Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz

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Als Mariner im Krieg - Joachim  Ringelnatz


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gut sein! Im April singen wir unser altes Reservistenlied

      Zum letztenmal hab ich an Bord geschlafen,

      Zum letztenmal die Hängematt gezurrt...«

      Dann übergab ich die Instruktionen: »Ruder zehn Steuerbord — der Wind dreht, das Schiff wird gleich schwojen — sechs Uhr Dampf auf — sechs Uhr dreißig Wecken — Anruf Dora — Antwort Richard.«

      Nach dreizehn Tagen kam ich wieder an Land und hatte mit dem Obermaat Proviant einzukaufen. Wir fuhren im strömenden Regen mit einem geborgten Schlachterwagen in gestrecktem Galopp. Ich hielt eine Tüte im Arm, die, als sie aufweichte, rohe Eier fallen ließ. Der Obermaat hielt Semmeln auf seinem Schoß, die, je nässer sie wurden, desto größer wurden.

      Ein Heizer von »Diomedes« war wahnsinnig geworden. Er hatte sich plötzlich geweigert, in den »tiefen« Heizraum zu gehen, war später in der Werft desertiert und — obwohl der Posten auf ihn geschossen hatte — entkommen.

      Wenn wir uns auf See amüsierten, dann geschah es mit Kartenspiel, unanständigen Späßen und Schabernack. Schaffrot hatte mir heimlich Salz in den Tee getan. Ich mischte die Barthaare von Tünnes in seinen Tabak. Einmal versuchte ich einen Vorleseabend zu arrangieren und las leichtverständliche Balladen von Münchhausen vor, aber was nützt der Kuh selbst solches Muskat.

      Wir sahen viele Seehunde und Schweinsfische. Zugvögel ruhten sich auf uns Insel aus.

      Es kamen Nebeltage. Wir mußten dann häufig Torpedoboote heraus oder hereinlotsen, und die Nebelglocke klang den ganzen Tag. Meine kupfernen Lampen, früh geputzt, waren abends schon wieder grünspanig, und ich wünschte mir, so viel Butter zu besitzen, wie ich Putzpomade verbrauchte.

      Dann ging ich wieder einmal stundenlang in einer dunklen Nacht Wache. Es war ganz still. Nur in der Rudermaschine knackte, brodelte und klapperte es geheimnisvoll. Schaffrot kam aus der Maschine, und wir setzten einen Suppenwürfel unter Dampf, weil wir nicht Kochgelegenheit hatten. Plötzlich hörten wir ein Platschen im Wasser, klang so, wie wenn ein Hund gegen den Strom paddelt. Gemeinsam fischten wir aus dem Wasser einen abgekämpften, grauen Vogel, etwa so groß wie ein Huhn, ohne Schwimmhäute und mit einem langen geraden Schnabel. Im Nu gerieten wir in Streit, wem das Tier nun gehörte, mir oder Schaffrot. Da dieser aber gerade in die Maschine gerufen wurde, schob ich das erstarrte Tier mit dem Fuß unter einen Stoß an Deck aufgestapelter Bretter, um es nach Beendigung meiner Wache mitzunehmen. »Wo ist der Vogel?« schrie der Obermaat zurückkehrend. »Ich hab ihn wieder über Bord geworfen.« — »Du lügst!« Schaffrot suchte und fand den Vogel und bettete ihn sogleich in seine Koje. Dort erholte er sich innerhalb einer Stunde, war aber derweilen ausgelaufen, so daß Schaffrots Bett durchnäßt war.

      Wir wußten alle nicht, was das für ein seltener Vogel war, aber wir tauften ihn Anni in Erinnerung an die »Vulkan«-Braut. Anni wurde in den warmen Maschinenraum gebracht. Dort sprang sie sofort in die Ölbilge. Ein Heizer zog sie heraus und legte die Öltriefende in eine Kiste voll weißer Putzwolle. Diese Kiste verließ sie als Schwan, denn die Putzwolle blieb an dem Öl kleben. Deshalb wurde Anni jetzt mittels Bürste und Seifenwasser abgescheuert, und weil wir Angst hatten, sie möchte wieder in die Bilge fallen, steckten wir sie in eine Rolle Linoleum. Da paßte sie genau hinein, und die Öffnungen vorn und hinten wurden durch Ziegelsteine so versperrt, daß nur der Kopf heraussehen konnte. Versuchsweise stopften wir ihr dann hintereinander Kartoffeln, Leberwurst, Brot und Steckrüben in den Schnabel, was sie aber alles von vorn wiedergab. Abermals freigelassen, jedoch gewissenhaft beaufsichtigt, fand sie dennoch Gelegenheit, in den Kohlenbunker zu entkommen, wo sie, als das Schiff überlegte, verschüttet wurde. Eine Rettungsexpedition grub sie aus. Sie sah sehr schwarz und traurig aus und siechte dahin. Als sie nicht mehr auf den Beinen stehen konnte, warfen wir sie mitleidig ins Feuerloch in die lodernden Flammen.

      Wir hatten Anni geliebt und sie war uns eine sehr angenehme Abwechslung in der Monotonie da draußen gewesen. Diese Monotonie mußte Menschen, die wie wir so dicht und primitiv zusammenhausten, verderben. Wir wurden untereinander und zu Untergebenen von Tag zu Tag reizbarer und gehässiger. Man schikanierte von oben bis unten, und das lief wieder zurück wie der Schlag ans Hängetau.

      Seit einiger Zeit war der Kommandant plötzlich sehr kühl zu mir. Ich bekam nicht heraus, weshalb.

      Der Leutnant von Raichert kam an Bord. Zu mir! Ich sollte ihm innerhalb von drei Tagen ein Potpourrilied auf den Geburtstag des Kommandanten von Sperrschiff »Franz« dichten. Das Lied sollte von der »Glückauf«-Kapelle gespielt und von den Offizieren gesungen werden. Ich erhielt die entsprechenden Unterlagen. Das Geburtstagskind war ein fünfzigjähriger Leutnant, der älteste Leutnant in der Marine.

      Ich konnte Herrn von Raichert das nicht abschlagen, aber ich war gerade so verbittert über die Öde des Dienstes, über die ungerechte Verteilung der Arbeit und über das kühle Verhalten des Steuermanns mir gegenüber. So saß ich denn abends müde und gallig in meiner Kabine und quälte mich mit dieser albernen Gelegenheitsdichtung ab. Aber meine zersprungenen Hände taten weh, und dann störte mich Jessen, indem er mir andauernd von der Schweinekartoffel »Präsident Krüger« vorschwärmte. Ich floh in die Lampenkammer, aber dort hockte schon Eichmüller, und der erzählte mir, in seiner nuschelnden, verdrossenen Sprechweise, er habe soeben geträumt, daß der Sperrkommandant für ihn Zeugwäsche gemacht habe. Und ob ich auch Wanzen habe, und ob ich wüßte, daß wir morgen zum Impfen müßten. Und ... und ... und.

      Am nächsten Tag brachte ich das Gedicht doch zustande und lieferte es verabredeterweise an unseren Steuermann ab. Er bot mir eine Zigarre an. Da wagte ich die Frage, ob er eigentlich etwas gegen mich habe. Er antwortete nicht, war aber seitdem wieder freundlich zu mir.

      Die Flotte war noch immer draußen. Gegen drei Uhr hörten wir lebhaftes Schießen, aber das konnte ja auch Manöver sein. Dann hieß es, ein Torpedoboot sei bei Schillig — also dort, wo »Glückauf« lag — auf unsere eigenen Minen gelaufen. Wir erhielten Befehl, sofort ein Sanitätsschiff durch die Sperre zu lotsen, konnten dann aber in dem dicken Nebel das Schiff nicht finden. Der Auftrag war ernst, es gab infolge unserer Aufregung ein Durcheinander. Dann kam uns der Befehl, langsam nach Schillig zu dampfen und nach treibenden Minen zu suchen, eventuell solche mit unserer Kanone abzuschießen. Geschütz klar. Wir fuhren los. Außer dem unten Dienst versehenden Personal stand alles an Deck, am Bug, auf der Brücke, einige in den Wanten. Wir spähten mit äußerst gespannten Augen in den Nebel. Dauernd wurde die Glocke geschlagen und in Sekundenabständen die Dampfpfeife gezogen, diese dicht hinter mir, so daß bei jedem ihrer stoßenden Töne irgendwelche Häute in meinem Kopf und in meinem Magen vibrierten.

      »Da! — Drei Strich an Backbord!« War das eine Mine? — Nein, es war eine Matratze.

      Tut! Tut! Kling! Kling! Kling! Von verschiedenen Seiten her erklang jetzt das Heulen von Torpedobootssirenen.

      Da! — Wir fischten eine Korkweste auf. Sie war »Glückauf« gezeichnet. Bald darauf eine zweite, die gehörte zu einem Torpedoboot, vermutlich zu dem, das in die Luft geflogen war. Und nun sichteten wir viele schwimmende Korkwesten und Hängematten und ein Buch und Balken und Matratzen. Und das Wasser war von nun an mit einer Ölschicht bedeckt. Wir suchten diese Gegend ab, holten eine Mütze heraus, die ich an mich nahm, und die die Inschrift »S.M.S. Yorck« trug. »Yorck«? »Yorck« war ein großer Kreuzer. Aber Matrosen trugen manchmal noch ihre früheren oder geliehene Mützenbänder. Bald fischten wir weitere Mützen heraus, auf allen stand »Yorck«. Sollte »Yorck« verunglückt sein, das Schiff, auf das ich einmal kommen sollte und damals zu meinem Schmerz nicht kam?

      Wir spähten und lauschten und verloren im Nebel die Orientierung, waren selbst in Minengefahr. Endlich tauchte »Glückauf« aus dem Nebel. Zwei Fahrzeuge und Beiboote lagen an seiner Seite. In einem Peilboot sahen wir Menschen an Deck, die nur mit Unterzeug bekleidet oder in Decken gehüllt waren, Gerettete. Wir fuhren längsseit von »Merkur«, auf dessen Deck es von Geretteten wimmelte. Die erzählten uns, die »Yorck« sei um zehn Uhr mit dem Bug auf eine Mine und unmittelbar danach mit dem Heck auf eine zweite Mine gestoßen, habe sich sofort auf die Seite gelegt und darauf ganz umgedreht, kieloberst. Die Matrosen waren gerade klar zum Ankern gewesen, so war es einem Teil gelungen, gegen die Wendung des Schiffes kletternd, sich auf die Kielfläche zu retten, die aus dem Wasser


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