Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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Zeit nach Moskau gekommen? Sie sind ja wohl bei der Kreisverwaltung tätig und können darum nicht lange fort?«

      »Nein, Fürstin, bei der Kreisverwaltung bin ich nicht mehr tätig«, antwortete er. »Ich bin auf ein paar Tage hergekommen.«

      ›Es muß etwas Besonderes mit ihm los sein‹, dachte die Gräfin Northstone, der sein ernster, strenger Gesichtsausdruck auffiel. ›Er läßt sich heute gar nicht zu einer seiner gewohnten Auseinandersetzungen verleiten. Aber ich werde ihn schon herauslocken. Es macht mir das größte Vergnügen, ihn in Kittys Gegenwart zum Narren zu halten. Das will ich auch heute tun.‹

      »Konstantin Dmitrijewitsch«, redete sie ihn wieder an, »bitte, erklären Sie mir doch einen wunderlichen Fall, der uns vorgekommen ist; Sie verstehen sich ja auf all diese Dinge: Auf unserem Gute im Gouvernement Kaluga haben die sämtlichen Bauern mit ihren Weibern alles, was sie besaßen, vertrunken und bezahlen uns jetzt nichts. Wie soll man das auffassen? Sie loben ja die Bauern immer so sehr.«

      In diesem Augenblick trat noch eine Dame ins Zimmer, und Ljewin stand auf.

      »Entschuldigen Sie mich, Gräfin, aber ich verstehe wirklich nichts davon und kann Ihnen nichts darüber sagen«, entgegnete er und blickte zu einem Offizier hin, der hinter der Dame eintrat.

      ›Das muß Wronski sein‹, dachte Ljewin und schaute, um Gewißheit zu haben, zu Kitty hin. Diese hatte den Eintretenden bereits erblickt und sah sich jetzt nach Ljewin um. Und aus diesem einen Blicke ihrer unwillkürlich aufleuchtenden Augen erkannte Ljewin, daß sie diesen Mann liebte, und erkannte es mit solcher Sicherheit, wie wenn sie es ihm mit Worten mitgeteilt hätte. Aber was für ein Mann war dieser Wronski?

      Jetzt konnte Ljewin, mochte es nun wohlgetan sein oder nicht, sich nicht dazu entschließen, wegzugehen; er mußte feststellen, was für ein Mann das war, den sie lieben konnte.

      Es gibt Leute, die, wenn sie mit jemandem zusammentreffen, der auf irgendeinem Gebiete ihr glücklicher Nebenbuhler ist, sofort geneigt sind, von allem, was Gutes an ihm ist, die Augen wegzuwenden und nur das Schlechte zu sehen. Und wiederum gibt es Leute, die in ganz entgegengesetztem Verfahren eifrig danach verlangen, an diesem glücklichen Nebenbuhler diejenigen Eigenschaften herauszufinden, durch die er ihnen den Rang abgelaufen hat, und die an ihm nur das Gute suchen, mag ihnen auch der Schmerz fast das Herz abdrücken. Ljewin gehörte zu dieser Art. Und es wurde ihm nicht schwer, bei Wronski das Gute und Anziehende herauszufinden. Es sprang ihm sofort in die Augen. Wronski war ein Mann von mäßiger Größe, kräftig gebaut, brünett, mit einem hübschen, gutmütigen Gesichte, das einen außerordentlich ruhigen, festen Ausdruck trug. In seinem Gesicht und an seiner ganzen Gestalt, von dem kurz geschorenen dunklen Haar und dem frisch rasierten Kinn bis zu der bequem sitzenden nagelneuen Uniform, war alles an ihm einfach und zugleich vornehm. Wronski ließ zunächst die mit ihm ziemlich gleichzeitig eingetretene Dame zur Fürstin hingehen und trat dann selbst zu dieser und darauf zu Kitty heran.

      In dem Augenblicke, als er zu ihr trat, leuchtete in seinen Augen eine besondere Zärtlichkeit auf; mit einem ganz leisen, glücklichen, bescheiden triumphierenden Lächeln (so schien es Ljewin) beugte er sich in respektvoller, ruhiger Bewegung zu ihr hinab und streckte ihr seine kleine, aber breite Hand entgegen.

      Nachdem er alle Anwesenden begrüßt und mit jedem ein paar Worte gesprochen hatte, setzte er sich hin, ohne Ljewin auch nur angesehen zu haben, der seinerseits kein Auge von ihm verwandte.

      »Gestatten die Herren, daß ich Sie miteinander bekannt mache«, sagte die Fürstin, auf Ljewin weisend. »Konstantin Dmitrijewitsch Ljewin, Graf Alexei Kirillowitsch Wronski.«

      Wronski stand auf, blickte Ljewin freundlich in die Augen und drückte ihm die Hand.

      »Ich sollte ja wohl in diesem Winter einmal mit Ihnen zusammen an einem Diner teilnehmen«, sagte er mit seinem offenen, ungekünstelten Lächeln. »Aber Sie waren ganz unerwartet wieder aufs Land gereist.«

      »Konstantin Dmitrijewitsch verachtet und haßt die Stadt und uns Städter«, bemerkte die Gräfin Northstone.

      »Meine Worte müssen auf Sie einen starken Eindruck gemacht haben, da Sie sie so gut im Gedächtnis bewahren«, erwiderte Ljewin, errötete aber sofort, da ihm einfiel, daß er dasselbe schon vorhin gesagt hatte.

      Wronski blickte Ljewin und die Gräfin Northstone an und lächelte.

      »Sie leben immer auf dem Lande?« fragte er. »Ich denke mir, im Winter ist es da recht langweilig.«

      »Wenn man seine Tätigkeit hat, ist es nicht langweilig; auch langweile ich mich nie, wenn ich mit mir allein bin«, versetzte Ljewin in etwas scharfem Tone.

      »Ich liebe das Landleben«, sagte Wronski, der Ljewins Ton wohl bemerkte, aber tat, als ob ihm nichts auffiele.

      »Aber Sie würden sich hoffentlich nicht dazu verstehen, immer auf dem Lande zu leben, Graf?« fragte die Gräfin Northstone.

      »Das weiß ich nicht. Auf längere Zeit habe ich es noch nicht versucht. Ich habe einmal eine seltsame Empfindung durchgemacht«, fuhr er fort. »Ich habe mich nach dem Landleben, nach einem russischen Dorfe mit seinen Bauern und Bastschuhen nirgends so gesehnt wie in Nizza, wo ich mit meiner Mutter einen Winter zubrachte. Nizza ist ja an und für sich langweilig, wie Sie wissen, auch Neapel und Sorrent; schön sind sie nur bei kurzem Aufenthalt. Und gerade dort kommt einem besonders lebhaft die Erinnerung an Rußland und besonders an unsere Dörfer. Sie sind gleichsam ...«

      Während er sprach, wandte er sich sowohl an Kitty wie auch an Ljewin und ließ seinen ruhigen, freundlichen Blick von einem zum anderen gleiten; er redete offenbar, wie es ihm gerade in den Sinn kam.

      Als er bemerkte, daß die Gräfin Northstone etwas sagen wollte, hielt er inne, ohne den begonnenen Satz zu Ende zu bringen, und hörte ihr aufmerksam zu.

      Das Gespräch stockte keinen Augenblick, so daß die alte Fürstin, die für den Fall etwa eintretenden Stoffmangels immer zwei schwere Geschütze in Reserve hielt, den Vergleich der klassischen Bildung mit der Realbildung und die allgemeine Wehrpflicht, diese nicht ins Treffen zu bringen brauchte und die Gräfin Northstone keine Gelegenheit fand, Ljewin aufzuziehen.

      Ljewin wünschte wohl, sich an dem allgemeinen Gespräche zu beteiligen, war aber nicht dazu imstande. Jeden Augenblick sagte er sich: ›Jetzt will ich gehen‹, ging aber doch nicht, als wenn er noch auf etwas wartete.

      Es war auf Tischrücken und Geister die Rede gekommen, und die Gräfin Northstone, die an den Spiritismus glaubte, begann von wunderbaren Vorgängen zu erzählen, die sie mit angesehen habe.

      »Ach, Gräfin, zu den Leuten müssen Sie mich jedenfalls einmal mit hinnehmen, ich bitte Sie um alles in der Welt, nehmen Sie mich mit hin! Ich habe noch nie etwas Übernatürliches gesehen, obgleich ich überall danach suche«, sagte Wronski lächelnd.

      »Nun gut, also nächsten Sonnabend«, antwortete die Gräfin Northstone. »Wie steht es mit Ihnen, Konstantin Dmitrijewitsch, glauben Sie daran?« wandte sie sich an Ljewin.

      »Warum fragen Sie mich? Sie wissen ja, was ich sagen werde.«

      »Aber ich möchte gern Ihre Ansicht hören.«

      »Meine Ansicht ist nur die«, antwortete Ljewin, »diese tanzenden Tische beweisen, daß die sogenannte gebildete Gesellschaft in geistiger Hinsicht nicht höher steht als die Bauern. Die Bauern glauben an den bösen Blick und an Behexung des Viehs und an Liebeszauber, und wir ...«

      »Also Sie glauben nicht daran?«

      »Ich kann nicht daran glauben, Gräfin.«

      »Aber wenn ich es doch mit eigenen Augen gesehen habe?«

      »Die Bauersfrauen erzählen auch, daß sie mit eigenen Augen Hauskobolde gesehen haben.«

      »Sie meinen also, daß ich die Unwahrheit sage?«

      Sie lachte ärgerlich und gereizt.

      »Nicht doch, Mascha; Konstantin Dmitrijewitsch sagt doch nur, daß er nicht daran


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