Das Ich und das Es / Я и Оно. Зигмунд Фрейд
Читать онлайн книгу.Walten entgegengesetzter Tendenzen, aufzuzeigen oder unter ihnen einige aufzufinden, die nach der Art von Zwangshandlungen beiden Strömungen gleichzeitigen Ausdruck geben, so wäre die psychologische Übereinstimmung zwischen dem Tabu und der Zwangsneurose im nahezu wichtigsten Stücke gesichert.
Die beiden fundamentalen Tabuverbote sind, wie vorhin erwähnt, für unsere Analyse durch die Zugehörigkeit zum Totemismus unzugänglich; ein anderer Anteil der Tabusatzungen ist sekundärer Abkunft und für unsere Absicht nicht verwertbar. Das Tabu ist nämlich bei den entsprechenden Völkern die allgemeine Form der Gesetzgebung geworden und in den Dienst von sozialen Tendenzen getreten, die sicherlich jünger sind als das Tabu selbst, wie z. B. die Tabu, die von Häuptlingen und Priestern auferlegt werden, um sich Eigentum und Vorrechte zu sichern. Doch bleibt uns eine große Gruppe von Vorschriften übrig, an denen unsere Untersuchung vorgenommen werden kann; ich hebe aus dieser die Tabu heraus, die sich a) an Feinde, b) an Häuptlinge, c) an Tote knüpfen, und werde das zu behandelnde Material der ausgezeichneten Sammlung von J. G. Frazer in seinem großen Werke: The Golden Bough entnehmen[27].
a) Die Behandlung der Feinde
Wenn wir geneigt waren, den wilden und halbwilden Völkern ungehemmte und reuelose Grausamkeit gegen ihre Feinde zuzuschreiben, so werden wir mit großem Interesse erfahren, daß auch bei ihnen die Tötung eines Menschen zur Befolgung einer Reihe von Vorschriften zwingt, welche den Tabugebräuchen zugeordnet werden. Diese Vorschriften sind mit Leichtigkeit in vier Gruppen zu bringen; sie fordern 1. Versöhnung des getöteten Feindes, 2. Beschränkungen und 3. Sühnehandlungen, Reinigungen des Mörders und 4. gewisse zeremonielle Vornahmen. Wie allgemein oder wie vereinzelt solche Tabugebräuche bei diesen Völkern sein mögen, läßt sich einerseits aus unseren unvollständigen Nachrichten nicht mit Sicherheit entscheiden und ist anderseits für unser Interesse an diesen Vorkommnissen gleichgültig. Immerhin darf man annehmen, daß es sich um weitverbreitete Gebräuche und nicht um vereinzelte Sonderbarkeiten handelt.
Die Versöhnungsgebräuche auf der Insel Timor, nachdem eine siegreiche Kriegerschar mit den abgeschnittenen Köpfen der besiegten Feinde zurückkehrt, sind darum besonders bedeutsam, weil überdies der Führer der Expedition von schweren Beschränkungen betroffen wird (s. unten). Bei dem feierlichen Einzug der Sieger werden Opfer dargebracht, um die Seelen der Feinde zu versöhnen;»sonst müßte man Unheil für die Sieger vorhersehen. Es wird ein Tanz aufgeführt und dabei ein Gesang vorgetragen, in welchem der erschlagene Feind beklagt und seine Verzeihung erbeten wird: ›Zürne uns nicht, weil wir deinen Kopf hier bei uns haben; wäre uns das Glück nicht hold gewesen, so hingen jetzt vielleicht unsere Köpfe in deinem Dorf. Wir haben dir ein Opfer gebracht, um dich zu besänftigen. Nun darf dein Geist zufrieden sein und uns in Ruhe lassen. Warum bist du unser Feind gewesen? Wären wir nicht besser Freunde geblieben? Dann wäre dein Blut nicht vergossen und dein Kopf nicht abgeschnitten worden.‹«[28]
Ähnliches findet sich bei den Palu in Celebes; die Gallas opfern den Geistern ihrer erschlagenen Feinde, ehe sie ihr Heimatdorf betreten.
Andere Völker haben das Mittel gefunden, um aus ihren früheren Feinden nach deren Tod Freunde, Wächter und Beschützer zu machen. Es besteht in der zärtlichen Behandlung der abgeschnittenen Köpfe, wie manche wilde Stämme Borneos sich deren rühmen. Wenn die See-Dayaks von Sarawak von einem Kriegszug einen Kopf nach Hause bringen, so wird dieser Monate hindurch mit der ausgesuchtesten Liebenswürdigkeit behandelt und mit den zärtlichsten Namen angesprochen, über die ihre Sprache verfügt. Die besten Bissen von ihren Mahlzeiten werden ihm in den Mund gesteckt, Leckerbissen und Zigarren. Er wird wiederholt gebeten, seine früheren Freunde zu hassen und seinen neuen Wirten seine Liebe zu schenken, da er jetzt einer der Ihrigen ist. Man würde sehr irregehen, wenn man an dieser uns gräßlich erscheinenden Behandlung dem Hohn einen Anteil zuschriebe[29].
Bei mehreren der wilden Stämme Nordamerikas ist die Trauer um den erschlagenen und skalpierten Feind den Beobachtern aufgefallen. Wenn ein Choctaw einen Feind getötet hatte, so begann für ihn eine monatlange Trauer, während welcher er sich schweren Einschränkungen unterwarf. Ebenso trauerten die Dakota-Indianer. Wenn die Osagen, bemerkt ein Gewährsmann, ihre eigenen Toten betrauert hatten, so trauerten sie dann um den Feind, als ob er ein Freund gewesen wäre[30].
Noch ehe wir auf die anderen Klassen von Tabugebräuchen zur Behandlung der Feinde eingehen, müssen wir gegen eine naheliegende Einwendung Stellung nehmen. Die Motivierung dieser Versöhnungsvorschriften, wird man uns mit Frazer und anderen entgegenhalten, ist einfach genug und hat nichts mit einer» Ambivalenz «zu tun. Diese Völker werden von abergläubischer Furcht vor den Geistern der Erschlagenen beherrscht, einer Furcht, die auch dem klassischen Altertum nicht fremd war, die der große britische Dramatiker in den Halluzinationen Macbeths und Richards III. auf die Bühne gebracht hat. Aus diesem Aberglauben leiten sich folgerichtig alle die Versöhnungsvorschriften ab, wie auch die später zu besprechenden Beschränkungen und Sühnungen; für diese Auffassung sprechen noch die in der vierten Gruppe vereinigten Zeremonien, die keine andere Auslegung zulassen als von Bemühungen, die den Mördern folgenden Geister der Erschlagenen zu verjagen[31]. Zum Überfluß gestehen die Wilden ihre Angst vor den Geistern der getöteten Feinde direkt ein und führen die besprochenen Tabugebräuche selbst auf sie zurück.
Diese Einwendung ist in der Tat naheliegend, und wenn sie ebenso ausreichend wäre, könnten wir uns die Mühe unseres Erklärungsversuches gern ersparen. Wir verschieben es auf später, uns mit ihr auseinanderzusetzen, und stellen ihr zunächst nur die Auffassung entgegen, die sich aus den Voraussetzungen der vorigen Erörterungen über das Tabu ableitet. Wir schließen aus all diesen Vorschriften, daß im Benehmen gegen die Feinde noch andere als bloß feindselige Regungen zum Ausdruck kommen. Wir erblicken in ihnen Äußerungen der Reue, der Wertschätzung des Feindes, des bösen Gewissens, ihn ums Leben gebracht zu haben. Es will uns scheinen, als wäre auch in diesen Wilden das Gebot lebendig:»Du sollst nicht töten«, welches nicht ungestraft verletzt werden darf, lange vor jeder Gesetzgebung, die aus den Händen eines Gottes empfangen wird.
Kehren wir nun zu den anderen Klassen von Tabuvorschriften zurück. Die Beschränkungen des siegreichen Mörders sind ungemein häufig und meist von ernster Art. Auf Timor (vgl. die Versöhnungsgebräuche oben) darf der Führer der Expedition nicht ohneweiters in sein Haus zurückkehren. Es wird für ihn eine besondere Hütte errichtet, in welcher er zwei Monate mit der Befolgung verschiedener Reinigungsvorschriften verbringt. In dieser Zeit darf er sein Weib nicht sehen, auch sich nicht selbst ernähren, eine andere Person muß ihm das Essen in den Mund schieben[32]. – Bei einigen Dayakstämmen müssen die vom erfolgreichen Kriegszug Heimkehrenden einige Tage lang abgesondert bleiben und sich gewisser Speisen enthalten, sie dürfen auch kein Essen berühren und bleiben ihren Frauen fern. – In Logea, einer Insel nahe Neuguinea, schließen sich Männer, die Feinde getötet oder daran teilgenommen haben, für eine Woche in ihren Häusern ein. Sie vermeiden jeden Umgang mit ihren Frauen und ihren Freunden, rühren Nahrungsmittel nicht mit ihren Händen an und nähren sich nur von Pflanzenkost, die in besonderen Gefäßen für sie gekocht wird. Als Grund für diese letzte Beschränkung wird angegeben, daß sie das Blut der Erschlagenen nicht riechen dürfen; sie würden sonst erkranken und sterben. – Bei dem Toaripi- oder Motumotu-Stamm auf Neuguinea darf ein Mann, der einen anderen getötet hat, seinem Weib nicht nahe kommen und Nahrung nicht mit seinen Fingern berühren. Er wird von anderen Personen mit besonderer Nahrung gefüttert. Dies dauert bis zum nächsten Neumond.
Ich unterlasse es, die bei Frazer mitgeteilten Fälle von Beschränkungen des siegreichen Mörders vollzählig anzuführen, und hebe nur noch solche Beispiele hervor, in denen der Tabucharakter besonders auffällig ist oder die Beschränkung im Verein mit Sühne, Reinigung und Zeremoniell auftritt.
«Bei den Monumbos in Deutsch-Neuguinea wird jeder, der einen Feind im Kampfe getötet hat, ›unrein‹«, wofür dasselbe Wort gebraucht wird, das auf Frauen während der Menstruation oder des Wochenbettes
27
Fußnote: Third edition, Part II,
28
Fußnote: Frazer (1911, 166).
29
Fußnote: Frazer (1914, Bd. 1, 295), nach Low (1848).
30
Fußnote: Frazer (1911, 181), nach Dorsey.
31
Fußnote: Frazer (1911, 169-74). Diese Zeremonien bestehen in Schlagen mit den Schilden, Schreien, Brüllen und Erzeugung von Lärm mit Hilfe von Instrumenten usw.
32
Fußnote: Frazer (1911, 166), nach Müller (1857).