2034. Stefan Koenig
Читать онлайн книгу.lacht«. Ich jedenfalls verpasse diese neuerliche Heiterkeit, weil mich jähes Entsetzen befällt. Wenn meine Zunge meine Luftröhre blockiert, werde ich nicht atmen können, das war der Gedanke, der mir noch eben durch den Kopf gegangen war. Aber was ist, wenn ich gar nicht atme?
Was ist, wenn ich tot bin? Was ist, wenn der Tod genauso aussieht? Man kann nicht mehr sprechen, kann nichts mehr sehen – außer schwärzestes Schwarz.
Das passt. Das passt mit schrecklicher Genauigkeit zu allem. Das unheimliche Dunkel. Der Gummigeruch – als Sanitäter bei der Bundeswehr hatte ich einmal eine Inventur für Leichensäcke durchführen müssen, natürlich ohne Leichen. Und jetzt erkenne ich dieses Gefühl, diesen Geruch plötzlich wieder.
Großer Gott, ich bin in einem Leichensack.
Genf, Frühsommer 2009
Lange ist’s her, das Jahr 2009. Die erste große Weltwirtschaftskrise nach 1929. Bumm! – das Platzen der US-Immobilienblase 2007. US-Bankencrash 2008, erweitert von Banken- und Unternehmens-Crashs in Europa in der Folgezeit. Vernichtung von Kapital in Billionenhöhe. Pleite der größten US-amerikanischen Investmentbank »Lehman Brothers« – gegründet 1848 auf dem profitablen atlantischen Geschäftsfeld des Sklavenhandels. Jetzt war alles mit einem Schlag futsch. Die Zeit zwischen 2007 und 2010 – die erste bedrohlich große Krise des Casinokapitalismus.
Es ist Frühsommer. Genf, die Hauptstadt des gleichnamigen Schweizer Kantons. Eine Stadt zwischen den Alpen und dem Juragebirge vor der spektakulären Kulisse des Mont Blanc an der Südspitze des Genfer Sees. Sitz der Weltgesundheitsorganisation, WHO, und diverser Waffenhändler-Ringe und Politkrimineller – was natürlich nichts zu sagen hat. Vielleicht aber ist die unmittelbare Nähe der Gemeinde Cologny, gelegen am östlichen Genfer Seeufer, von etwas mehr Bedeutung. Dort hat Klaus Schwab, Gründer und Präsident des Weltwirtschaftsforums, WEF, samt seiner Stiftung seinen Geschäftssitz. Und er ist sehr geschäftig. Jahr für Jahr schart er die wichtigsten und mächtigsten Wirtschaftsbosse um sich. Sie beratschlagen. Sie denken nach. Sie planen. Sie spielen Strategien durch. Alles halb so wild.
An jenem Frühsommerwochenende, an einem Samstag, kurz vor Mitternacht, geht die WHO-Chefin, Margaret Chan aus der Volksrepublik China, und WEF-Chef Schwab, ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler, schweigsam ihren Gleichgesinnten zum Schwarzen Salon voraus. Nicht alle ihrer sieben Gäste kennen sich in dem langgestreckten, stahlgestärkten Glasgebäude aus. Thierry Malleret, Schwabs strategischer Mitstreiter, ist das erste Mal dabei; Gates hatte darauf bestanden.
Der Sekretär des Präsidenten der Rockefeller Foundation, Edwin R. Embree, und der Schatzmeister dieser einflussreichen Stiftung, Mr LG Myers, haben zwar mit dem Bellagio Center – der Villa Serbelloni im italienischen Bellagio am Comer See – ein äußerst repräsentatives Konferenzzentrum, aber es herrschte von Anbeginn Einvernehmen darüber, dass das heutige Treffen in der Zentrale zukünftiger Entscheidungen hier stattzufinden habe, hier, im Haus der Weltgesundheitsorganisation.
Die neun mächtigen Entscheidungsträger treten wie Verschwörer auf, sind es aber nicht. Im Gegenteil: Ihre Ideen und Absichten sollen sehr publik werden. Sie haben eine Nachtsitzung vor sich. Und überhaupt: Es liegen nicht nur ein paar Nächte, nein, es liegen äußerst schwierige und langwierige Monate der publizistischen Kriegsführung im Namen der Weltgesundheit vor ihnen.
Der Flur liegt verlassen im Halbdunkel, und selbst im Aufzug sind die neun philanthropischen Avantgardisten – denn so verstehen sie sich – unter sich. Nicht einmal die Wachmannschaft des Sicherheitsdienstes hat auch nur einen der Gäste gesehen. Niemand der Security-Leute hat auch nur einen blassen Schimmer von diesem Vorgang. Und sie können das Treffen allein deshalb nicht wahrnehmen, weil die Gruppe das Gelände weitab vom Zentralgebäude über eine unterirdische, unauffällige Einfahrt inmitten der Genfer Altstadt, direkt neben dem zentralen Innenstadtparkhaus, erreicht hat und nun die letzten Meter zu Fuß im Inneren des Glasgebäudes zurücklegt.
Die Geheimnistuerei wäre eigentlich nicht nötig gewesen, denn man trifft sich sowieso in regelmäßigen Abständen auf Konferenzen und Meetings von Denkfabriken und Stiftungen. Doch dieses Treffen war eilbedürftig. Es war kein anderer gemeinsamer Termin frei gewesen. Und die grassierende Schweinegrippe nahm keine Rücksicht auf die Terminkalender der Mächtigen.
Der Mond scheint müde durch ein paar Wolkenfetzen in den Glaspalast hinein, und der Sommer kann sich noch nicht entschließen, ob er sich in Bewegung setzen soll. Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Gruppe hier trifft. Doch dieses Treffen ist von höchster Bedeutung. Ein mächtiger Mann geht neben Margaret Chan, die ihm die größtmögliche Aufmerksamkeit zukommen lässt, schließlich ist er – noch vor der Rockefeller Foundation – der größte Geldgeber ihrer Organisation.
Bill Gates steht mit Frau Chan seit ihrer Nominierung als Generaldirektorin der WHO im Jahr 2006 in ständiger Verbindung. Gates und seine Frau Melinda, beide beratende Mitglieder der World Health Assembly, dem WHO-»Parlament«, hatten die Wahl der Chinesin als Generalsekretärin befürwortet. Lange zuvor hatten sie bereits Kontakte zu ihr geknüpft – die Volksrepublik China musste bei ihrem Plan mitspielen, sonst wäre das globale Spiel schon zu Beginn verloren gewesen.
Außerdem bestand die Absicht, das chinesische Hochsicherheitslabor in Wuhan gemeinsam mit personellen und finanziellen Mitteln der »Rockefeller University« und Rockefellers »Johns Hopkins University« in Kooperation mit der Gates-Stiftung zu unterstützen. Dann hatte man einen Fuß in der Tür. Es ging um die Viren-Forschung, genauer gesagt: um die Erforschung von Viren, die durch Mutation vom Tier auf den Menschen überspringen können – „gain of function research“. Das ist Forschung, Viren gefährlicher zu machen, worauf das Institut für Virologie in Wuhan ausgelegt war. So etwas wird in den USA nur dem Militär und den Geheimdiensten erlaubt. Deshalb kann sich daran kein privater Geldgeber beteiligen und mitmischen. Anders in der Volksrepublik China.
Der große ovale Tisch erinnert ein wenig an den Besprechungstisch im Oval Office des Weißen Hauses. Frau Chan hat Wasser und Säfte vor jedem Platz servieren lassen; Salate werden später als Vorspeise kredenzt und irgendwann wird das Menü aufgefahren. Die Generaldirektorin weiß, was sich gehört und wendet sich zu Beginn ihrer Besprechung an die Eheleute Gates: „Ohne die Mittel Ihrer-Stiftung, verehrte Melinda, lieber Bill, wären viele Gesundheitsziele unserer Organisation, etwa die Ausrottung der Kinderlähmung, gefährdet. Wir sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet.“
„Keine Ursache. Das ist Vergangenheit“, ergreift Bill Gates das Wort. „Wir haben ein neues, überaus großes, weltumspannendes Projekt vor uns, das weit über jenes frühe Projekt in Sachen Kinderlähmung hinausgeht. Ich würde mich freuen, wenn die Anwesenden den Vorschlägen meiner Frau und mir folgen könnten.“
Margaret Chan ist beruhigt, dass Bill nicht auf Mr Gostin, ihren Direktor des Collaborating Centre on National and Global Health Law der WHO zu sprechen kommt. Gostin ist notwendigerweise anwesend. Sie hatte befürchtet, das könne zum Einstiegsproblem werden. Erst kürzlich hatte er nämlich ein unglückliches Interview in der Washington Post gegeben. Obwohl er die „Großzügigkeit und den Einfallsreichtum“ von Philanthropen wie Gates lobte, hatte er Bedenken hinsichtlich der übermäßigen Abhängigkeit von privaten Spenden geäußert.
„Der größte Teil der Gates-Gelder ist an spezifische Ziele gebunden. Das bedeutet, dass die WHO nicht selbst Prioritäten setzen kann, sondern einem weitgehend privaten Akteur verpflichtet ist. Und die Gates-Stiftung hat natürlich keine demokratische Rechenschaftspflicht.“
„Zu viel Einfluss?“, hatte daraufhin der letzte Fragesatz in dem Artikel der Washington Post gelautet.
Fast hätte die Sache in einem Pressekrieg geendet, aber Chris Elias, Präsident des »Global Development Program« der Bill & Melinda Gates Foundation, hatte recht diplomatisch eine Gegenmeinung in der Washington Post untergebracht. Es hatte zur Beruhigung der Gemüter beigetragen. Er räumte ein, dass es im Laufe der Jahre „oft Bedenken und Kritik in Bezug auf unseren Einfluss bei der WHO“ gegeben habe. „Aber man muss erkennen, dass die WHO ein