2034. Stefan Koenig

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2034 - Stefan Koenig


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Spiel, die jeder kennt – ja, ER war plötzlich wieder da. ER war das Ergebnis jener unsäglichen Corona-Pandemie. Spannend war die Frage, wo er sich feiern lassen würde – bei Alice oder bei Karl?

      Diktatoren lieben es, ihre Wiederauferstehung in anderen Gewändern zu zelebrieren. Und die dazu gehörigen feschen Diktaturen verbrämen sich in neuen Staatsformen (möglichst digital) und wollen nicht als Diktaturen erkannt werden. Das alles ist verständlich. (Verkleidete Karnevalisten möchten bei einem vereinsinternen One-Night-Stand auch nicht immer erkannt werden – Alimente, Alimente!). Und wenn ich völlig unbefangen zurückblicke, so begann alles zunächst ziemlich demokratisch.

      Wenn ich Ihnen, meine verehrten Leserinnen und Leser, alles der Reihe nach erzählen soll, dann muss ich wohl oder übel bei jenem Übel aus Wuhan anfangen. Vielleicht aber liegt aller Anfang, gewissermaßen die Geburt der Pandemie, in den Köpfen einiger weltbeherrschender Multimilliardäre. Dann würde mich der Erzählstrang erst einmal in die Schweiz führen. Schweizer Käse? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.

      Sie bemerken sicher: Ich befinde mich an einer Weiche und bin bereits jetzt in der misslichen Lage, diese Weiche stellen zu müssen. Die Wege scheinen sich zu trennen – warten wir ab, ob sie wieder zusammenfinden. Verworrene Wege? … Okay, geben Sie sich einen kleinen Ruck und gehen Sie mit mir diese – vielleicht weite, vielleicht aber auch kurzweilige – Strecke mit. Immer in der sprichwörtlichen Hoffnung, dass alle Weg nach Rom führen … oder eben in die Schweiz.

      Was Sie unbedingt noch wissen sollten …

      Ich habe mir erlaubt, Personen der Zeitgeschichte mit ihren Klarnamen zu benennen. Nur SEINEN Namen habe ich nicht verwenden können, weil er mir bis zum heutigen Tag einfach entfallen ist. SEIN Vorname begann mit »A« und klang so ähnlich wie Arnulf, Alfons oder Arthur. SEIN Nachname begann mit »Hit« oder »Höt« oder »Hät« und könnte Hätler gelautet haben. Aber – ehrlich gesagt – ich weiß es nicht mehr.

      In den Fällen, in denen es sich nicht um Personen der Zeitgeschichte handelt, tauschte ich die Namen aus. Wer immer sich wiedererkennen mag, dem sei es unbenommen, sich in die Stiefel einer beliebigen Romanfigur zu stellen. Ich selbst nenne mich so, wie mich mein Autorenname ausweist. Personen, die in diesem Roman nicht vorkommen, obwohl es ihnen vielleicht eine Ehre gewesen wäre, mögen mir verzeihen. Weniger bekannte Personen, die mir gerade deshalb nahe stehen, habe ich verfremdet.

      Die hier geschilderte Geschichte gehört zweifellos in die offizielle Geschichtsschreibung und ist somit eindeutig wahr – selbst dann, wenn die Geschichte eines Tages von regierungshörigen Historikern auf Geheiß der Machthaber umgeschrieben werden sollte. Was hier geschrieben steht, ist unverfälschte Zeitgeschichte. Sie ist aus der unmittelbaren Wirklichkeit geschöpft und allein der schöpferischen Suche nach dem Sinn einer Pandemie geschuldet, von denen manche Querulanten vermuten, sie sei erfunden – was ich übrigens sehr bezweifele. Falls Sie die hier geschilderte und heute erlebte Zeitgeschichte so (oder so ähnlich) wie ich empfinden, dann befinden Sie sich auf der gesegneten Seite der Geschichtsschreibung. Natürlich hoffe ich, dass Sie dabei nicht auf dem Seziertisch landeten, wie es mir passierte.

      Und jetzt zur Sache!

      Es ging um alles. Wenn es um das eigene Leben geht, es sozusagen auf dem Spiel steht, erlebt man eine schauerliche Zitterpartie. Sie können gerne aus Sympathie mitzittern. Der Ehrlichkeit halber aber muss ich Ihnen gestehen: Es ist mir egal.

      Jetzt ist es mir egal, völlig egal.

      Kurz bevor mich der Pathologe aufschlitzte

      Ich liege da; jedenfalls habe ich das unbestimmte Gefühl, dass ich liege. Aber ich weiß es nicht mit hundertprozentiger Gewissheit. Ich habe das Gefühl, dass meine Augen offen sind, doch selbst das könnte ich nicht beschwören, denn es ist so dunkel, dass ich einen Moment lang glaube (wie lange genau, das weiß ich nicht), ich sei vielleicht noch immer bewusstlos. Dann wird mir langsam klar, dass Bewusstlose nicht solche Gefühle haben können. Ein Fetzen Erinnerung dringt zu mir durch und behauptet, das Unglück habe mit der Diskussion um die Corona-Impfung begonnen.

      Es stimmt ja auch, noch vor kurzem hatte ich mit meinem Arbeitskollegen Ben (wir arbeiten im gleichen Verlag im gemeinsamen Büro, aber ohne Maske) das sehr spezielle Thema diskutiert: Wer kann wen anstecken? Wer ist für wen gefährlich? Sollten wir uns auf drei Metern Entfernung acht Stunden am Tag gegenüber sitzen und uns unter einer widerlichen Maske bei der Arbeit abquälen?

      Kein einfaches Thema: Sollte man das Virus mit einem unwirksamen Impfstoff, den man alle paar Wochen neu spritzen musste, gewissermaßen mit einer Art Dauerimpfschleife, bekämpfen? Oder sollte man auf die Eigenimmunisierung vertrauen, nachdem die erste und aggressivste Virusvariante durch war? Zu letzterem gab es eine Menge länderspezifischer Beispiele. Aber weder Ben noch ich hatten damals das Bedürfnis, uns mit dieser Frage als Hobbyforscher hervorzutun und das Laien-Spiel der »Alleswisser« auf Social Media mitzuspielen.

      Und es interessiert mich im Moment auch wirklich nicht. Im Moment habe ich das Gefühl, mich durchs Dunkel zu bewegen, von einem leisen rhythmischen Geräusch begleitet, das nur ein quietschendes Rad sein kann.

      Ich bin ziemlich sicher, dass ich mich ohne mein Zutun bewege. Und ich spüre mich; spüre meinen Körper von der rasierten Glatze bis zu den pedikürten kleinen Fußzehen. Ich glaube, etwas rundum riecht nach Gummi oder Vinyl – und dieser Geruch rollt mit mir. Das ist keine Bewusstlosigkeit; meine Empfindungen sind zu echt, um ein Traum zu sein.

      Wo also bin ich?

      Was passiert mit mir?

      Bin ich der, den ich persönlich kenne, wenn ich noch in den Spiegel schauen könnte?

      Seien Sie, verehrte Leser, bitte in den kommenden Minuten tapfer. Zumindest Sie sollten unerschrocken und bei Bewusstsein bleiben.

      Wenigstens Sie!

      Sie wissen, was auch ich weiß: Ich liege im Dunkeln und rolle und glaube, ich sei bewusstlos. Dann dämmert mir langsam, dass Bewusstlose nicht das Gefühl haben, sich durchs Dunkel zu bewegen, von einem leisen, rhythmischen Geräusch begleitet, das nur ein quietschendes Rad sein kann. Das idiotische Quietschen jenes dämlichen Rades verstummt, und ich höre plötzlich auf, mich zu bewegen. Der Gummigeruch bekommt eine zweite Dimension und wird als Knisterton hörbar. Kann so etwas sprechen? Oder ist das eine menschliche Stimme?

      Stimme Eins: „Wohin soll er?“

      Keine Antwort. (Versinkt jetzt mein Hörorgan in die besagte Bewusstlosigkeit?)

      Nach langer Pause, Stimme Zwei: „In die 508, glaub‘ ich ...“ Erneute Pause, jedoch nicht so lange wie zuvor, dann: „Ja, doch, Tiefgeschoss, die Fünfhunderter-Abteilung.“

      Ich werde wieder in Bewegung gesetzt, diesmal etwas langsamer. Da schlürfen Füße, wahrscheinlich in irgendwelchen Badelatschen, vielleicht in Clogs. Die Besitzer der Stimmen sind auch die Besitzer der Schuhe. Schon wieder halten sie inne und Stimme Eins sagt:

      „Komisch, warum für das Tiefgeschoss die Raum-Nummern aus dem fünften Stock vergeben wurden.“

      Stimme Zwei: „Weil es nur vier Stockwerke gibt, Blödmann!“

      Ich kapiere das Ganze nicht; ich höre ein Geräusch, als drücke jemand auf einen schwergängigen Knopf, dann höre ich einen dumpfen Schlag, dem ein leises Zischen folgt. Aha, eine Sicherheitstür, die mit Druckluft geöffnet wird.

      Hey, was ist hier los?, schreie ich, aber der Schrei tönt nur in mir, wahrscheinlich nur in meinem Kopf. Mein Mund bewegt sich nicht, ebenso wenig wie meine Lippen, die geschlossen bleiben, lose aufeinander liegend. Ich denke, ich kann sie fühlen – und meine bleierne Zunge, die wie eine Flunder auf dem Meeresboden meiner Mundhöhle liegt. Aber ich kann diese Flunder nicht aufscheuchen, nicht in Bewegung bringen. Trotz meiner starken Willenskraft bleibt sie einfach wie betäubt auf dem feuchten Boden und rührt sich nicht.

      Das Ding,


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