Schöne Heimat. Kit Schulte
Читать онлайн книгу.und Kartoffeln. Komplizierte Zubereitungen oder eine raffinierte Verwendung von Gewürzen waren einfach nicht das Markenzeichen der Berliner Küche.
Da die Bevölkerung Berlins erst im 18. und 19. Jahrhundert stark anstieg, war die Stadt ein Durchgangsort für Menschen aus verschiedenen deutschsprachigen Regionen und andere Europäer. Es wird angenommen, dass die Hugenotten – französische calvinistische Protestanten – den Berlinern Blumenkohl, grüne Erbsen und Spargel brachten, wodurch die Auswahl bisheriger Gemüse (vor allem Kohl und Pastinaken) erweitert werden konnte. Friedrich II. befahl den Bauern 1750, Kartoffeln anzubauen. Eine Kombination aus einer Salzsteuer und einem hohen vorgeschriebenen Mindestverbrauch führte zu einer Verbreitung von Salzpökelwaren und eingelegten Lebensmitteln wie Salzgurken und eingelegten Heringen (Rollmops).
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Berlin eine der größten Bierbrauergemeinschaften der Welt mit rund 1000 verschiedenen Unternehmen. Als Berlin anwuchs und später Ost- und Westdeutschland wiedervereinigt wurden, wurde die Berliner Küche international. Natürlich kann man traditionelle Berliner Küche weiterhin finden, aber das scheint heute eher eine Touristenattraktion zu sein oder vielleicht für Einheimische ein nostalgisches kulinarisches Ereignis. Ein Döner, ein Falafel oder eine italienische Pizza sind ebenso Teil der Berliner Küche wie die Currywurst.
Vielleicht weil die deutsche Küche im Allgemeinen zu fleischlastig ist und viele junge Leute in die Stadt ziehen, hat die vegane und vegetarische Bewegung einen großen Fanclub gefunden, sodass Berlin heute als die vegane Hauptstadt der Welt deklariert wird.
Was mich persönlich fasziniert, ist die große Vielfalt an Produkten, die Berlin selbst und das Berliner Umland zu bieten haben. Wälder, wilde Felder und große Stadtparks, in denen man Wildpflanzen sammeln kann und wie diese „wilden Lebensmittel“ ihren Weg zurück in die Küchen, inklusive Sterneküchen, finden.
Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.
Paracelsus
WILDES
ÜBERS SAMMELN UND ESSEN VON WILDPFLANZEN
Ein nächstgelegener Naturpark kann einen herrlichen kulinarischen Spaziergang hergeben. In Berlin gibt es über 2.000 Parks, Millionen von Bäumen und viele wilde Wiesen. Selbst in einem urbanen Umfeld wie diesem gibt es zahlreiche essbare Pflanzen, die man von Bäumen, Sträuchern und dem Boden ernten kann. Wenn man an der richtigen Stelle sucht, kann man einzigartige und köstliche essbare Schätze finden, die sich perfekt als Garnierung und/oder als Geschmacksverstärker eignen. Die Entdeckung neuer, einzigartiger und vergessener Geschmacksrichtungen kann direkt vor deiner Haustür beginnen.
Es lohnt sich, sich mit anderen Wildpflanzensammlern auszutauschen und auch von Experten über Pflanzen, die in der Gegend heimisch sind, zu lernen. Egal ob auf dem Land oder im Vorort – man kann immer im eigenen Garten experimentieren oder sich mit Biobauern in der Nähe austauschen und sie ermutigen, Platz für Wildpflanzen zu lassen, falls sie dies nicht bereits tun.
BLÜTEN VON BÄUMEN UND STRÄUCHERN
Es gibt Bäume und Sträucher mit so duftenden Blüten, dass man gar nicht anders kann, als ihre Essenz einzufangen. Rosen, Flieder, Holunderblüten und Linden blühen in Deutschland in Hülle und Fülle. Sirups und Gelees, die mit diesen Düften versetzt sind, können einem Dessert eine einzigartige Note verleihen. Mit einem Spritzer Sirup in einem Glas Sekt, einer erfrischenden Limonade oder einem einfachen Mineralwasser wird die jeweilige Jahreszeit herrlich zelebriert.
Der Hauptunterschied zwischen Sirup und Gelee ist das Verhältnis von Wasser und Zucker. Normalerweise werden die Blüten in einer Mischung aus Zucker oder Salz in Wasser mit Zitronensaft eingeweicht. Es gibt verschiedene Rezepte, und wenn dir die in diesem Buch nicht ganz zusagen, ermutige ich dich zum Experimentieren, bis du die richtige Kombination gefunden hast. Ich persönlich bevorzuge weniger Zucker als in den meisten Rezepten angegeben, besonders bei Gelees von blühenden Bäumen, da zu viel Süße den Duft trübt. Um die Sicherheit des Verfahrens zu gewährleisten und den Verderb durch zu wenig Zucker zu verhindern, ist es wichtig, Gläser und Flaschen zu sterilisieren, um Bakterien abzutöten. Weitere Informationen zum Einmachen von Lebensmitteln findest du auf Seite 202.
WILDKRÄUTER
Wildkräuter werden bei uns traditionell als Gewürze und für Tees verwendet. In den letzten Jahren haben frische Wildkräuter eine Renaissance erlebt und werden heute zu Pesto und Brotaufstrichen verarbeitet, roh in Salaten gegessen oder wie Spinat in Aufläufen, Suppen, Pfannkuchen und Beilagen gekocht.
Kräuter werden seit Jahrtausenden zu medizinischen und kulinarischen Zwecken verwendet und wurden seit dem frühen Mittelalter in Klostergärten angebaut, die sowohl für Studienzwecke als auch für die medizinische Praxis angelegt waren. Karl der Große ordnete an, Kräutergärten für medizinische Forschung anzubauen und um sie zu Essenzen, Ölen, Pasten und getrockneten Tees zu verarbeiten. Etwa zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert überließen die meisten Europäer ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden der Klostermedizin.
Wildkräuter spielten auch während des Ersten und des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Rolle, denn sie waren eine Quelle für Vitamine und Mineralien. Wenn man heutzutage einem Überlebenden des Zweiten Weltkriegs erzählt, dass ein Salat mit Löwenzahn, Vogelmiere, Wegerich oder Giersch zubereitet wird, oder wenn man geröstete Bucheckern erwähnt, wird man höchstwahrscheinlich eine Geschichte darüber hören, wie eine Mutter ihre Kinder losschickte, um diese Zutaten zu sammeln. Ob es nun Spaß gemacht hat oder nicht, das Sammeln war eine arbeitsintensive Tätigkeit, die für das Überleben notwendig war.
Historisch gesehen geht die medizinische und die kulinarische Verwendung von Kräutern Hand in Hand. Inzwischen verwenden Sterneköche im ganzen Land alle Arten von Wildkräutern in ihren preisgekrönten Gerichten, weil diese eben einen ganz besonderen Geschmack und Duft haben.
GUT ZU WISSEN: DAS SAMMELN VON WILDPFLANZEN
(ohne wissenschaftlichen Anspruch)
VORSICHT: Pflücke nichts, was du nicht mit Sicherheit identifizieren kannst!
Mach dich schlau! Nutze Hilfsmittel wie Bücher von Fachleuten über das Sammeln von Wildkräutern, Früchten und Pflanzen oder nehme an lokalen Kursen oder Workshops teil.
Vermeide Orte, wo Hunde urinieren könnten.
Ernte keine Kräuter in unmittelbarer Nähe von Straßen, auf Industriegeländen oder an Orten, an denen Umweltverschmutzung ein Problem darstellen könnte.
Früchte, Blumen, Nüsse und Blätter von Bäumen sind weniger verschmutzt als Wildkräuter, Blumen oder Beeren, die an Sträuchern wachsen. Halte einen Abstand von mindestens sieben Metern zur Straße ein. Je näher der Verkehr an den Pflanzen ist, die du zum Verzehr pflücken möchtest, desto mehr Schadstoffe hat sich auf diesen angesammelt. Blätter von Bäumen in Städten enthalten blei- und kadmiumhaltigen Feinstaub. Ernte am besten dort, wo zumindest eine Hecke die Straße von der Pflückstelle trennt.
Vermeide Felder, auf denen Pestizide und Düngemittel eingesetzt werden. Wenn du unsicher bist, frage die Bauern oder Anwohner. Die besten Standorte sind wilde, unberührte Flächen in Wäldern und Parks. Wasche Wildpflanzen gründlich in der Spüle oder in einer großen Schüssel und lass sie ca. 12 Minuten lang in Wasser mit einem