Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frisst – Band 185e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Ханс Фаллада

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Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frisst – Band 185e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski - Ханс Фаллада


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Ne olle Witwe habe ich, so an die Fünfzig, die sonst keinen mehr findet, die besorge ich und dafür habe ich zwei feine Zimmer und Bad und fein Essen – Präpelchen, Junge! Vielleicht kannst du auch bei mir wohnen, muss mal sehen, Harvestehuder Weg, Witwe Antonie Hermann. Die ist von der großen Reederei, davon hast du doch schon gehört?“

      „Glaubst du denn, dass die all die Jahre auf dich gewartet hat?“

      „Du bist gut! Natürlich hat sie 'nen Jungen und natürlich hat sie keine Ahnung, dass ich jetzt wieder rauskomme aus dem Knast. Aber du weißt ja, wie ich bin, fromm bin ich nicht. Ich stell mich einfach hin vor den Jungen und sag: ‚Der Rabe ist da. Raus!’ Und wenn er seine Sachen packt, da steh' ich dabei, und was sie ihm zu viel geschenkt hat, das wird meins!“

      Kufalt macht es Spaß, er grinst: „Und lässt sie sich das gefallen?“

      „Die –? Ich weiß doch, wo die Reitpeitsche hängt, und wenn ich sie erst einmal verdroschen habe, weiß sie von keinem anderen mehr.“

       Es geht Kufalt etwas durcheinander, der Rauch ist dick und der Abend trüb geworden und die Musik der Oper klingt aus weiter Ferne. Witwe vom Harvestehuder Weg, Reedereibesitzerin, Reitpeitsche, Rabe – es ist ein bisschen viel. Aber wenn man fünf Jahre Knast geschoben hat, scheint nichts unmöglich – Dinge hat man hier erlebt!

      Er lässt es auf sich beruhen und fragt: „Also wo treffen wir uns? Und wann?“

      „Ich will dir sagen“, schlägt Batzke vor, „wir treffen uns auf dem Hauptbahnhof – nee, da läuft immer so viel Schmiere rum, die kennen mich alle. Wir treffen uns um acht auf dem Rathausmarkt unterm Pferdeschwanz.“

      „Wo ist das?“

      „Unterm Pferdeschwanz? Warst noch nie in Hamburg?“

      „Nur ein paar Tage.“

Grafik 643

      „Da ist ein Denkmal von Kaiser Wilhelm auf dem Rathausmarkt, da reitet er. Unterm Pferdeschwanz weiß jeder in Hamburg.“

      „Gut. Das finde ich. Also um acht.“

      „Abgemacht. Und wirf dich fein in Schale. Wir machen einen langen Zug.“

      „Schön. An mir soll's nicht liegen.“

      „An mir auch nicht.“

      * * *

       10

      Durch den schlafenden, fast dunklen Bau schleicht hinter dem Nachtbeamten Kufalt, auf Socken, die Pantoffeln in der Hand.

      Der Wachtmeister schließt die Zelle auf, er steht einen Augenblick da, den Lichtschalter zögernd in der Hand. „Gehen Sie einmal ohne Licht ins Bett, Kufalt. Ich muss sonst in zehn Minuten die vier Treppen wieder rauf. Und ich hab' den ganzen Tag zu Haus Holz gesägt und bin hundemüde.“

      „Selbstverständlich“, sagt Kufalt. „Das macht mir nichts. Gute Nacht, Herr Thießen.“

      „Gute Nacht, Kufalt. Es ist ja wohl Ihre letzte Nacht?“

      „Vorletzte.“

      „Und wie lange haben Sie abgerissen bei uns?“

      „Fünf Jahre.“

      „Lange Zeit. Auf und ab eine lange Zeit“, sagt der alte Mann und schüttelt den Kopf. „Sie werden sich wundern draußen. Fünf Millionen Arbeitslose. Schwer ist das, Kufalt, schwer. Meine beiden Söhne sind auch arbeitslos.“

      „Ich hab' ja warten gelernt.“

      „Haben Sie's gelernt? Hier doch nicht! Hier hat's noch keiner gelernt. – Na, wenn ich Sie nicht mehr sehen sollte, Kufalt, alles Gute. Sie werden's nicht leicht haben, schwer werden Sie's haben. Ob Sie's aushalten werden? Wer einmal aus dem Blechnapf frisst...“

      Der alte Mann steht wartend, denn Kufalt ist schon beinahe fertig mit Ausziehen im Licht der Flurlampe.

       „Schlecht sind Sie nicht gewesen, nur zu leicht. Fleißig, ja. Und höflich, wenn man höflich war. Aber immer gleich im Bruddel, wenn was verquer ging, und hinter jeder Scheißhausparole hinterher. Fünf Millionen Arbeitslose, Kufalt...“

      „Sie machen mich nicht gerade munter, Herr Thießen.“

      „Munter werden Sie schon genug sein, wenn Sie entlassen sind, da sorgen die Mädchen schon für und der Suff – das Muntersein macht's nicht. Denken Sie immer dran, Kufalt, wir haben hier im Bau an die siebenhundert Zellen – denen ist's egal, wer sich drin sorgt. Uns ist's egal, bei wem wir schließen, alles kennen wir schon, alles, was es gibt.“

      „Jeder ist anders, Herr Thießen.“

      „Draußen ja. Aber hier drinnen seid ihr alle gleich, das wissen Sie doch selbst, Kufalt. Wie rasch lernt ihr's. – Na, gehen Sie jetzt man schlafen. Ihr Bett haben Sie schon runtergeklappt. Sehen Sie, das ist nett, so was mag' ich, das sind die wirklich Gebildeten. Aber andere gibt's. Der Schlimmste ist der Batzke, der macht sein Bett nachts um zwölf vom Haken und haut es mit aller Gewalt auf den Steinfußboden, dass der ganze Bau rebellisch wird. – Na, schlafen Sie denn also gut, die vorletzte Nacht. Gute Nacht.“

      „Gute Nacht, Herr Thießen. Und danke auch schön. Für alles!“

      * * *

       11

      Es ist dunkel in der Zelle. Durch das Fenster kommt Mondlicht. Kufalt stellt sich auf sein Bett und zieht sich an der Blechblende hoch. Nun kann er mit einem Knie auf dem schmalen Fenstersims ruhen und sieht oben, unter der Decke, in die Nacht.

      Ja, es ist still. Wenn sich auch einmal ein Hund rührt und ein Schritt laut wird auf dem Hof von der Nachtwache, darum ist die Nacht nur noch stiller.

      Nein, keine Sterne. Auch den Mond kann er nicht sehen, nur seine Helligkeit ist in der Luft. Die dunklen, schweren, langen Schatten da, das sind die Mauern, und was sich kuglig über ihnen wölbt, das sind die Kastanien. Die blühen jetzt, aber man kann sie nicht riechen. Kastanien riechen nur von ganz nah und dann riechen sie unangenehm, wie Samen.

      Aber sie werden noch blühen wenn er draußen ist. Er kann unter ihnen gehen, wenn sie blühen, er kann hingehen, wenn sie voller werden im Grün, wenn die ersten gelben Blätter kommen, wenn die Früchte platzen, wenn sie kahl sind, wenn sie wieder blühen – immer kann er zu ihnen gehen, überallhin kann er gehen, wie er will, wann er will.

      Es ist nicht auszudenken. Fünf Jahre lang hat er viele hundert Male hier unter der Decke gehangen, immer in Gefahr, mit der Blende herunterzurasseln oder vom Wachtmeister erwischt zu werden, nun braucht er das alles nicht mehr.

       ‚Der Thießen hat gut quasseln’, denkt er. ‚Der versteht von nichts mehr was, so ein Wachtmeister hat ja lebenslänglich. Und das mit seinen zwei Söhnen. Ich weiß ganz gut, der Jüngste hat lange Finger gemacht und säße auch hier, wenn der Vater nicht alles abbezahlte. Viel Gehalt hat er auch nicht.’

      Er hat Lust auf eine Zigarette und klettert hinunter. Während er im Dunkeln der Zelle nach den Hosen und dem Tabak in ihnen tastet, überkommt ihn plötzlich ein Gefühl ... er bleibt stehen...

      ‚Ich will nicht mehr’, denkt es in ihm. ‚Ich will gewiss nicht mehr. Ein guter alter Mann, er ist immer nett gewesen zu allen. Es ist auch so wie draußen die Nacht, es wird dunkel, der Mond scheint, dann wird es wieder hell, es ist alles ganz einfach...’

      Er bemüht sich, klar zu werden. ‚Alle diese Schuftigkeiten, es macht es nur schwerer, es war vorher alles viel leichter, als ich noch ganz einfach in meiner Zelle saß, nichts von Schieben und Angeben wusste. Ich muss sehen, dass es wieder leichter wird. Ich komme sonst nicht durch, bin zu schwach, recht hat er. Es wird mir immer gleich alles zuviel. Man müsste irgendeinen sauberen Anfang haben, ganz gleich wie. Vielleicht gehe ich morgen doch zum Pastor.’

      Er dreht sich die Zigarette und zündet sie an. ‚Ich muss sehen, dass es geht. Ich will gleich morgen früh damit anfangen, nicht um


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