Ein Schmierer namens Vallentin. Hein Bruns

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Ein Schmierer namens Vallentin - Hein Bruns


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glitzern und glänzen in der Sonne. Das Gebilde aus Eisen und Farbe, Rost und Dreck, Menschen und Erwartungen, Hoffnungen und Schmerzen gleitet aus dem Hafen. Die Gummibänder werden jetzt wohl dünner werden. Irgendwo werden sie zerreißen. Der Rio Nervion läuft uns entgegen, und aus einem eckschiefen Fenster eines altersschwachen Hauses im Hafenviertel zu Bilbao winkt eine brüchig verwaschene Gardine.

      Lang und träge ist die Dünung des Nordatlantiks. Die Küste Spaniens schiebt sich an Backbordseite vorbei. Das Schiff ist eine schwimmende Insel, wie losgelöst vom Festland. Die Menschen sind mit losgelöst vom Festland. Ihre Freuden und Leiden, ihre Gedanken und Empfindungen, ihre Begierden und Sehnsüchte, ihre Höhen und Tiefen menschlichen Seins, das alles ist losgelöst vom Festland. Das Schiff ist eine schwimmende Insel. Eine Insel mit Kastengeist. Wir vorne und „die“ achtern. Wir vorne sind das Volk und „die“ achtern die Herren. Aber auch die Herren sind Menschen.

      Heute Abend gibt es Hammelfleisch und Kohl. Der Kapitän ist ein Grieche. Darum Hammelfleisch. Dieser hier, ein gedrungener, schwarzhaariger Kerl mit Rattenaugen. Stets weiß und korrekt gekleidet, stets das Volk übersehend, stets nur bissig fragend und bissig antwortend. Anspringen könnte ich ihn jetzt schon. Bei Wachablösung mittags läuft er auf dem Kapitänsdeck hin und her. Das Weiß seines Anzuges lacht uns aus, das Gold der Tressen und Mütze peinigt uns. Die Rattenaugen und der kleine schwarze Bart fordern auf zum Hineinschlagen. Meinen ersten Gruß hat er nur einmal überhört, ich grüße nicht wieder. Kapitäne sind Menschen. Kapitäne, deren habe ich viele kennengelernt. Kapitäne sind wie Jungfrauen, unnahbar, unberechenbar. Kapitäne sind wie Huren, zugänglich, käuflich, für jeden da. Kapitäne sind wie Katzen, falsch, verschlagen, hinterlistig. Kapitäne sind wie Hunde, zuverlässig, treu, echt, stark. Kapitäne sind wie Bäume, gerade, knorrig, alt, erprobt. Kapitäne sind wie Geier, habgierig, geizig, verfressen. Sie sind wie alte Weiber, verschwatzt, hysterisch, hinterhältig, Sie sind wie junge Mädchen, frisch, fröhlich, lebendig, lustig, lebensbejahend. Kapitäne sind wie du und ich … Menschen. Heute Abend gibt es Hammelfleisch mit Kohl. Wir sitzen nicht allhands an der Back. Nur mit Fünfen. Und der Moses. Zwei Mann sind auf Wache. So ein harter Arbeitstag im Hafen und ein paar Tage auf See bringen uns einander näher. Nationalität, Rasse, Farbe der Haut brauchen wir nicht zu überbrücken. Wir sind uns näher, wir sehen uns schon unverhohlener an. Wir kommen uns näher, weil wir uns schon einige Male gewaschen und den Land- und Weibergeruch abgespült haben. Wir finden Brücken des Verständnisses leichter, weil wir eigentlich unkompliziert sind, weil wir uns bei der Arbeit mit dem Vorschlaghammer abgelöst und uns den schweren Schraubenschlüssel zugereicht haben und an der Kette des Fünf-Tonnen-Flaschenzuges gemeinsam zogen. Männer, primitiv wie wir, kommen sich leichter näher. Männer, wie sie die See nach ihren Gesetzen formt, in einen Raum zwingt, an eine Back bannt, nebeneinander und übereinander schlafen lässt, finden eher zusammen. Das Hammelfleisch ist fett und der Kohl sandig. Das Fett ist halt und körnig, der Kohl knistert zwischen den Zähnen. Meine letzten Klamotten reiße ich aus dem Seesack und verstaue sie im Spind. Ich bin der Neue, ich habe das schlechteste Spind. Es steht in der dunkelsten Ecke, und die Tür hängt, und die Füße sind verrostet.

      Ich gehe noch ein paar Minuten an Deck. Die Sonne ist nur noch eine halbe Scheibe, gleich hat der Westen sie verschluckt. Die Küste gleitet eben sichtbar mit. Das Bugwasser rauscht. Der Fahrtwind lässt die Wanten zittern.

      Die Positionslampen im Vor- und Achtermast brennen gelb. Der Moses, der Mischling, klappert mit dem Geschirr. Kaltes Hammelfleisch mit kaltem Wasser von den Blechtellern wieder runter kriegen... das muss man können. Ich gehe wieder in das Logis zurück und in die Koje. Wickle mich in meine graue Wolldecke und schlafe. Mich stört nicht das Stimmengewirr, nicht der Tabakrauch, nicht das Rauschen der Bugwelle und auch nicht das Geklapper und Geschepper des Geschirrs. Ich habe die Hundewache, 12 bis 4Uhr in der Nacht, 12 bis 4 Uhr am Tage. Die Neuen kommen immer erst auf die Hundewache. Um halb zwölf muss ich wieder aufstehen. Ernesto geht mit mir zusammen die Wache. Ernesto ist staatenlos. „Rise, rise, Neuer, arriba, du bist um zwölf am Törn. Allerhand Arbeit unten, komm hoch!“ Ich bin immer noch der Neue, werde wohl auch der Neue bleiben, bis ein Neuer kommt, oder bis eine Sauferei oder Schlägerei gewesen ist. Dann sagen sie zu mir Valentin, aber auch nur dann, wenn ich mich in der Sauferei oder Schlägerei bewährt habe. Das ist auf allen Schiffen so. Wir sind nicht empfindlich, oh nein!

      Der Tee ist schwindsüchtig, den ich trinke. Zucker habe ich nicht, die andern aber. Gestohlen in der Kombüse. Oh, auch ich kriege noch einmal Zucker. Nein, so nahe sind wir uns noch nicht, dass man schon beginnt, mit mir zu teilen oder zu makkern. Ich das und frage auch nicht nach Zucker. Würde ich anders handeln als sie? Nein, ich hielte es auch so. Die Heizer klappern schon mit ihren Holzpantoffeln übers Deck. Ernesto und ich folgen, wir sind Schmierer. Der Mond ist blank wie ein Kinderarsch und auch gelb. Die See liegt glasig. Die Positionslampen an den Masten brennen heller. Die Brücke hüllt sich in Dunkel. Das Ungeheuer Schiff hat ein grünes und ein rotes Auge. Grün an Steuerbord und rot an der Backbordseite. Das Ungeheuer Schilf hat auch einen Bauch und Beine. Beine, die nach oben zeigen. Das Ungeheuer Schiff ist unsichtbar, bis auf die Augen, rot und grün. Und die Beine, weil sie helles Licht haben. Da draußen ziehen viele, viele Ungeheuer. Lautlos, nur mit Augen, vorbei. Lautlos. Schemenhaft. Nur mit Augen, rot oder grün, und auch mit erleuchteten Beinen. Die Küste zieht Lichterketten und ist in Abständen dunkel ... da fehlen Perlen. Lichtaugen stechen in die Nacht – Blinkfeuer. Lichtfinger greifen in die Nacht – Leuchtfeuer. In dieser Nacht, auf dieser Wache, muss ich heizen. Ein Heizer ist ausgefallen, hat sich verbrannt, liegt in der Koje. Der Neue muss heizen. Oh, der Neue kann heizen. Der Neue hat schon geheizt. Die Feuerschlünde der Dampfkessel werfen Glut und brennendes Licht auf die nackten, blanken, schweißtriefenden Oberkörper. Die Feuerschlünde sind gierig und unersättlich und fressen und fressen Kohle, Kohle, Kohle. Kohle, Eisen, Fleisch, Schweiß. Die Feuertüren der Kessel klappen auf und zu, auf und zu. Klapp klapp, die Feuertüren. Kohle, Kohle. Gebückte Menschen, geduckte, gebeugte Oberkörper und wieder aufgereckte. Schaufel auf Schaufel mit Kohle. Schweiß. Blanke Rücken. Schaufel. Kohle. Feuerschlünde. Ratsch, ratsch, die Schaufeln auf den Eisenplatten. Gepolter der nieder rauschenden Kohle in den Bunkern. Dünner Tee aus versprengten Tassen. Rote Glutpyramiden der Zigaretten. Sie peilen mich auch hier von der Seite an. Sie sagen nichts. Feuertüren. Aschfall. Schaufel. Die Feuerschleusen reißen die Glut auf. Die Feuerkrücken verteilen die Glut. Dann wieder Kohle – Kohle. Schaufel auf Schaufel. Und Manometernadeln zittern, und der Aschfall unter den Rosten ist hell. Und oben an Deck gehen die Nacht und die See und die Nacht und die See und der Mond. Ziehen an den Küsten Perlenketten. Die Augen des Ungeheuers starren in die Nacht, rot und grün.

      Die Tage werden von den Wachen aufgefressen. Die Nächte von den Wachen geschluckt. Der Schein des Leuchtfeuers von Kap Vincent hastet über die See. Wir verlassen Europa. Heizen tue ich nicht mehr, bin wieder Schmierer. Stehe zwischen auf- und abwärts schwingenden Eisenmassen und zähle die Öltropfen in die Lager. In Armlänge fauchen die Nieder- und Hochdruckkolbenstangen auf und nieder, schlittern die Gleitbahnen, zischt der Dampf. Und ich zähle die Tropfen in die Lager. Alles ist von glühender Wärme. Das Geländer, die schwingenden Eisenteile, die Lager. Der Neue hat natürlich die Mittelstation, wo es am wärmsten ist. Ich schwitze wie ein chinesischer Kuli, der Schweiß steht mir in den Schuhen. Ernesto ist mein Wachkumpel, und Ernesto ist in Ordnung. Ernesto ist eine Art Mann, vor dem jeder so etwas wie Respekt aufbringt. Sogar die „Ärmelstreifen“. Was Ernesto für ein Landsmann ist, sagt er nicht, und ich habe es auch nie erfahren ... so ist er staatenlos. Er selbst behauptet von sich, dass er Kosmopolit sei. Seinen Namen bekam er von einer Hure, die in Buenos Aires besoffen in der Gosse lag und ihn anscheinend mit jemand anderem verwechselte. Sie lallte immer nur „Ernesto“. Der Rest ersoff im Speichel, der ihr aus dem geschminkten Mund triefte. Ernesto half ihr auf die Beine und ins Bett. Ernesto hatte überhaupt bei den Huren einen dicken Schlag; er konnte auch mit ihnen umgehen, und vor allen Dingen, er übersah ihr Gewerbe, tat so, als wäre jede seine große Liebe. Ließ das Gespräch gar nicht auf das Geschäftliche kommen, und ich glaube, er war wirklich in jede Hure verliebt. Ernesto spricht Skandinavisch wie ein Nordländer, Deutsch wie ein Hannoveraner und echtes Londoner Cockney, Französisch lernte er in der Legion. Dort ist auch seine Haut gehärtet worden. Er besteht nur aus Sehnen und Haut. Kann tage- und nächtelang saufen, kann aber auch tage- und nächtelang arbeiten. Er ist ein Superzyniker und von einer brutalen Offenheit.


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