Reichsgräfin Gisela. Eugenie Marlitt

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Reichsgräfin Gisela - Eugenie Marlitt


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ihrem Lehnstuhl halb erhoben und streckte ihm abwehrend die Hand entgegen. Dieser durch die Krankheit so furchtbar entstellte Frauenkörper, dem die entfesselte Leidenschaft für Augenblicke den Anschein von Selbständigkeit zurückgab, hatte etwas wahrhaft Gespenstisches.

      »Nicht einen Schritt weiter, Baron Fleury!« gebot sie. »Wissen Sie, über wessen Schwelle Sie gegangen sind, und muß ich Ihnen wirklich erst sagen, daß dies Haus keinen Raum für Sie hat?«

      Welcher Modulation war diese heisere Stimme immer noch fähig! Die unsägliche Verachtung in den letzten Worten klang förmlich vernichtend. Der Angeredete blieb auch, sichtlich betroffen durch die Erscheinung, einen Augenblick wie angewurzelt stehen, allein dann ließ er die Hand des Kindes los und ging festen Schrittes auf die Kranke zu. Sie war unfähig, länger in der angenommenen Stellung zu verharren, und sank kraftlos zurück; der energische Ausdruck aber blieb sowohl in ihren Zügen als in der gebieterischen Handbewegung, mit der sie nach der Tür zeigte.

      »Gehen Sie, gehen Sie!« rief sie heftig. »Sie brauchen ja nur vor die Tür zu treten, um auf höchsteigenem Grund und Boden zu stehen... Die freiherrlich Fleurysche Forstverwaltung würde es jedenfalls als Waldfrevel strafen, wollte ich auch nur über einen Grashalm neben den alten Mauern dieses Hauses verfügen – aber das Dach über meinem Haupte ist noch mein, unbestritten mein, und hier wenigstens habe ich die herzstärkende Genugtuung, Sie hinausweisen zu können!«

      Baron Fleury wandte sich mit einer sehr ruhigen Bewegung nach der mitgekommenen Dame um, die sprachlos vor Erstaunen noch an der Tür stand.

      »Führen Sie Gisela hinaus, Frau von Herbeck!« sagte er mit vollkommen unbewegter Stimme zu ihr. Diese völlige Gelassenheit erschien wahrhaft imponierend gegenüber der Leidenschaftlichkeit der Blinden. Das war aber auch ein Männerkopf, dem schon die Form es leicht machte, das Gepräge vornehmer Ruhe zu bewahren. Die ziemlich tief über die Augäpfel herabhängenden Lider verschleierten den Blick und machten ihn unergründlich, und die etwas gestreckte, leicht gebogene Nase saß fest, wie gemeißelt in dem Gesicht, das, wenn auch nicht gerade fleischig, doch das Spiel der einzelnen Muskeln nicht scharf hervortreten ließ.

      Frau von Herbeck verließ schleunigst das Zimmer. Drüben klaffte Sieverts Tür, ein heller Lichtschein fiel heraus auf die Steinfliesen der Halle; Baron Fleury sah zu seiner Beruhigung, wie die Dame mit dem Kind in die kleine behagliche Stube trat und die Tür hinter sich schloß.

      »Wer hat nach mir gefragt, als ich in Nacht und Elend gestoßen worden bin?« fuhr die Kranke in wilder Klage fort, nachdem die Schritte der Hinausgegangenen verhallt waren. »Wissen Sie, was es heißt, Baron Fleury, ein halbes Leben lang mit geschlossenem Mund zu dulden, ein ruhiges Gesicht zu zeigen, während das stolze, heiße Herz tausendfach den Martertod stirbt?... Wissen Sie, was es heißt, wenn eine freche Hand uns ein Kleinod stiehlt, an das sich jede Faser unseres innersten Lebens liebend klammert – wenn das geliebteste Auge sich tödlich kalt von uns abwendet, um glühend und verlangend auf einem tiefverhaßten Gesicht zu ruhen?... Wissen Sie, was es heißt, den ehemals stolzen, festen Geist eines Mannes Schritt für Schritt sinken zu sehen, ihn als Spielball in ehrlosen Händen zu wissen, während er uns für jeden Versuch, ihn zu retten, erbittert mißhandelt wie seinen grimmigsten Feind?... Das alles frage ich freilich vergebens – was weiß Baron Fleury von wahrer Hingebung und Tugend!« unterbrach sie sich selbst mit unsäglicher Bitterkeit und wandte das Gesicht weg von ihm, der bewegungslos neben ihr stand. Er hatte die Arme untergeschlagen und sah wieder auf die Blinde mit der Geduld und Nachsicht, oder auch der Überlegenheit des Stärkeren. Nicht ein Zug seines Gesichtes veränderte sich; die langen Lider lagen tief über den Augen, so daß sich die schwarzen Wimpern wie ein Schatten über die bleichen Wangen breiteten. Eine solche Stirne, wie sie dort unter dem dunkellockigen Haarstreifen leuchtete, so ehern und hoch getragen, hat nur das schuldlose Gewissen oder die vollendete Schurkerei.

      »Für eines aber wird Euer Exzellenz das Verständnis nicht fehlen!« fuhr Frau von Zweiflingen mit erhöhter Stimme in unbeschreiblicher Ironie fort. »Wissen Sie, wie es tut, wenn man auf der Sonnenhöhe der Gesellschaft, inmitten von Glanz und Fülle, nach jeder Richtung hin bevorrechtet, gelebt hat und plötzlich zu Armut und Entbehrung verurteilt wird?... Davon weiß das Geschlecht der Fleury ein Lied zu singen... Ha, ha, ha! Frankreich hat stets gemeint, Deutschland müsse nach seiner Pfeife tanzen – deshalb war es ohne Zweifel nur Konsequenz, wenn der geflüchtete Pair von Frankreich, Ihr Herr Vater, schließlich zur Geige griff und Deutschlands Jugend tanzen ließ, um – sein Leben zu fristen!«

      Das traf – das war eine wunde Stelle in der erzgepanzerten Brust des Gegners. In die marmorglatte Fläche der Stirne gruben sich zwei tiefe finstere Falten, die verschränkten Arme lösten sich jählings, und wie unwillkürlich hob der Gereizte drohend die Rechte über dem Haupt der Blinden; aber in diesem Augenblick legten sich zwei heiße, weiche Hände beschwörend um seine Linke.

      Jutta hatte sich bis dahin, starr vor Entsetzen, in eine dunkle Fensternische gedrückt. Der Mann dort mit der königlichen unanfechtbaren Haltung war der gefürchtete, allmächtige Minister des Landes. Sie hatte ihn nie gesehen, allein sie wußte, daß ein Federstrich seiner Hand, ein Wort aus seinem Munde genügte, über das Wohl und Wehe Tausender, wie über das des einzelnen unwiderruflich zu entscheiden; der konstitutionellen Staatseinrichtung zum Hohn regierte er mit der ganzen Rücksichtslosigkeit und Energie des Selbstherrschers – und ihn wagte die alte blinde Frau von ihrer Schwelle zu weisen, ihn überschüttete sie mit den bittersten Schmähungen, die er ruhig und hoheitsvoll hinnahm, solange sie ihm persönlich galten! Alle Gefühle des jungen Mädchens empörten sich gegen die Mutter; es fiel ihr nicht ein, zu erwägen, inwiefern die leidenschaftliche alte Frau in ihrem Rechte sein könne – für gewisse Naturen sind die Mächtigen stets in ihrem Recht, sie bekämpfen jede Auflehnung dagegen meist mit Erbitterung als das Unrecht, und daß die Naturen in der Mehrzahl sind, beweist uns die Weltgeschichte schlagend in der oft bis zur äußersten Grenze gehenden Duldsamkeit der Völker.

      Diesem Zuge folgte denn auch die junge Dame, indem sie aus ihrer Ecke huschte und die Hand des beleidigten Mannes erfaßte. Welch ein verführerischer Zauber ergoß sich über die jugendliche Gestalt, als sie, das ideal schöne Haupt in den Nacken zurückgeworfen, angstvoll zu dem Geschmähten aufsah und seine Hand flehend gegen ihre Brust zog!... Die gehobene Rechte des Ministers sank bei dieser Berührung sofort nieder, er wandte den Kopf und hob die langen, schläfrigen Lider – welch ein Blick!... Er fiel wie ein Feuerregen in die Seele des jungen Mädchens. Diese glutvollen, für einen Moment völlig entschleierten Augen mit einem rätselhaften Ausdruck fest auf das erglühende Mädchengesicht geheftet, lächelte Baron Fleury und zog langsam die bebenden kleinen weißen Hände an seine Lippen.

      Und daneben saß die blinde Mutter und erwartete in atemloser Spannung eine erbitterte Antwort, einen endlichen Ausbruch der Gereiztheit und mit ihm die Genugtuung, ihren Todfeind verwundet zu haben – umsonst, nicht ein Wort erfolgte; und er stand doch neben ihr, sie hörte, wie er sich bewegte, ja, sie hatte soeben mit Abscheu seinen über ihr Gesicht hinwehenden Atem gefühlt – dieses beharrliche, verächtliche Schweigen versetzte sie in eine unglaubliche Aufregung.

      »Ja, ja, die Fleury haben die Macht des Wechsels in seiner ganzen Höhe und Tiefe durchgekostet!« hob sie nach einer momentanen Pause bitter auflachend wieder an. »Durch viele Generationen hindurch werden sie zu denen gezählt, die mittels aristokratischer Fußtritte und Peitschenhiebe das französische Volk allmählich zur Revolution getrieben haben... Und nach so viel Grausamkeit und unzerstörbarem Übermut feige Flucht über den Rhein! Und der letzte gerettete Rest des Vermögens, alle am Hofe zu Versailles gelernte Beredsamkeit wird aufgeboten, um das Nachbarvolk gegen die eigene Nation zu hetzen – fremde Hände sollten das Opfer knebeln und binden, damit es wieder geduldig und widerstandslos zu den Füßen der Herren liege – Schmach über diese edlen Patrioten!« –

      »Bleiben Sie bei der Sache, gnädige Frau!« unterbrach der Minister die Sprechende mit kalter Ruhe. »Ich habe Ihnen Zeit und Muße gelassen, einen persönlichen Haß, den Sie gegen mich zu hegen scheinen, zu begründen – statt dessen verirren Sie sich auf das Gebiet kleinlicher Rache, indem Sie meine schuldlose Familie schmähen... Wollen Sie die Gewogenheit haben, mir zu erklären, was Sie berechtigt, eine solche Sprache gegen mich zu führen!«


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