Rechtslexikon BGB. Sybille Neumann
Читать онлайн книгу.Bedingung § 158 Abs. 1 BGB
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Unter einer aufschiebenden Bedingung versteht man ein zukünftiges Ereignis, dessen Eintritt zum Zeitpunkt des Rechtsgeschäftes (Rechtsgeschäft) noch ungewiss ist, von dessen Eintritt aber das Wirksamwerden eines Rechtsgeschäfts abhängig gemacht wird.
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Erläuterungen
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Rechtsgeschäftliche Bedingungen sind in den § 158 ff. BGB geregelt. Unterschieden wird hierbei die auflösende von der aufschiebenden Bedingung. Da die auflösende Bedingung in der Praxis eine äußerst untergeordnete Rolle spielt, wird im Folgenden nur auf die aufschiebende Bedingung eingegangen. Die aufschiebende Bedingung kann sich sowohl auf die Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts (Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte) – beispielsweise Kaufvertrag – als auch auf die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts (Eigentumsübertragung) beziehen.
Beispiel:
Kauft Lea Müller eine schicke Eigentumswohnung unter der Bedingung, dass ein Kreditinstitut ihr diese finanzieren wird, so bezieht sich die Bedingung auf den Kaufvertrag, also auf das Verpflichtungsgeschäft. Macht Simon Neumüller die Übertragung des Eigentums an seinem Auto auf Alina Klein davon abhängig, dass diese den vollständigen Kaufpreis zahlt, so bezieht sich die Bedingung auf das Verfügungsgeschäft.
Eine solche Bedingung nennt man Eigentumsvorbehalt (Eigentumsvorbehalt).
Weiterführende Literatur
Stephan Lorenz/Veronika Eichhorn, Grundwissen – Zivilrecht: Bedingungen und Befristung, JuS 2017, S. 393-397. Sebastian Martens, Grundfälle zu Bedingung und Befristung – Teil 1, JuS 2010, S. 481-486; – Teil 2, S. 578-582.
A › Auslegung §§ 133, 157 BGB
Auslegung §§ 133, 157 BGB
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Durch Auslegung einer Willenserklärung (Willenserklärung) wird deren rechtlich erheblicher Sinn ermittelt.
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Erläuterungen
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Nicht nur Gesetze bedürfen häufig der Auslegung, sondern auch Willenserklärungen. Denn manchmal ist es nicht eindeutig, was ein Erklärender überhaupt erklärt hat. In solchen Fällen muss die Willenserklärung des Erklärenden ausgelegt werden. Das BGB enthält zwei Paragrafen, die sich auf die Auslegung von Willenserklärungen beziehen; nämlich § 133 und § 157 BGB. § 133 BGB sagt, dass „der wirkliche Wille“ des Erklärenden „zu erforschen ist“ und nicht stur der Wortlaut der Erklärung als Maß aller Dinge gelten soll. § 157 BGB besagt, dass „Verträge nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte“ auszulegen sind. Allerdings gilt § 157 BGB entgegen seinem Wortlaut auch für einseitige Rechtsgeschäfte (Rechtsgeschäfte). Das Verhältnis zwischen den beiden Paragrafen ist streitig. Allerdings ist dies im Ergebnis von wenig Bedeutung, da es einen allgemein anerkannten Kanon an Auslegungsregeln gibt; wie die vorrangig zu beachtende Auslegungsregel des übereinstimmenden Willens der Vertragsparteien. Weitere Punkte, die bei der Auslegung zu berücksichtigen sind, sind die Begleitumstände, der Kontext, die Vorgeschichte, gesetzliche Vermutungen, die Interessenslage der Parteien und natürlich, da fast alle Willenserklärungen empfangsbedürftig sind, der Empfängerhorizont, d. h. wie ein durchschnittlich intelligenter Empfänger die Worte des Erklärenden hat verstehen müssen.
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Zu der erst genannten Auslegungsregel gibt es einen berühmten Fall, der bereits seit fast einem Jahrhundert Jurastudenten vorgetragen wird; nämlich den „Haakjöringsköd-Fall“[1] aus dem Jahre 1920:
Zwei Deutsche schließen einen Kaufvertrag (Kaufvertrag) über „Haakjöringsköd“ ab. Beide dachten, dass „Haakjöringsköd“ Walfisch bedeutet; tatsächlich bedeute es aber, wenn man es aus dem Norwegischen ins Deutsche übersetzt, Haifisch. Das Reichsgericht ging von einem Kaufvertrag über Walfisch aus, da beide Parteien bei Vertragsschluss Walfisch und nicht Haifisch als Kaufgegenstand betrachteten.
Dieser Fall ist ein schönes Beispiel dafür, dass der übereinstimmende Parteiwille allen anderen Auslegungsregeln vorgeht. Nach der Auslegungsregel „Wortverständnis“ (die besagt, dass vom Wortlaut auszugehen ist) hätte man zum Schluss kommen müssen, dass ein Vertrag über Haifisch geschlossen wurde. Da beide Vertragsparteien sich jedoch einig waren, dass ein Vertrag über Walfisch geschlossen wurde, ist ihr übereinstimmender Parteiwille entscheidend. Denn: falsa demonstratio non nocet (eine Falschbezeichnung schadet nicht).
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Übungsfall Auslegung
Der Restaurantinhaber und Koch Walter Kahl und der Gemüsehändler Willy Vogel sind große Frankreichliebhaber und tätigen deswegen auch ihre Geschäftskorrespondenz auf Französisch, obwohl ihre Französischkenntnisse nicht überragend sind. Am 08.06.2019 bestellt Walter Kahl bei Willy Vogel per E-Mail „100 endives“. Sowohl Walter Kahl als auch Willy Vogel meinen, dass „endives“ auf Deutsch „Endivien“ bedeutet. Tatsächlich heißt es „Chicorée“. Willy Vogel, der einen Großteil seines Gemüses von französischen Bauern bezieht, gab die Bestellung des Walter Kahl textgleich an einen französischen Bauern weiter. Er hat nunmehr 100 Chicorée erhalten und liefert sie an Walter Kahl. Walter Kahl aber möchte kein Chicorée und besteht auf der Lieferung von Endivien. Zu Recht?
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Lösung
Der Käufer Kahl kann auf der Lieferung von Endivien gem. § 433 Abs. 1 S. 1 BGB bestehen, wenn zwischen ihm und dem Verkäufer Vogel ein Kaufvertrag gem. § 433 BGB über Endivien und nicht über Chicorée geschlossen wurde. Im vorliegenden Fall liegt eine Diskrepanz zwischen dem Wortlaut der Vereinbarung („endives“ = Chicorée) und dem Gemeinten (Endivien) vor. Die Willenserklärungen der Vertragsparteien müssen somit gem. §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden.
Hierbei gilt der Grundsatz: Wenn sich beide Vertragspartner bei Vertragsschluss einig waren, gilt der Vertrag so, wie sie ihn gemeinsam verstanden hatten. Der überstimmende Wille der Parteien geht jeder anderen Auslegung vor und: falsa demonstratio non nocet. Deshalb hat Herr Kahl Endivien gekauft und kann folglich auch auf der Lieferung von Endivien gem. § 433 Abs. 1 S. 1 BGB bestehen.
Weiterführende Literatur
Lukas Beck, Gesetzesauslegung