Der Stoff, aus dem die Helden sind. Jürgen Kalwa

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Der Stoff, aus dem die Helden sind - Jürgen Kalwa


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My Line? auftrat, dem Vorbild für Robert Lembkes Was bin ich?, brauchte das Rateteam trotz der Masken vor den Augen nicht lange, um seine Identität zu ermitteln. Er war schließlich erst kurz zuvor in die Baseball Hall of Fame aufgenommen worden. Er war ein Superstar.

      Wenig später wurde der Rest der Welt ebenfalls auf ihn aufmerksam. Der Anlass? Seine Heirat mit der Schauspielerin Marilyn Monroe. Als sie die berühmte Szene mit dem von der vorbeifahrenden U-Bahn aufgewirbelten Rock für den Film Das verflixte 7. Jahr drehte, stand er auf der gegenüberliegenden Seite der Lexington Avenue von Manhattan und schaute zu.

      Die Ehe mit Marilyn Monroe ging nach nur neun Monaten auseinander. Joe DiMaggio versilberte seinen Ruhm weiter wie gewohnt – mit Werbespots für einen Kaffeemaschinen-Hersteller und mit Autogrammstunden, für die er viel Geld verlangte. Doch dann – man schrieb das Jahr 1967 – passierte etwas Unerwartetes. Da wurde aus dem Über-Sportler eine Legende der Popkultur. Und alles nur wegen ganzer vier Zeilen in dem anspielungsreichen Lied Mrs. Robinson. Ein Song, der für den Erfolgsfilm Die Reifeprüfung komponiert worden war und der in einer späten Strophe die unschuldige und symbolisch gemeinte Frage stellte: „Where have you gone, Joe DiMaggio?“ – „Wohin bist du gegangen, Joe DiMaggio? Unsere Nation richtet unsere einsamen Augen auf dich. Was meinen Sie, was das heißt, Mrs. Robinson? Joltin‘ Joe47 ist weg und gegangen.“

      Da klang Nostalgie nach dem Zuschnitt der sechziger-Jahre durch. Geprägt von Verlustgefühlen. Amerikas Soldaten starben in Vietnam. Studenten revoltierten an den Universitäten. Der Baseball-Profi schien die ideale Figur, um diese Gefühle – konfliktfrei, generationenübergreifend – widerzuspiegeln.

      Einer allerdings konnte mit dieser Allegorie überhaupt nichts anfangen: Joe DiMaggio. Als er Song-Texter und Komponist Paul Simon irgendwann in einem Restaurant in New York zufällig begegnete, beschwerte er sich in einer direkten Konfrontation: „Ich bin nirgendwo hingegangen“. Der Sportler selbst hatte den Symbolwert seiner Existenz nie verstanden.

      Als DiMaggio 1999 starb, ging er allerdings wirklich. Wohin? An den Ort, an den Bart Giamatti gegangen war und die vielen berühmten Baseball-Profis vor ihm. Brad Horn, der Abteilungsleiter für Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit der Hall of Fame erklärte die Metamorphose bei einem Besuch so: „Er wurde ein Teil von dem, was Cooperstown symbolisiert, dieser mythische, gefeierte ikonenhafte Status. Und ich glaube, das ist es auch, wonach sich die Menschen sehnen, wenn sie die Schnittstelle von Gesellschaft und Sport feiern. Das ist der Grund, weshalb Cooperstown noch immer relevant ist. Man kann hierherkommen und diese Individuen berühren und sagen: ‘Hier sind sie. Ich kann mit meinen Fingern ihre Bronzegesichter betasten und sagen: Ich kenne Joe DiMaggio.‘“

      (2010)

      Die Entscheidung über die Aufnahme von ehemaligen Spielern, Trainern, Funktionären und Club-Besitzern treffen ausschließlich aktive Mitglieder der Baseball Writers‘ Association of America. Und die müssen sich mindestens zehn Jahre lange mit der Sportart journalistisch auseinandergesetzt haben. Baseballspieler haben eine Reihe von Anforderungen zu erfüllen, ohne die sie gar nicht in die Auswahl kommen. Dazu gehört die Länge der Zeit, die sie in den beiden Major Leagues aktiv waren, und eine Frist von mindestens fünf Jahren, die nach dem Ende der Karriere verstrichen sein muss. Kandidaten werden vor der Abstimmung von einem Komitee bestimmt und müssen bei der jährlichen Wahl 75 % der abgegebenen Stimmen aller wahlberechtigten Mitglieder der Journalisten-Organisation erhalten, um in die Baseball Hall of Fame aufgenommen zu werden.

      Wer weniger bekommt, fällt damit nicht automatisch durch den Rost. Solange jemand wenigstens 5 % der Stimmen bekommt, steht sein Name auch auf zukünftigen Wahlzetteln. Erst nach zehn Jahren, in denen ein Spieler die Drei-Viertel-Hürde nicht genommen hat, wird er endgültig gestrichen.

      40 The story of ‘Green Fields of the Mind’ – Bart Giamatti’s bittersweet ode to baseball” in Yale Alumni Magazine, New Haven, 2012

      41 Die Red Sox pflegten lange die absurdeste fixe Idee in der Geschichte des US-Sports: den Fluch des Bambino. Der entstand, als 1920 das Jahrhunderttalent Babe Ruth – Spitzname The Bambino – an die New York Yankees verkauft wurde, womit in Boston eine Serie der Erfolglosigkeit begann. Abergläubische Fans versuchten beharrlich, den Fluch zu brechen. Wie jener Anhänger, der eine Red-Sox-Kappe auf dem Mount Everest ablegte, nachdem er im Basislager eine Yankees-Mütze verbrannt hatte. Doch womöglich verlor die Verwünschung erst an Kraft, als der Ball 2004 bei einem Home Run einem Zuschauer ins Gesicht flog und ihm zwei Zähne ausschlug. Der wohnte in einem Bostoner Vorort in einem Haus, das einst Babe Ruth gehört hatte. Kurz darauf gewann das Team die World Series. Zum ersten Mal nach 86 Jahren.

      42 Zev Chafets: Cooperstown Confidential: Heroes, Rogues, and the Inside Story of the Baseball Hall of Fame New York, 2009

      43 Die Einrichtung wurde 2018 in einem Annex zum Stadion des FC Dallas, einem Club in der obersten Profi-Liga namens Major League Soccer, neu installiert und existiert nun wieder wie ein normales Sportmuseum.

      44 Zitiert nach der Original-Archivtonaufnahme. Die Textversion des Interviews mit der Literaturredakteurin Irmgard Bach erschien in Bremer Beiträge, Bremen, 1962.

      45 Don DeLillo, Unterwelt. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert, Köln, 1998

      46 Richard Ford: Unabhängigkeitstag. Aus dem Amerikanischen von Fredeke Arnim. Berlin 1995, Seite 385 ff.

      47 Der Spitzname entstand 1941 in Anspielung an den Titel eines Big-Band-Songs Joltin’ Joe DiMaggio, gesungen von Betty Jane Bonney.

      TOTE LEBEN LÄNGER

      Erst ein Gericht beendete das Tauziehen um den Jahrhundert-Athleten Jim Thorpe. So blieben seine sterblichen Überreste in der Stadt, die seinen Namen trägt. Ein Ortstermin

      An der schmalen Ausfallstraße nach Norden, der Route 903, findet sich gleich hinter den letzten Häusern, wo sie nach dem Anstieg aus dem Tal eine Anhöhe erreicht, ein kleiner Park mit kurz geschorenem Rasen und einem großen Sarkophag aus rotem Marmor.

      Man kann die Stelle nur schwer übersehen. Eingerahmt wird das Ganze von Fahnenschmuck und zwei Säulen, auf denen ein und derselbe Mann, eingefroren in den ausdrucksstarken Augenblick zweier typischer Bewegungsabläufe aus dem Sport, verewigt worden ist. Auf dem Podest näher zur Stadt hin holt er mit einem Diskus in der Hand elegant und locker zu einer mächtigen Drehung aus. Auf dem Sockel weiter stadtauswärts lehnt er sich im Laufschritt nach vorne, während er in der rechten Hand einen Football direkt an seinen Körper gepresst hat.

      Was der Bildhauer Edmond Shumpert in diesen zwei Skulpturen aus dem Leben dieses einen Menschen herausgeformt hat, wirkt bei Licht betrachtet trotzdem nicht gerade üppig. Immerhin handelt es sich bei der fraglichen Person um jemanden, dessen Biographie noch zu Lebzeiten in Hollywood als Überfigur auf die Leinwand gebracht wurde. Inszeniert von niemand anderem als einem gewissen Michael Curtiz, dem Regisseur von Casablanca, gespielt von Burt Lancaster und in der Kinowerbung als „Mann aus Bronze“ und „der größte Sportler aller Zeiten“ verkauft. „An Oklahoma Indian lad“ – ein Indianer-Halblut aus Oklahoma – „whose untamed spirit gave wings to his feet and carried him to immortality.“ Unsterblich. Denn – das war die Lesart damals – bei ihm handelte es sich um den größten Athleten aller Zeiten.

      Dieses Werturteil galt lange. Auch noch, als er am 28. März 1953 in Kalifornien an Herzversagen starb und seine sterblichen Überreste in diesem Ort in der bergigen Landschaft am Oberlauf des Lehigh River in dieser mächtigen steinernen Hülle zur letzten Ruhe gebettet wurden.

      Sonst hätte die New York Times zum Beispiel damals sicher nicht diesen enormen Nachruf veröffentlicht, der auf der Titelseite begann und im Innenteil weiterging, wo man auf mehr als 300 Zeilen sein ungewöhnliches Leben nachzeichnete. Der Nachruf listete unter anderem seine Bestmarken aus der Leichtathletik auf. Sie unterstrichen, wie vielseitig und versiert er in seinen glorreichen Zeiten gewesen war: Er war handgestoppte 10,0 Sekunden über 100 Yards gelaufen, 21,8 Sekunden


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