Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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Ehe du dich dessen versiehst, fühlst du auch schon, daß du deine Frau nicht mehr lieben kannst, wenn du sie auch noch so sehr achtest und verehrst. Und auf einmal steht wie aus dem Boden gewachsen eine wirkliche Liebe da, und du bist verloren, verloren!« stöhnte Stepan Arkadjewitsch niedergeschlagen und verzweifelt.

      Ljewin verzog das Gesicht zu einem Lächeln.

      »Jawohl, verloren!« fuhr Oblonski fort. »Aber was ist da zu tun?«

      »Man darf keine Kringel stehlen.«

      Stepan Arkadjewitsch lachte auf.

      »O du Moralprediger! Aber mach dir das doch nur klar: Da sind zwei Frauen: die eine kann sich nur auf ihr Recht berufen, und nach diesem Rechte steht ihr deine Liebe zu, die du ihr doch nicht zu geben vermagst; die andere bringt dir alles zum Opfer, ohne irgend etwas zu fordern. Was mußt du da tun? Wie mußt du dich verhalten? Das ist die furchtbare Tragik dieser Lage.«

      »Wenn du meine aufrichtige Meinung darüber wissen willst, muß ich dir sagen: ich glaube gar nicht, daß dabei irgendwelche Tragik vorkommen kann. Der Grund ist der: Nach meiner Ansicht dient die Liebe – oder genauer: die beiden Arten der Liebe, die, wie du dich wohl erinnerst, Plato in seinem ›Gastmahl‹ unterscheidet –, also die beiden Arten der Liebe dienen als Prüfstein für die Menschen. Manche Menschen besitzen nur für die eine, manche nur für die andere Art Verständnis. Diejenigen, die nur für die nichtplatonische Art der Liebe Verständnis besitzen, haben kein Recht, von Tragik zu reden. Bei dieser Art der Liebe kann überhaupt keine Tragik vorkommen. Da heißt es: ›Ich danke ergebenst für das genossene Vergnügen und empfehle mich‹, und damit ist die Sache erledigt. Bei der platonischen Liebe aber ist Tragik deswegen unmöglich, weil bei einer solchen Liebe alles klar und rein ist und weil ...«

      In diesem Augenblicke fielen ihm aber seine eigenen Sünden und der Seelenkampf ein, den er durchgemacht hatte. Und er fügte ohne Zusammenhang mit dem, was er vorher gesagt hatte, hinzu:

      »Es mag übrigens auch sein, daß du recht hast. Sehr möglich ... Aber ich weiß es nicht, ich weiß es schlechterdings nicht.«

      »Ja, siehst du wohl«, erwiderte Stepan Arkadjewitsch, »du bist ein durchaus einheitlicher Mensch. Das ist an dir ein Vorzug und zugleich ein Mangel. Du selbst bist ein einheitlicher Charakter und möchtest nun, daß sich auch das ganze Leben aus einheitlichen Erscheinungen zusammensetze, – aber das geht eben nicht an. Da verachtest du zum Beispiel unsere Tätigkeit im Staatsdienste, weil du möchtest, daß diese Tätigkeit sich stets mit ihrem Ziele im Einklang befinde; aber das ist nicht möglich. Du möchtest auch, daß die Tätigkeit eines jeden einzelnen Menschen immer ein bestimmtes Ziel habe und daß Liebe und Eheleben immer zusammenfielen; aber das ist unmöglich. Die ganze bunte Mannigfaltigkeit, der ganze Reiz, die ganze Schönheit des Lebens setzt sich aus Licht und Schatten zusammen.«

      Ljewin seufzte und erwiderte nichts darauf. Er hatte seine eigenen Gedanken und hörte nicht auf das, was Oblonski sagte.

      Und auf einmal fühlten sie beide, daß, obgleich sie Freunde waren und obgleich sie zusammen gespeist und Wein getrunken hatten, was sie eigentlich einander hätte noch näherbringen müssen, daß dennoch ein jeder von ihnen nur an sich selbst dachte und sich um den anderen herzlich wenig grämte. Oblonski hatte schon mehr als einmal diese Erfahrung gemacht, daß nach einem gemeinsamen guten Mittagessen statt der zu erwartenden Annäherung vielmehr eine Entfremdung eintritt, und wußte, was in solchen Fällen zu tun sei.

      »Die Rechnung!« rief er und begab sich dann in den anstoßenden Saal, wo er auch sogleich einen ihm bekannten Adjutanten traf und sich mit ihm in ein Gespräch über eine Schauspielerin und ihren Liebhaber einließ. Und bei dieser Unterhaltung mit dem Adjutanten fühlte Oblonski sofort, daß ihm leichter zumute wurde und er sich von dem Gespräche mit Ljewin erholte, der ihn immer zu einer übermäßigen geistigen und seelischen Anspannung veranlaßte.

      Der Tatar erschien mit der Rechnung im Betrage von sechsundzwanzig Rubeln und einigen Kopeken, wozu dann noch das Trinkgeld kam; aber Ljewin, der als Bewohner des platten Landes zu anderer Zeit einen gewaltigen Schreck über eine Rechnung bekommen hätte, bei der auf sein Teil vierzehn Rubel entfielen, beachtete dies jetzt gar nicht, bezahlte und begab sich nach Hause, um sich umzukleiden und dann zu Schtscherbazkis zu fahren, wo sich sein Schicksal entscheiden sollte.

      12

      Die Prinzessin Kitty Schtscherbazkaja war achtzehn Jahre alt; es war der erste Winter, in dem sie Gesellschaften besuchte. Ihre Erfolge auf diesem Gebiete waren größer als die ihrer beiden älteren Schwestern, sogar größer, als die Fürstin erwartet hatte. Nicht nur, daß die tanzenden jungen Männer auf den Moskauer Bällen fast sämtlich in Kitty verliebt waren, sondern es hatten sich auch gleich im ersten Winter zwei ernstliche Bewerber für sie gefunden: Ljewin und unmittelbar nach dessen Abreise Graf Wronski.

      Ljewins Erscheinen in der Moskauer Gesellschaft zu Anfang des Winters, seine häufigen Besuche und seine augenscheinliche Liebe zu Kitty gaben Kittys Eltern den ersten Anlaß, miteinander ernsthaft über die Zukunft ihrer Tochter zu reden, wobei es zwischen dem Fürsten und der Fürstin zum Streit kam. Der Fürst stand auf Ljewins Seite und erklärte, er könne sich für Kitty gar keinen besseren Mann wünschen. Die Fürstin dagegen äußerte sich nach der den Frauen eigenen Gewohnheit, den Kernpunkt einer Frage zu umgehen, dahin, daß Kitty noch zu jung sei, daß Ljewin durch nichts ernste Absichten erkennen lasse, daß Kitty keine Neigung für ihn empfinde, und was es an derartigen Gründen mehr gab; ihren Hauptgrund aber sprach sie nicht aus, daß sie nämlich für ihre Tochter auf eine bessere Partie hoffe, daß Ljewin ihr unsympathisch sei und daß sie ihn in seinem ganzen Wesen nicht verstehe. Als nun Ljewin urplötzlich abreiste, freute sich die Fürstin darüber geradezu und sagte triumphierend zu ihrem Manne: »Siehst du wohl, ich hatte recht!« Und als darauf Wronski erschien, war sie noch viel mehr erfreut, da sie sich immer mehr in ihrer Meinung bestärkt sah, daß Kitty nicht etwa nur eine gute, sondern eine glänzende Partie machen müsse.

      Nach der Anschauung der Mutter waren Wronski und Ljewin gar nicht miteinander zu vergleichen. Der Mutter mißfielen an Ljewin sowohl seine seltsamen, schroffen Urteile auf vielen Gebieten wie auch sein unbeholfenes Wesen im gesellschaftlichen Verkehr, das nach ihrer Annahme auf Stolz beruhte; dann sein nach ihren Begriffen ungebildetes Leben auf dem Lande, wo er nur mit dem Vieh und den Bauern zu tun habe; ihr starkes Mißfallen erregte es auch, daß er, der doch in ihre Tochter verliebt war, anderthalb Monate lang bei ihnen im Hause verkehrte und dabei anscheinend irgend etwas abwartete und Beobachtungen anstellte, als ob er fürchte, der Familie durch einen Heiratsantrag eine gar zu große Ehre anzutun, und endlich, daß er kein Verständnis dafür hatte, daß er die Pflicht habe, sich zu erklären, wenn er so auffällig in einem Hause verkehrte, wo ein heiratsfähiges junges Mädchen war. Und dann war er auf einmal abgereist, ohne sich erklärt zu haben. ›Es ist nur recht gut, daß er so wenig Einnehmendes hat, daß Kitty sich nicht hat in ihn verlieben können‹, dachte die Mutter.

      Wronski hingegen entsprach durchaus allen Anforderungen der Mutter. Er war sehr reich, klug, angesehen, auf bestem Wege zu einer glänzenden militärisch-höfischen Laufbahn und eine bezaubernde Persönlichkeit. Etwas Besseres zu wünschen, war einfach unmöglich.

      Wronski machte auf den Bällen Kitty offenkundig den Hof, tanzte viel mit ihr und verkehrte im Hause; somit war an der Ernsthaftigkeit seiner Absichten nicht zu zweifeln. Aber trotzdem befand sich die Mutter diesen ganzen Winter über in arger Unruhe und Aufregung.

      Bei der eigenen Verheiratung der Fürstin vor dreißig und etlichen Jahren hatte eine Tante das Amt der Vermittlerin übernommen. Der Freier, über den man schon vorher alles Erforderliche in Erfahrung gebracht hatte, erschien im Hause, nahm das junge Mädchen in Augenschein, um das er sich bewerben wollte, und wurde seinerseits prüfend betrachtet; die vermittelnde Tante erhielt von einer jeden Partei Mitteilung über den empfangenen Eindruck und gab diese Mitteilung an die andere Partei weiter; der Eindruck war auf beiden Seiten gut; darauf wurde an einem festgesetzten Tage den Eltern der erwartete Antrag gemacht und von ihnen angenommen. Alles war sehr glatt und einfach vonstatten gegangen. Wenigstens schien es jetzt der Fürstin so. Aber bei ihren eigenen Töchtern mußte


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