteren Ironie, mit welcher Mainau von ihr gesprochen, mochte die Frau, die hier gewohnt, wohl ein eigensinniges Köpfchen gewesen sein, ein verzogenes Kind, das in übler Laune mit den kleinen Füßen stampfte und den zarten, verwöhnten Körper rücksichtslos hintenüberwarf, und das konnte sie hier ungestraft – unter den Füßen schwoll ein zolldicker, mit blauen Cyanen bestreuter Teppich, und in dem ganzen kleinen, üppigen Boudoir war nicht eine harte Holzkante zu sehen – Polster und weicher, gleißender Atlas, wohin man sah! ... Liane öffnete ein Fenster – diese Verstorbene mußte sich in Jasminduft förmlich gebadet haben; er füllte betäubend die Luft und entströmte selbst den Gardinen und Wandbehängen. Zog nicht in diesem Augenblicke, wo die zweite Frau mit dem eigenmächtigen Oeffnen des Fensters gleichsam von diesen Räumen Besitz ergriff, »die flatternde, aus Spitzen gewobene Seele«, die auf den Engelsflügeln strenger Frömmigkeit in den Himmel zurückgekehrt sein sollte, zürnend und aufseufzend droben am Plafond hin? Wie ein Hauch, und doch bestimmt, hatte der weiche Klagelaut einer Frauenstimme Lianens Ohr berührt. Sie blieb mit zurückgehaltenem Atem stehen und horchte. Da trat das Kammermädchen ein, um zu melden, daß zur Toilette alles vorgerichtet sei.

      »Was ist das?« fragte die junge Dame – sie war im Begriff, über die Schwelle des Nebenzimmers zu gehen, als jener eigenthümliche Klang wieder durch das Zimmer schwebte – diesmal kam er unbestritten durch das Fenster.

      »Da drüben in dem Baume hängen Windharfen, gnädige Frau,« versetzte das Mädchen.

      Sie sah hinüber und schüttelte


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